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8.

Beim Verlassen des Gebäudes holte Jean Paul sein Handy aus der Jackentasche und schaltete es wieder ein. Während er über den Bürgersteig zu seinem Parkplatz schlenderte, sah er auf dem Display, dass ihn vorhin jemand vergeblich angerufen hatte. Er rief umgehend zurück, denn es handelte sich um die Nummer einer Internet-Bekanntschaft, mit der er schon seit langem chattete und Emails austauschte.
„Hat es geklappt?“, fragte sie ohne Umschweife.
Wenn er sie so hörte, bezweifelte er jedesmal, ob sie wirklich schon volljährig war, aber schließlich wohnte sie allein und hatte ihm das Foto aus ihrem Pass geschickt, auf dem sie nach mindestens Mitte Zwanzig aussah.
„Ich glaube schon.“
„Du bist so ein Schlaffi!“, schimpfte sie in ihrem kindlichen Tonfall. „Sei doch mal etwas energischer, dann kommst du auch weiter!“
„Du redest wie meine Mutter“, sagte er knurrend.
„Dann hat deine Mutter auch Recht!“
Alarmstufe Rot. Die kannten sich noch nicht, aber sie waren schon einer Meinung. Wie im Kindergarten. Mädchen gegen Jungs.
„Ich soll drei Tage Praktikum machen“, sagte er.
„Ja! Warum muss ich vierzehn Tage machen und du nur drei?“
„Deute mein Schweigen.“
Pause
„Hast du jetzt Zeit?“, fragte sie. „Ich habe ein paar Tage frei. Wir könnten uns endlich treffen.“
„Wo?“
„Bei mir natürlich“, sagte sie. „Heute abend. Kannst hier übernachten.“
Er stellte fest, dass er an seinem Auto vorbei gelaufen war und blieb stehen.
„Gleich beim ersten Real-Treffen?“
Sie schnaubte.
„Ich habe auch ein Sofa!“
„Da bin ich aber beruhigt“, sagte er. „Dann brauchst du wenigstens nicht auf dem Boden zu schlafen, falls wir uns nicht einig werden.“
Da war es wieder, das typische Problem von Jean Paul. Wenn man ihn ermutigte, energischer zu sein, neigte er dabei ansatzweise zu leichten Übertreibungen!
Seine neue Chefin verließ jetzt ebenfalls das Gebäude. Sie sah ihn auf dem Parkplatz stehen und beim Telefonieren mit der freien Hand rumfuchteln. Seufzend fragte sie sich, was sie falsch gemacht hatte, dass sie jetzt schon einen solchen Blödmann anheuern musste. Aber wahrscheinlich war das schon immer ihr Fehler gewesen: Gutmütigkeit!

Fortsetzung folgt

Vorschau:
Es geht weiter, doch es wird nicht besser!
 
aus der Diskussion: Telefon-Agent: Die Abenteuer des
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (29.08.06 11:52:31)
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