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[posting]23591702[/posting]11.
Als sie vor ihm ging, starrte er auf ihre ausgestellten Ellenbogen. Wenn das alles Muskeln gewesen wären, hätte er sie für „Anna Bolika“ persönlich gehalten.
„Setz dich“, sagte sie schließlich und deutete auf drei kleine Sofas, die um einen kleinen Tisch herum standen. „Wie willst du deinen Kaffee?“
„Mit etwas, aber wirklich nur etwas Milch.“
„Kein Zucker?“
„Nö.“
„Süßstoff?“
„Nö, nur Milch.“
„Entschuldige, dass ich gefragt habe!“, keifte sie ihn an und drehte sich zu ihm um.
Wenn er sich so erschrak, wie es jetzt der Fall war, nahm er normalerweise unwillkürlich die Arme hoch und ging instinktiv zumindest ansatzweise in Kampfstellung, aber zum Glück passierte ihm das diesmal nicht. Er guckte nur zur Tür und drehte sich mit voll angespannten Beinmuskeln in diese Richtung, ehe es ihm bewusst wurde.
„Ach ja, wir leben gesund!“, sagte sie verächtlich. „Setz dich!“
„Am Telefon warst du netter“, stellte er fest.
„Aber ich habe dir trotzdem gesagt, dass ich nicht ganz deinem Schönheitsideal entspreche!“
„Richtig.“ Er nickte. „Ich erinnere mich. Du hattest nach meiner letzten Freundin gefragt und ich hatte dir erzählt, dass sie sehr sportlich war...“
„.. und lange Haare bis fast auf den Hintern hatte...“ sagte sie stöhnend.
Es klang, als wenn einem Reifen Luft entwich.
„Und welche Frau ist schon so“, sagte er.
„Und warum hast du dich dann von ihr getrennt?“
„Sie war zickig“, erinnerte er.
„Das bin ich auch!“, sagte sie mit einem breiten Grinsen, das man auch in ihrer Stimme hörte. Da war es wieder, dieses umwerfende Telefonlächeln, das sich so anhörte, als würde ein nettes Mädchen so breit von einem Ohr zum anderen grinsen, wie es eigentlich nur Trickfilm-Figuren konnten.
„Immerhin, dann bin ich ja doch nicht ganz anders!“, gröhlte sie.
Er fiel in das Sofa hinter ihm.
„Als du sagtest, dass du 130 Kilo wiegst, dachte ich, dass du Scherze machst“, sagte er.
Manche Frauen, die im Internet chatteten, behaupteten sogar plötzlich, sie seien Männer, also „Fakes“, wenn sie einen überflüssig gewordenen Verehrer schnell loswerden wollten.
„Das war ja auch ein Scherz“, rief sie und ließ ein wieherndes Lachen folgen. „In Wirklichkeit sind es 160 Kilo! Aber ich habe mich lange nicht mehr gewogen und inzwischen könnten es auch 180 sein!“
Ihre Wohnung gefiel ihm besser als seine eigene. Sie war viel größer. Aber die Gute brauchte schließlich auch mehr Platz.
„Entzückend“, sagte höflich. „Aber am Telefon klingst du anders...“
„Blödsinn“, rief sie aus der Küche, wo sie sich zwischen Dachschräge und Kochnische gezwängt hatte. „Alle Frauen, die so klingen, haben Rubens-Figuren! Ich arbeite in einem Call-Center! Die Kolleginnen, die eine schöne Stimme und entsprechenden Erfolg haben, sehen alle wie ich aus! Nur dann hat man den richtigen Klangkörper! Gute Opernsängerinnen sind auch immer dick!“
„Meine neue Chefin ist sehr schlank“, sagte er.
Sie kehrte mit zwei großen Tassen, die in ihren Händen aber eigentlich nicht so groß aussahen, aus der Küche zurück.
„So ein Vorzeige-Püppchen haben wir natürlich auch... um Auftraggeber zu becircen und...“
Sie reichte ihm den Kaffee.
„... um Naivlinge wie dich anzulocken!“

Fortsetzung folgt

Vorschau:
Jean Paul stellt fest, dass tatsächlich die größten Telefon-Agentinnen die mit Abstand größten Erfolge haben. Aber vorher werden er und die Verführerin aus dem Internet noch dicke Freunde!
 
aus der Diskussion: Telefon-Agent: Die Abenteuer des
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (01.09.06 10:25:52)
Beitrag: 21 von 352 (ID:23715559)
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