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40.

In den vergangenen Jahren hatte ich sie nur noch sehr selten und dann auch nur völlig unerwartet und lediglich im Vorübergehen gesehen. Jedesmal war sie in Begleitung eines anderen Exemplars des immer gleichen Typs gewesen. Langhaarige , schlaksige, arrogante, affektierte Späthippies, die gern in bunten Hosen und Strickjacken unterwegs waren. Die Sorte Männer, die permanent von ihren eigenen Gefühlen redeten und ihre exhibitionistische Lust an öffentlichem Selbstmitleid für ein Geschenk an die Menschheit hielten. Männer, die jeder Konfrontation auswichen und andere Männer ausbooteten, indem sie hinter derem Rücken verleumderischen Tratsch auffuhren. Männer, die Frauen nicht versuchten, Frauen zu beeindrucken, weil es ohnehin einfacher war, ihnen Drogen zu geben und das als geistige Überlegenheit darzustellen.
Mit solchen Typen konnte und durfte man sich nicht anlegen. Das war wie mit bloßen Fäusten gegen Senfgas zu kämpfen. Man konnte nur darauf warten, dass die jeweilige Frau irgendwann zur Vernunft kam. Früher oder später entpuppten sich diese Typen selbst für die naivsten, emanziologisch vernageltesten Frauen als Belastung und dann konnte man zumindest mit ihnen reden.
Ich hoffte, dass es bei Melanie inzwischen so weit war. Das musste sich aber erst noch herausstellen. Noch sah es schlecht aus, wenn man einmal davon absah, dass sie allein unterwegs war und mich gegrüßt hatte.
„Wie geht es dir?“, fragte ich.
Sie schwieg und beschleunigte ihren Schritt.
Vielleicht erschreckte sie sich über meine Stimme. Wenn mir eine Frau sehr gut gefiel oder wenn ich sehr entspannt war, rutschte meine Stimme manchmal in den Keller. Ich räusperte mich und versuchte es noch einmal in ihrer bevorzugten Sprache. Vielleicht schmeichelte es ihr auch, wenn ich ihr bewusst machte, dass sie dauerhaft zu meiner Bildung beigetragen hatte.
„Comment ça va?“
„Très bien.“
„Das sieht man.“
„Jetzt auf Deutsch?“
„Notgedrungen. Ich brauche eine Auffrischung. Jemand muss wieder mit mir üben. Was sagst du?“
Sie sah mich prüfend an, ehe sie antwortete.
„Ich sage, das neue Programmheft der Volkshochschule ist schon draußen.“
„Danke für den Tipp.“
„De rien.“
Ich musste ehrlich zu mir selbst sein. Der bisherige Verlauf ließ sich allenfalls als „semi-gut“ einstufen.
Außerdem arbeitete die Zeit gegen mich.
Die Stadt war klein und Melanie war schnell.
Wohin sie auch wollte, würde gleich dort sein.

Fortsetzung folgt
 
aus der Diskussion: Die Leiden eines Kochs
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (03.07.06 00:45:32)
Beitrag: 54 von 74 (ID:22388707)
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