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[posting]22353250[/posting]42.
„Weißt du eigentlich, dass ich dich nie vergessen habe?“, fragte ich.
„Wie bitte?“
„Ich kann mich noch an alles erinnern, was dich betrifft“, sagte ich.
„Und was soll da gewesen sein?“
„Du warst meine erste Liebe.“
„Du hast mich heimlich beobachtet?“
Das war ein Tiefschlag.
„Und wie alt waren wir da?“, fragte sie, während mir die Luft wegblieb.
„Jung, sehr jung.“
„Kinderkram. Vergiss es.“
„Ja, aber weil wir so jung waren, hat mich das auch so geprägt.“
Sie räusperte sich.
„War deine erste Liebe nicht eine Blondine?“, fragte sie.
„Wieso das denn!“, rief ich empört aus. Ich log doch nicht.
„So eine Hübsche namens Heike, hinter der alle Jungs her waren?“
„Ach, die!“, sagte ich. „das war nur der Wettkampfgedanke, weil die anderen die ja auch alle haben wollten.“
„Und in Wirklichkeit war ich deine erste Liebe und nicht diese Heike?“
„Sicher doch. Keine Frage. Ich schreibe sogar gerade an einem autobiographischen Roman, so ganz im Stile von Werther damals über den jungen Goethe und das handelt nur davon, wie ich in dich verliebt war und alles nur für dich getan habe und in jeder anderen Frau immer nur dich gesehen oder vergeblich nach dir gesucht habe...“
„Das wird bestimmt sehr literarisch“, sagte sie.
„Was?“
„Immerhin kannst du sehr lange Sätze machen. Sehr literarisch. Dann ist wenigstens die Form besser als der Inhalt.“
Genau wie bei ihr. Jedenfalls wenn sowas aus ihr rauskam.
Ich schrieb übrigens tatsächlich gerade an einem Roman, in dem Heike überhaupt nicht vorkam und der von nichts anderem handelte, als davon, dass sie für mein Leben überhaupt keine Rolle gespielt hatte. Die Story begann damit, wie ich als kleiner Junge Melanie begegnete und wenig später gab es gleich einen Zeitsprung und ich begegnete ihr erneut, ungefähr wie jetzt, nur besser, also mit einem besseren Dialog, genauer gesagt mit mehr Feingefühl von ihr, Melanie. Der Arbeitstitel dieses Opus‘ laute „Meine Frauen und meine Briefmarken.“ Schon im Titel kam Heike nicht vor, konsequenterweise. Sie war mir so egal, dass ich sie nicht einmal mehr hasste, sondern einfach vergessen hatte, weil sie so dermaßen unwichtig war, was ich sogar auf schätzungsweise ungefähr 200 Seiten beweisen würde. Ich hoffte, es würde erscheinen und sie würde es lesen und darin nach sich suchen. Vergeblich natürlich, denn das war schließlich der Sinn der Sache.
„Und ich habe dich geprägt, obwohl wir da noch so klein waren?“, fragte sie.
„Und ob. Gerade, weil wir so klein waren. In dem Alter...“
„Und wie habe ich dich geprägt?“
„Zum Beispiel indem ich auch anfing, Französisch oder zumindest mit französischem Akzent zu sprechen.“
„Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals mit dir Französisch gesprochen hätte.“
„Nein, aber du hast mir Comics geliehen und Lucky Luke hieß bei dir immer Lücky Lüück!“
Plötzlich blieb hielt sie an und schloß ein Fahrrad auf.
„Und jetzt liebst du Frankreich?“, fragte sie.
„Mais oui!“
„Warst du schon einmal da?“
„Non.“
„Dann weißt du ja schon, dass sich nicht jede Liebe erfüllt.“
Sie stieg auf ihr Rad und fuhr davon.

Fortsetzung folgt
 
aus der Diskussion: Die Leiden eines Kochs
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (07.07.06 10:54:06)
Beitrag: 55 von 74 (ID:22446816)
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