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Hier ein etwas älterer, aber immer noch lesenswerter Beitrag zum Thema "Humanes Hängen" von Mädeln im Iran.

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Humanes Hängen


Am 15. August wurde im Iran ein 16jähriges Mädchen wegen »unkeuschen Verhaltens« erhängt. Dem staatlichen Mord war ein »Prozess« vorausgegangen, der mit einem Todesurteil endete.

Wir wissen nicht, was das Mädchen getan hat, ob sie unverschleiert unterwegs war, mit einem Jungen geknutscht hatte oder von einem Verwandten vergewaltigt wurde, nachdem sie ihn durch aufreizende Blicke um den Verstand gebracht hatte. Wir wissen nur: eine 16jährige wurde vom Leben zum Tode befördert, weil die Männer, die sie angeklagt und verurteilt hatten, vom Töten noch mehr angetörnt werden als vom Ficken.

Hätte irgendein US-Gericht einen 16jährigen Mörder zum Tode verurteilt, würden sich alle deutschen Zeitungen vor Empörung überschlagen. amnesty international würde protestieren und Claudia Roth, die Beauftragte für Menschenrechte der Bundesregierung, eine Sitzung bei den Weight Watchers abbrechen, um eigenfüßig in die USA zu eilen und eine Revision des Verfahrens zu fordern.

Im Falle der 16jährigen geschah nichts dergleichen. Die deutsche Öffentlichkeit hat von dem Schicksal des Mädchens erst erfahren, als es schon tot war. Am 26. August erschien in der Süddeutschen Zeitung dieser Artikel:

Eine Hinrichtung, die weniger grausam sein soll


Der Tod am Strang hat die Steinigung abgelöst - manche Iraner sehen darin bereits die vorsichtige Abkehr vom starren Korsett der Scharia. Von Katajun Amirpur.

München - Wegen »unkeuschen Verhaltens« ist die 16-jährige Ateghe Radschabi am 15. August in der nordiranischen Provinzstadt Neka erhängt worden. Mit unkeuschem Verhalten ist in Iran bei Unverheirateten vorehelicher Geschlechtsverkehr gemeint, bei Verheirateten Ehebruch. Zwar ist die Strafe für vor- oder außerehelichen Geschlechtsverkehr und Ehebruch rigide, allzu schnell kann sie jedoch nicht verhängt werden. Denn damit die Schuld als bewiesen gilt, müssen vier männliche oder acht weibliche Zeugen die Angeklagten auf frischer Tat ertappt haben.


Gemäß der Scharia, dem islamischen Recht, zählen vorehelicher Geschlechtsverkehr sowie Ehebruch zu den »Hadd-Strafen«, den Körperstrafen. Es handelt sich dabei um Delikte, deren Strafmaß nach muslimischer Auffassung von Gott selbst festgelegt wurde. Artikel 83 des iranischen Strafgesetzbuches, das den Koran als eine Quelle des Rechtssystems betrachtet, sieht daher für vorehelichen Geschlechtsverkehr und Ehebruch den Tod durch Steinigung vor. Dass die Steinigung in Iran seit etwa anderthalb Jahren nicht mehr angewendet worden ist, führte man hier allgemein auf den europäisch-iranischen Menschenrechtsdialog zurück.


Im Dezember 2002 erklärte die Parlamentarierin Dschamileh Kadiwar, dass die Richter die Anweisung erhalten hätten, die Steinigung nicht mehr als Strafe zu verhängen. Diese Anweisung gelte bis zur Änderung des entsprechenden Gesetzes.


Steinigung faktisch abgeschafft


Zwar wurde das Gesetz bis heute nicht geändert - was in einer Republik, die sich als islamisch geriert, auch mit heftigen innenpolitischen Zerreißproben verbunden wäre. Da es aber anderthalb Jahre lang keine Steinigung mehr in Iran gegeben hat, sahen Menschenrechtsorganisationen Anlass zur Hoffnung, dass die Steinigung faktisch abgeschafft worden sei. Allerdings bedauern sie, dass die Steinigung nun offenbar durch den Tod am Strang ersetzt worden ist. Iranische Menschenrechtler sahen dennoch allein die Tatsache, »dass man darüber nachdenkt, die Steinigung durch andere Strafen zu ersetzen, als einen Schritt in die richtige Richtung« - nämlich als Abkehr vom angeblich unflexiblen Korsett des islamischen Rechts.


Dies sei der Anfang für eine weiterführende Diskussion über die Todesstrafe. Allerdings kommt eine weitere zynische Komponente hinzu: Ein wegen Ehebruchs verurteilter Mann wird bis zur Hüfte, eine Frau bis zur Brust eingegraben. Dann prasseln die Steine auf den Verurteilten nieder. Schafft es ein Verurteilter aber, sich aus eigener Kraft zu befreien - was schier unmöglich scheint - , wird dies als Beweis seiner Unschuld gewertet. Ihm wird dann das Leben geschenkt. Zum Tode verurteilte Frauen hatten daher in den letzten Monaten vergeblich darum gebeten, man solle sie lieber steinigen als erhängen. So bliebe ihnen wenigstens noch eine kleine Überlebenschance.


Kein faires Gerichtsverfahren


Im Fall Ateghe Radschabis kritisiert die Organisation Amnesty International neben der Tatsache, dass die Verurteilte kein faires Gerichtsverfahren bekommen habe, vor allem, dass eine Minderjährige gehängt worden sei. Damit verstoße Iran gegen internationales Recht. Nach iranischem Recht jedenfalls war Ateghe Radschabi voll straffähig. Das iranische Recht orientiert sich hier an der Scharia, nach der ein neunjähriges Mädchen heiratsfähig und damit auch strafbar ist.


Heiratsalter von neun auf zehn Jahre erhöht


Das offizielle Heiratsalter ist erst vor kurzem, nach zähem Ringen zwischen Reformern und Konservativen, von neun auf zehn Jahre erhöht worden. Auch für die Erhöhung des Mindestalters für die Todesstrafe auf achtzehn Jahre wurde gekämpft. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hatte das damals noch von Reformern dominierte Parlament Ende 2003 vorgelegt. Der Entwurf ist jedoch bis heute nicht vom Wächterrat, dem höchsten gesetzgebenden Organ, ratifiziert worden. Der Wächterrat überprüft speziell, ob ein Gesetz dem islamischen Recht widerspricht oder nicht. In diesem Fall dürfte die Meinung des Rats also klar sein.


Dass Iran gegen internationales Recht verstößt, ist für das Regime nur selten von Belang gewesen. Man verbittet sich die Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes und verweist darauf, dass es kulturelle Unterschiede gebe. Dazu sagte die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi unlängst im Gespräch mit dieser Zeitung: »Die Menschenrechte sind sogar wichtiger als die Verfassung eines Staates. Wenn es einen Widerspruch gibt zwischen beiden, dann muss eben die Verfassung geändert werden«.



Manchmal lohnt es sich doch, die SZ zu lesen. Wo sonst wird einem auf eine so ruhige, ausgewogene, gelassene und verständnisvolle Weise die kulturelle Grundlage für einen Mord erklärt. Jeder Kommentar über Tiertransporte in Indien oder die Zustände auf einer holländischen Hühnerfarm wäre mit mehr Herzblut geschrieben worden. Nur: In diesem Falle geht es darum, die kulturellen Unterschiede zu respektieren und auch nur den Anschein zu vermeiden, man würde von oben herab urteilen. Deswegen ist der Artikel so informativ. Er sagt uns nicht nur, wie die Mullahs denken, sondern auch wie Liberale ticken, wenn sie ihren Cafe latte schlürfen und sich über Guantanamo aufregen.


Dass im Iran nicht mehr gesteinigt wird, ist ein Ergebnis des europäisch-iranischen Menschenrechtsdialogs. Wie muss man sich einen solchen Dialog vorstellen? Kommen da europäische Menschenrechtsexperten in den Iran, schauen sich eine Steinigung an und sagen hinterher zu den Iranern. »Da ist doch total überholt, wie ihr da macht, reinstes Mittelalter. Hängen ist doch viel einfacher, effektiver und humaner!« Worauf sich die Mullahs an den Kopf fassen und sagen: »Wieso sind wir nicht von selber darauf gekommen?!« Ja, so könnte der europäisch-iranische Dialog über Menschenrechte funktionieren. Und wenn er dazu führt, dass die »Steinigung faktisch abgeschafft« und durch humanes Hängen ersetzt wird, dann ist das »ein Schritt in die richtige Richtung«, zu mehr Menschenrechten und sauberen Gefängnishöfen. Nebenbei erfahren wir auch, dass das offizielle Heiratsalter »nach zähem Ringen zwischen Reformern und Konservativen, von neun auf zehn Jahre erhöht« wurde, auch dies ein weiterer Schritt in Richtung auf mehr Menschenrechte, beinah schon eine Revolution im Frauenhaus. Man muss freilich bedenken, dass der Begriff »offizielles Heiratsalter« eine freundliche Umschreibung für das ist, was die Amerikaner auf ihre herzige Art »fuckability« nennen. Oder um es so auszudrücken, dass es jeder versteht, der ein »Herz für Kinder« hat und für UNICEF spendet: Es gibt im Iran offenbar zwei Fraktionen von Kinderfickern. Die Traditionalisten wollen schon an die Neunjährigen dran, die Reformer haben es nicht so eilig und präferieren reife Zehnjährige. Auch Weinkenner wissen, dass ältere Jahrgänge besser munden. Wenn ein Mädchen mit zehn gefickt werden darf, dann kann es mit sechzehn gehängt werden, so bleibt es ihr wenigstens erspart mitzuerleben, wie sich ihr Mann eine Jüngere nimmt. Und wenn demnächst auch das Mindestalter für die Todesstrafe auf 18 Jahre angehoben wird, hat sich der europäisch-iranische Menschenrechtsdialog wirklich gelohnt.


Das ist es, wann uns die SZ zwischen den Zeilen sagen will. Subtil, unaufdringlich und rücksichtsvoll. Wir müssen den Gedanken nur noch ein wenig fortspinnen: Bald werden die Terroristen im Irak ihre Geiseln nicht mehr mit stumpfen Küchenmessern enthaupten, sondern ordentliche Fallbeile aus Solinger Edelstahl für die »Exekutionen« benutzen. Menschenrechte sind für alle da!


HMB, 2.9.2oo4

Quelle: http://www.henryk-broder.de/html/tb_haengen.html
 
aus der Diskussion: 16-year-old Iranian hanged from crane because she had sex with unmarried man
Autor (Datum des Eintrages): LadyMacbeth  (27.07.06 21:48:02)
Beitrag: 43 von 62 (ID:23124270)
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