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Hi Momi :)

Wenn Bush gewinnt, kotz ich!

Veröffentlicht am Montag, dem 2. Oktober 2000, in der New York Times:


DIE TODESFABRIK

von Bob Herbert


Am Ende des Jahres wird Texas wahrscheinlich einen neuen Rekord hinsichtlich seiner Hinrichtungen aufgestellt haben. Es ist zu erwarten, dass die Zahl der Inhaftierten, die dieses Jahr in die Todeskammer gehen, bis zum Silvesterabend die 40 erreicht haben wird. Das wäre die höchste Zahl von exekutierten Gefangenen eines einzelnen US-Staates, seit man vor etwa 70 Jahren anfing, landesweit statistisches Material über die Todesstrafe zusammenzustellen.


Der derzeitige Rekord wird ebenfalls von Texas gehalten, wo 1997 bereits 37 Menschen hingerichtet wurden. Seit Aufhebung des Banns über die Todesstrafe durch den Obersten Gerichtshof im Jahre 1982 hat Texas 231 Häftlinge hingerichtet. Kein anderer US-Bundesstaat kam dieser Zahl auch nur nahe.


Und wenige Staaten - wenn überhaupt - konnten es mit der andauernden Ungerechtigkeit und der unmenschlichen Weise, in der Texas seine Gefangenen ihrem Schicksal zuführt, aufnehmen. Untersucht man die Todesstrafe-Fälle in Texas sorgfältig, findet man wiederholt Beispiele von unglücklichen Gefangenen, die zum Tode verurteilt wurden aufgrund übereifriger Staatsanwälte, voreingenommener und inkompetenter Richter sowie Verteidiger, die während des Prozesses schliefen, drogen- oder alkoholabhängig waren, nichts über die Verhandlung von Kapitalverbrechen wussten und praktisch nichts für ihre Klienten taten.


Die Todesstrafe, wie sie in Texas praktiziert wird, ist oft nur wenig mehr als ein legales Lynchen.


Robert McGlasson ist ein kompetenter Anwalt, der mit der Berufungsklage eines verurteilten Gefangenen namens Calvin Burdine befasst ist. Der vom Staat ernannte Pflichtverteidiger, der Mr. Burdine in seinem Prozess vertrat, war Joe Frank Cannon. Mr. Cannon, der inzwischen verstorben ist, schlief während bedeutender Phasen des Prozesses.


Das wäre überall sonst ein Problem gewesen - aber nicht so in Texas. Trotz des schlafenden Anwalts erhielt das Gericht die Verurteilung und das Todesurteil aufrecht. Eine vernünftigere Ansicht vertrat ein Bundesrichter, der den Fall untersuchte und zu dem Schluss kam, dass ein schlafender Rechtsbeistand gleichbedeutend ist mit überhaupt keinem Rechtsbeistand.


Das gefiel den texanischen Beamten jedoch nicht, und sie haben gegen die Bundesentscheidung Berufung eingelegt.


Mr. McGlasson sagte mir letzte Woche, dass er Mr. Cannon, den beim Prozess schlafenden Anwalt, um die Akte des Falles gebeten habe. Die Unterlagen bestanden aus lediglich fünf Seiten handschriftlicher Notizen mit nicht mehr als 269 Wörtern. Diese magere Sammlung von Worten - ungefähr ein Drittel der Länge dieses Artikels - war die gesamte Prozessakte für einen Todesstrafe-Fall.


Der Angeklagte dieses Falles, Mr. Burdine, ist homosexuell. Vielleicht hat Mr. Cannon geschlafen, als der Staatsanwalt, um die Jury zur Fällung des Todesurteils zu bewegen, erklärte, einen Homosexuellen ins Zuchthaus zu stecken, sei sicher keine sehr schlimme Strafe für einen Schwulen. Wie auch immer, Mr. Cannon erhob keinen Einspruch gegen diese Form der Argumentation.


Aber er war höchstwahrscheinlich wach, als er während einer späteren Anhörung nach dem Prozess herabwürdigende Ausdrücke benutzte, wenn er sich auf seinen Klienten und andere Homosexuelle bezog - von denen "queers" und "fairies" noch die harmlosesten waren.


Das ist das, was in Texas als Recht und Gerechtigkeit bezeichnet wird.


In einem Artikel in der Zeitung "Texas Law Review" sagt Stephen Bright, der Direktor des Südlichen Zentrums für Menschenrechte in Atlanta: "Die texanische Richterschaft hat auf das Geschrei nach der Todesstrafe geantwortet, indem sie Kapitalverbrechen wie am Fließband abhandelt - mit wenig oder gar keiner Rücksicht auf die Fairness oder Integrität des Prozesses."


Aber Gouverneur George W. Bush, in dessen Amtszeit 144 Gefangene hingerichtet wurden, beharrt darauf, dass jede Person, die in Texas exekutiert wurde, vollen Zugang zu den Gerichten und einem fairen Verfahren gehabt habe.


Nicht nur, dass das unwahr ist - es ist oft unmöglich, von der versteckten unfairen Art und Weise, in der angeklagte Gefangene in Texas von der Justiz verfolgt, verurteilt und hingerichtet werden, zu berichten - unabhängig davon, ob sie nun tatsächlich schuldig oder unschuldig sind.


Gouverneur Bush mag wohl glauben, dass jeder in Texas Hingerichtete schuldig war; er hat nicht mehr als seinen Glauben - jedoch keine Fakten, die ihn bestätigen.


Viele Verfahren sind nichts als ein Würfelspiel. Mr. Bright zitiert einen Fall, in dem ein texanischer Anwalt, der später suspendiert wurde, in der Phase der Strafmaßfindung des Prozesses für seinen Klienten keinerlei entlastendes Material einbrachte und kein Abschlussplädoyer hielt, sondern stattdessen zu der Jury sagte: "Sie sind eine außerordentlich intelligente Jury. Sie haben das Leben dieses Mannes in ihre Händen. Sie können es ihm nehmen oder auch nicht. Das ist alles, was ich zu sagen habe."


Je mehr die Zahl der in Texas Hingerichteten steigt, umso mehr offenbart sich das System der Todesstrafe in Texas als eine grausame Karikatur, als ein Gespött der wirklichen Idee von Fairness und einem angemessenen Verfahren. Es ist nicht eine Suche nach Gerechtigkeit. Es ist eine Ausübung des Bösen.


Copyright 2000 The New York Times Company

Gruss Minolta
 
aus der Diskussion: Bush pfui Deibel
Autor (Datum des Eintrages): Minolta  (07.11.00 16:03:14)
Beitrag: 3 von 52 (ID:2284072)
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