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Neue Ich-AGs werden zum Erfolg
Der staatlich geförderte Start in die Selbständigkeit schafft schon jetzt Jobs. Mit der Reform der Ich-AGs wird das künftig sogar bezahlbar
von Flora Wisdorff


Verschiedene selbst gemachte Marmeladen zeigt Astrid-Ines Schickram aus dem brandenburgischen Jacobsdorf

Flora Wisdorff Florian Kohn ist niemand, der schon als Kind davon träumte, Unternehmer zu werden. Heute ist er trotzdem sein eigener Chef. Kohn ist eine "Ich-AG". Der Studienabbrecher aus Essen begann mit 28 Jahren seine Ausbildung als "Fachkraft für Veranstaltungstechnik". Im März 2005 wurde er fertig. Und dann arbeitslos. Also machte der 31jährige sich mit den Fördermitteln der Arbeitsagentur selbständig. Kohn leuchtet heute Industriepräsentationen aus, Pressekonferenzen oder Hauptversammlungen. 600 Euro bekommt er jeden Monat als Zuschuß. "Wenn es gut läuft, verdiene ich bald 2000 Euro monatlich", sagt er. Steigt sein Jahreseinkommen nicht über 25 000 Euro, kann Kohn noch zwei weitere Jahre jeden Monat Fördergeld bekommen. 360 Euro im ersten und 240 im zweiten Jahr.


Mit dem Genuß dieses Privilegs ist es bald vorbei. Denn Ende des Monats wird die Ich-AG abgeschafft. Das viel gescholtene Förderinstrument, das 2002 sogar zum Unwort des Jahres wurde, verschwindet aus dem Katalog der Bundesagentur für Arbeit (BA).


Gründer wie Kohn bekommen trotzdem weiterhin Unterstützung. Ab August wird der sogenannte Gründerzuschuß Arbeitslosen auf dem Weg in die Selbständigkeit helfen. Und es sieht so aus, als ob diese reformierte Ich-AG die Probleme der ersten Variante lösen könnte. Denn daß geförderte Selbständigkeit gegen die Arbeitslosigkeit hilft, ist kaum noch umstritten. Jetzt wird das sogar bezahlbar.


Die Ich-AG war Anfang 2003 zusammen mit den anderen Hartz-Reformen eingeführt worden. Zunächst hatten alle Empfänger von Arbeitslosengeld und -hilfe Anspruch darauf. Sie brauchten lediglich eine Geschäftsidee. 2004 wurde der Zuschuß mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf Empfänger des Arbeitslosengeldes I (ALG I) beschränkt. Außerdem mußten potentielle Gründer nun einen realistischen Businessplan vorlegen.


Der neue Gründerzuschuß legt die Ich-AG mit dem Überbrückungsgeld zusammen, das arbeitslose Gründer schon seit 20 Jahren sechs Monate lang mit einem Zuschuß in Höhe ihres Arbeitslosengeldes fördert. Die neue Mischung sieht so aus: Existenzgründer, die noch mindestens drei Monate lang Anspruch auf das Arbeitslosengeld I haben und einen schlüssigen Businessplan vorlegen, haben Anspruch auf Geld vom Staat. Neun Monate lang gibt es das ALG I plus eine Pauschale von 300 Euro. Der Anspruch auf das ALG I erlischt dann mit der neuen Förderung. Wenn sie das Konzept für tragfähig hält, kann die Arbeitsagentur noch einmal ein halbes Jahr lang 300 Euro pro Monat gewähren.


Damit wird organisierter, was von Anfang an vernünftig war. Denn über den grundsätzlichen Sinn einer Existenzgründerförderung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bestehen kaum Zweifel. Schon das Überbrückungsgeld habe sich dabei bewährt, sagt Frank Wießner, der am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die Wirkung der Existenzgründung untersucht. Ähnlich urteilte der erste Expertenbericht, der die Hartz-Reformen unter die Lupe nahm. Die von der Regierung beauftragten Wissenschaftler hatten die Erfolgsquote der Ich-AG's eineinhalb Jahre nach deren Einführung beurteilt. 80 Prozent derjenigen, die meist allein ein Unternehmen in der Dienstleistungsbranche gründeten und Geschäfte eröffneten, Autos reparierten oder zu freien IT-Experten wurden, hatten zu dem Zeitpunkt überlebt. Die Ich-AG zähle zu "den erfolgreichen Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik", steht in dem Papier.

Neueste Daten bestätigen diesen Trend. Auch zweieinhalb Jahre nach Beginn der Förderung im Rahmen der Ich-AG ist mehr als die Hälfte der Empfänger noch nicht zurück in die Arbeitslosigkeit gekehrt, heißt es in Kreisen, denen erste Ergebnisse vorliegen.


Allerdings galt der Staatszuschuß nicht zu Unrecht lange als Dauersubvention für windige und unqualifizierte Geschäftsideen, die ohnehin niemals am Markt überleben. So berichteten die Industrie- und Handelskammern (IHK), die bei der Beurteilung und Beratung der Ich-AGs mit den Arbeitsagenturen zusammenarbeiten, auch von teils absurden Zuständen. Zu ihnen seien Leute gekommen, die weder kaufmännische Kenntnisse hatten noch in der Lage waren, ihre Geschäftsidee überhaupt zu erklären.


Nachdem die Ich-AG 2003 eingeführt worden war, waren die Eintritte in die Existenzgründungsförderung schlagartig angestiegen: von 125 000 auf 250 000. Daß die Deutschen über Nacht zu einer wahren Unternehmernation wurden, ist dabei eher unwahrscheinlich.


Auch Mitnahmeeffekte gehören zu den Problem der zunächst leicht zugänglichen Förderung. Empfänger wie die 39jährige Hamburgerin Silke Mühlenstedt trugen mit dazu bei, daß die Existenzförderung für den Steuerzahler mit 3,3 Milliarden Euro allein 2005 recht teuer wurde. Sie machte sich vor drei Jahren als "Clownin Lili" selbständig - hatte aber schon zuvor als professionelle Spaßmacherin gearbeitet.


Weil sie die Ich-AG-Zuschüsse bekam, mußte sie dann nicht mehr nebenbei als Telefonistin jobben. Mit solchen Empfängern müsse das System leben, sagt Viktor Steiner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Die Frage sei nur, wie viele es davon gebe. Genau deshalb finden Experten es gut, daß das Förderinstrument nun verändert wird. "Daß gestutzt und gefiltert wird, geht in die richtige Richtung", sagt Wießner.


Trotzdem hätten die härtesten Kritiker der Ich-AG es gern gesehen, wenn der Rechtsanspruch auf die Förderung abgeschafft worden wäre. "Das ist der Pferdefuß an dem neuen Zuschuß", sagt Marc Ewers vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Ansonsten ist selbst er zufrieden. Die Zusammenlegung der beiden Instrumente schaffe mehr Transparenz und sei "ein guter und richtiger Schritt, der die Geschäftsidee mehr in den Mittelpunkt stellt und die Fehlanreize verringert", sagt er.


Die Urheber der Reform, die Arbeitsmarktexperten Klaus Brandner (SPD) und Ralf Brauksiepe (CDU), rechnen jedenfalls fest mit weniger Ausgaben. Spätestens in drei Jahren, wenn die alte Ich-AG-Förderung ausgelaufen ist, soll die Existenzgründung den Staat eine Milliarde Euro weniger kosten.

Mitarbeit: David Schraven und Sebastian Bertram


Artikel erschienen am 11. Juni 2006
 
aus der Diskussion: DAX-Werte im Chartcheck
Autor (Datum des Eintrages): actr  (11.06.06 09:49:45)
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