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Amt rügt laxe Reaktion der Atomkonzerne
von Michael Gassmann (Düsseldorf) und Timm Krägenow (Berlin)
Aufsichtsbehörden und kernenergiefreundliche Wissenschaftler haben scharfe Kritik am Verhalten der deutschen Atomkraftwerksbetreiber nach dem Ausfall von zwei Notstromgeneratoren in einem schwedischen Kernkraftwerk geübt.

Das Kraftwerk Voerde
Das Kraftwerk Voerde

"Die deutschen Betreiber leisten ihrem eigenen Anliegen einen Bärendienst, wenn sie nach dem gravierenden Störfall im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark für ihre Anlagen reflexartig Entwarnung geben", sagte der Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz, Wolfram König der Deutschen Presse-Agentur. Störfälle müssten wissenschaftlich fundiert und unabhängig bewertet werden.

Auch der Energie-Experte Bernhard Hillebrand, der generell für eine Verlängerung der Reaktorlaufzeiten in Deutschland eintritt, warnte die Branche davor, die Ereignisse zu verharmlosen. Der Störfall sei "ein deutlicher Hinweis darauf, dass mit dieser Technik nicht zu spaßen ist", sagte Hillebrand der FTD. Der Wissenschaftler forderte von den Konzernen eine genaue Analyse der Ursachen, um mögliche Schwachstellen an anderen Meilern auszumerzen. Bei sorgfältiger Aufarbeitung von Fehlern sei eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken gegenüber dem geltenden Ausstiegsbeschluss in Deutschland verantwortbar, so Hillebrand. "Mit einer Verlängerung schaffen wir uns acht Jahre mehr Spielraum zur Entwicklung regenerativer Energien."

Das Forsmark-Kraftwerk
Das Forsmark-Kraftwerk

Zuvor hatten die deutschen Kernkraftwerksbetreiber erweiterte Sicherheitsmaßnahmen für ihre Meiler als Reaktion auf den Störfall in Schweden kategorisch abgelehnt. "Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen über die Abläufe bei Forsmark kann ausgeschlossen werden, dass ein solcher Zwischenfall in deutschen Kernkraftwerken die gleichen Folgen hätte", sagte ein Sprecher des Deutschen Atomforums, der Vereinigung der Kernkraftwerksbetreiber. Umweltschützer forderten dagegen, am Atomausstieg in Deutschland festzuhalten und sprachen von einem "Beinahe-Gau in Schweden". Die Debatte macht deutlich, dass der Streit um den Atomausstieg in Deutschland auch die Erörterung von technischen Details der Anlagensicherheit überschattet.

Keine Unterstützung bei IAEA angefragt

Die deutschen Kraftwerksbetreiber, alarmiert durch Medienanfragen, starteten die Überprüfungen ihrer Anlagen erst Mitte vergangener Woche, also rund eine Woche nach dem Vorfall in Schweden. Grund für die langsame Reaktion war offenbar, dass der Forsmark-Betreiber Vattenfall, der auch in Deutschland Meiler betreibt, den Vorfall in Schweden auf der zweiten Stufe der siebenstufigen Störfall-Skala (INES) eingestuft hatte. Deshalb hat die Internationale Atomenergiebehörde IAEA die Informationen über den Störfall auch nicht aktiv an andere Länder weitergeleitet.

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"Die schwedischen Behörden haben keinerlei Unterstützung der IAEA angefragt", begründete ein Sprecher in Wien die Passivität. Die Agentur könne die Einstufung durch den Betreiber allerdings nicht überprüfen. "Wir haben keine Gendarmerie, um festzustellen, ob die Einordnung stimmt", sagte er.

Ein Sprecher des Kraftwerkbetreibers EnBW betonte am Freitag, dass ein Ausfall von Teilen der Notstromversorgung in seinen Reaktoren auszuschließen sei. Es gebe "in wesentlichen Punkten" einen anderen Aufbau der Notstromversorgung. Um welche Unterschiede es sich handelt, konnte der Sprecher aber nicht sagen. Er betonte, dass es auch bei einem Problem mit der Notstromversorgung im Reaktor Philippsburg im Jahr 1992 "keinen Zusammenhang" mit dem aktuellen Störfall in Schweden gebe. Auch hier konnte er jedoch keine Details nennen.

Auch die übrigen Betreiber sehen keine Notwendigkeit, Konsequenzen aus dem Störfall zu ziehen. "Die Sicherheitskonzepte unterscheiden sich bedeutend, etwa in der Gerätetechnik und in der Dimensionierung", sagte eine Sprecherin von Eon Kernkraft. Man werde dies gegenüber den Aufsichtsbehörden detailliert erläutern. Eon betreibt auch Kernkraftwerke in Schweden. Auch RWE schloss eine Ereigniskette wie bei Forsmark für seine Meiler aus.

Die vier in Schweden nach dem Störfall abgeschalteten Reaktoren bleiben aus Sicherheitsgründen noch für mehrere Wochen vom Netz getrennt. Die Chefin der Kernkraftinspektion SKI kündigte eine "sehr umfassende" Untersuchung an.
http://www.ftd.de/politik/international/102399.html
 
aus der Diskussion: Panne im schwedischen Atomkraftwerk
Autor (Datum des Eintrages): WePeHA  (08.08.06 22:32:45)
Beitrag: 151 von 168 (ID:23361433)
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