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[posting]22174620[/posting]31.

Mit dem Erscheinen der Freundin war der Traum vorbei. Jetzt war es wieder die gewohnte, wirklich unzählige Male durchexerzierte Situation, dass ich mich mit einer wirklich attraktiven Frau unterhielt und die beste Freundin intervenierte und sich eben diese Situation komplett auflöste und nicht wiederkam. Das war der Grund, warum ich bei gewissen Begegnungen fast jedesmal ins Schwimmen kam. Ich fragte mich jedesmal, was ich sagen oder tun konnte, um das zu verhindern. Aber es gab keine Lösung. Eigentlich war es egal, was ich in einer solchen Situation sagte. Ob ich ganz normal redete, über gemeinsame Freunde oder gemeinsame Interessen sprach, Komplimente machte, nach zwei Minuten eine Heiratsantrag vorbrachte oder meine Hose aufmachte und meinen besten Freund auf den Tisch legte, egal. Letzteres war übrigens der Vorschlag, den mein Chef mir während meiner Ausbildungszeit immer wieder machte. Ich hoffe, es wirkt nicht respektlos, wenn ich zugebe, dass ich das nie ernsthaft in Betracht gezogen hatte, auch wenn dieser Mangel an Vertrauen in seine Ratschläge auf ihn möglicherweise beleidigend wirkte.
„Wo kochst du denn?“, fragte die Unbekannte.
„Nebenan“, sagte ich.
„Wie praktisch.“
„Ja.“
Ich nahm einen Schluck Bier.
„Wir kennen uns aus dem Schachverein“, sagte Lisa.
„Du siehst nicht wie ein Schachspieler aus“, sagte ihre Freundin.
„Danke“, sagte ich.
Sie sah mich prüfend an. Vielleicht war das doch kein Kompliment gewesen. Vielleicht meinte sie nur, dass man mir mein früheres, unfreiwilliges Doppelleben ansah. Wenn man zur Hauptschule gehen musste und aus irgendwelchen Gründen eine Art Geheimtipp für Doppel-Sitzenbleiber war, die einen wirklich körperlich unterlegenen und absolut chancenlosen Sparringspartner suchten, entdeckte man irgendwann ein gewisses Interesse für Muskeltraining. Darum ähnelte ich eher einem Football-Spieler als einem Denksportler, auch wenn ich die Schultern hängen ließ und meine Arme möglichst nah am Körper baumeln ließ.
„Das ist Robert und das ist Nadine“, sagte Lisa.
Sie war nicht nur die Frau mit dem von Natur aus bestmöglichen Aussehen, sondern auch mit der besten Erziehung.
Fast niemand wusste, dass ich sie kannte, da ich nie von ihr sprach. Alles was ich über sie sagen konnte, klang wie naive, weltfremde und vorpubertäre Schwärmerei. Wenn ich jemandem von ihr erzählte und auf Unglauben traf, wusste ich allerdings, dass ich sie genau richtig beschrieb.
„Ich war nie gut in Schach“, sagte Nadine. „Mein Vater hat es mir beigebracht, aber..“
„Frauen sind meistens keine guten Schachspieler“, unterbrach ich sie, ehe sie sich in Rage redete.
„Oh, ein Macho“, sagte Nadine.
„Schach ist nur ein Spiel“, erklärte ich.
„Aber ein sehr komplexes Spiel“, sagte Lisa.
„Genau“, sagte ich. „Und nur Männer können so in einem Spiel aufgehen, dass sie darüber alles andere vergessen. Das gibt einem die Fähigkeit, dafür einen Aufwand zu betreiben, der in keinem Verhältnis steht. Weil Männer im Gegensatz zu Frauen nie richtig erwachsen werden.“
„So habe ich das noch nie gesehen“, sagte Nadine.
Sie wirkte überrascht.
„Interessante Theorie“, sagte Lisa.
„Das muss ich meinem Vater erzählen“, sagte Nadine lächelnd.
„Okay, darauf gebe ich einen aus“, sagte ich.
„Danke, aber wir haben morgen früh Vorlesungen“, wehrte Lisa ab. „Und du?“
„Ich nicht“, antwortete ich.
„Bist du jetzt öfter hier?“, fragte Lisa.
Sie konnte es nicht lassen.
Mein Text.
„Diese Frage hast du gerade selber beantwortet“, sagte ich.
Ich redete schon wie Ozzy. Er war übler als ich dachte. Er färbte ab.
„Hoppla“, sagte Nadine.
Lisa sah mich an, ohne etwas zu sagen.
Hoppla, dachte ich.


Fortsetzung folgt
 
aus der Diskussion: Die Leiden eines Kochs
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (21.06.06 00:41:46)
Beitrag: 42 von 74 (ID:22194626)
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