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eine rabenschwarze Vorhersage:


Aus der Neuen Solidarität Nr. 46/2000:



USA vor Bruchlandung
Supermacht. Droht den USA das Schicksal der Sowjetunion? Vieles spricht dafür, meinen inzwischen sogar amerikanische Analysten.

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Illusionen, die platzen müssen
"Imperiale Überdehnung"
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Die Vereinigten Staaten stehen vor der schwersten Krise ihrer Geschichte, und damit meine ich nicht das unsägliche Wahldebakel, sondern etwas anderes: Das geistig-intellektuelle Niveau beider führenden Präsidentschaftsbewerber befindet sich auf einem Allzeittief. Aus heutiger Sicht ist kaum vorstellbar, wie entweder Al Gore oder George W. Bush mit den heraufziehenden finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Stürmen fertig werden könnten.

In scharfem Kontrast zu den Wahlkampfbeteuerungen von Bush und Gore sind die in den nächsten Jahren erwarteten Überschüsse des Regierungshaushaltes ebenso eine Illusion wie der schon reichlich beschädigte Mythos der sogenannten "neuen Wirtschaft". Vielmehr handelt es sich bei der US-Wirtschaft heute um die bankrotteste Volkswirtschaft auf dem ganzen Globus. Die privaten Haushalte ersticken in Kreditkartenschulden, Hypothekenschulden und weiteren Verbindlichkeiten, etwa gegenüber ihrem Aktien- oder Autohändler. Auch die amerikanischen Unternehmen befinden sich in einem wahren Verschuldungsrausch, wobei sie neben Bankkrediten und Aktienemissionen auch immer stärker auf die Ausgabe von Anleihen zurückgreifen. Die Zahlungsunfähigkeiten auf derartige Unternehmensanleihen haben in letzter Zeit explosionsartig zugenommen.

In irgendeiner halbwegs funktionierenden Wirtschaft stammen all die Kredite, welche die Unternehmen für ihre Investitionen benötigen, von Banken und anderen Finanzinstituten, die dabei wiederum auf die Ersparnisse der privaten Haushalte zurückgreifen. Aber in den heutigen USA fällt die dramatische Kreditausweitung mit einem vollständigen Zusammenbruch der privaten Ersparnisbildung zusammen. Wie refinanzieren sich also die amerikanischen Banken? Nun, in immer stärkerem Maße dadurch, daß sie sich selbst, im Inland wie im Ausland, verschulden. So ist das Schuldenwachstum des US-Finanzsektors inzwischen völlig außer Kontrolle geraten.



Illusionen, die platzen müssen
Im Jahre 1999 erreichte die jährliche Neuverschuldung des US-Finanzsektors bereits den schwindelerregenden Wert von 1087 Mrd. Dollar; ungefähr so viel wie die gesamte deutsche Staatsverschuldung nach einem Zeitraum von mehr als 50 Jahren. Längst hängt die amerikanische Wirtschaft, wie auch die amerikanischen Finanzmärkte, am Tropf ausländischen Anlagekapitals. Und sobald die mit allerlei statistischen Manipulationen genährten Illusionen von niedriger Inflation, hohen Produktivitätszuwächsen und "sanfter Landung" platzen, droht die lebenswichtige Liquiditätszufuhr von außen auszutrocken oder sich gar ins Gegenteil zu verkehren. Rund die Hälfte der privaten Haushalte müßte dann zusehen, wie ihre Papiervermögen auf den Aktienmärkten vernichtet werden, was seit dem Frühling 2000 ja schon in erheblichem Umfang stattfindet, während zugleich ihre aberwitzig hohen Schulden bestehen bleiben und sie vielleicht auch noch ihren Arbeitsplatz verlieren.

Für die Zeit des Präsidentschaftswahlkampfes ließen sich die Illusionen noch irgendwie aufrechterhalten. Aber der Erfolg dieser verzweifelten Bemühungen war bereits im Verlaufe der September- und Oktoberstürme an den Technologiebörsen recht dürftig ausgefallen. Und ganz plötzlich warten Medienvertreter und Finanzexperten mit Enthüllungen über den Zustand der US-Wirtschaft auf, von denen man dies am allerwenigsten erwartet hätte.

Selbst die Tageszeitung Die Welt, die bislang wenig Zweifel an ihrer euphorischen Einstellung zum "US-Wirtschaftsboom" aufkommen ließ, sieht sich mit einem Mal genötigt, über die unausgesprochenen "Abgründe Amerikas" zu referieren. Es sei geradezu ein Kennzeichen der heutigen Befindlichkeit in den USA, daß sich Al Gore und George W. Bush in ihren Wahlkampfauftritten lange darüber auslassen, wie sie die in Zukunft erhofften Überschüsse des Regierungshaushaltes verteilen wollen, daß aber keiner von ihnen jemals die wirklichen Themen beim Namen nennt: den "Börsencrash", die "sicher drohende Rezession" und das "dünne Eis des Wohlstandes". Den Amerikanern unter 40 Jahren fehle vollständig die Erinnerung an schlechte Zeiten. Doch das könne sich sehr bald ändern: "50% der Aktienbesitzer verfügen über weniger als 50000 Dollar Einkommen im Jahr, ihre Solidarität mit superreichen Spekulanten hält sich in engen Grenzen. Solange alle mehr oder weniger bei dem Achterbahnlauf der Kurse profitieren, spielen auch untere Mittelständler so gelassen mit Aktien, wie sie früher ihre Tippzettel ausfüllten. Von einem schwarzen Freitag, der ihre Träume von sicheren, ja aufblühenden Depots für College-Gebühren und Renten ruinieren würde, ist im Wahlkampf nie die Rede." Ein "Kurssturz mit all seien brutalen sozialen Folgen" sei genau so tabu wie die Abhängigkeit der US-Wirtschaft von ausländischem Kapital. Angesichts der "wuchernden Überschuldung der privaten Haushalte" sei das "Eis, auf dem die Familien tanzen" sehr dünn: "Eine Rezession würde sie ins Bodenlose fallen lassen."



"Imperiale Überdehnung"
In einem Interview mit dem Spiegel ging der amerikanische Asienexperte Chalmers Johnson, der über jahrzehntelange Erfahrung im US-Außenministerium verfügt, noch erheblich weiter. Gefragt über die globale Rolle der USA antwortete Johnson: "Hochmut kommt immer vor dem Fall. Aus der Geschichte wissen wir, daß Weltreiche früher oder später kritische Stadien erreichen. Amerika ist arrogant, überheblich, selbstsicher. Für die meisten Amerikaner war es noch 1988 unvorstellbar, daß die Sowjetunion drei Jahre später verschwinden würde - auseinandergebrochen und am Ende." An dieser Stelle fielen die Spiegel-Journalisten von ihren Stühlen und fuhren Johnson an, er könne doch nicht allen Ernstes einen so "merkwürdigen Vergleich" wie den zwischen den USA heute und dem Sowjetreich damals aufstellen. Schließlich sei das Hauptthema des Wahlkampfs die Verwendung riesiger Haushaltsüberschüsse. Wie könne er da "Kassandra spielen" und von einem "bevorstehenden Zusammenbruch" der USA reden? Johnson erwiderte: "Was die Sowjetunion zu Fall brachte, war ihre imperiale Überdehnung, nicht der Wettbewerb mit den USA oder die Unfähigkeit zur Reform. Amerikaner denken, sie seien gegen das russische Schicksal immun. Das ist falsch. Amerikaner haben wenig Talent zur Veränderung." Die US-Wirtschaft stehe längst auf "tönernen Füßen". Und nach dem 7. November beginne ein neuer politischer Zyklus, der vermutlich einen "ökonomischen Niedergang" und eine "abrupte Wende" bringen werde.

Auch der für seine Schocktherapien in Rußland und anderswo bekannte US-Ökonom Jeffrey Sachs stimmt in den Chor mit ein. Am 3. November wies er auf den alten Erfahrungssatz hin, daß die Stimmung an den Börsen jeweils von aufeinanderfolgenden Phasen von Optimismus, Euphorie, Pessimismus und Panik bestimmt sei. In den USA sei man nun in der Phase des Pessimismus angelangt. Er wolle ja nicht den Teufel an die Wand malen. Aber sollte eine Panik ausbrechen, so würden "Billionen Dollar an Wertpapierwohlstand" verschwinden und "die amerikanische Politik würde dramatisch angeheizt".

Der Finanzredakteur des Londonder Guardian Larry Elliott warnte am 6. November, daß sich die Haltung des amerikanischen Establishments, die finanzielle und wirtschaftliche Bedrohung einfach zu leugnen, bitter rächen werde. Der Nachfolger von Bill Clinton werde von diesem die "schlimmste finanzielle Pyramide der Nachkriegszeit" erben. Insofern könne jeder der beiden Kandidaten froh sein, wenn er die Wahlen verliere.

Lothar Komp
 
aus der Diskussion: Sell Off am Montag?
Autor (Datum des Eintrages): rich  (14.11.00 12:34:29)
Beitrag: 17 von 22 (ID:2343328)
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