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DER FALL ATES Keine Sicherheit für eine engagierte Frauenrechtlerin und Islam-Kritikerin

Politik will Opferschutz überprüfen
Seyran Ates hatte Angst um ihr Leben – jetzt analysieren Innensenator, Justizsenatorin und die Polizei, ob man sie hätte besser bewachen können

Nach dem Rückzug der Frauenrechtlerin und Anwältin Seyran Ates ist die Bestürzung bei allen Politikern groß. Frauensenator Harald Wolf (Linkspartei) und Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) wollen mit Seyran Ates über ihre Entscheidung noch einmal sprechen. Für Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ist Ates’ Schritt ein „Alarmzeichen“. Er habe „hohen Respekt vor der Arbeit von Frau Ates“. Die vielfache Preisträgerin, die sich seit Jahren für die Rechte muslimischer Frauen einsetzt, hatte nach mehreren Bedrohungen ihre Anwaltszulassung zurückgegeben. Zuletzt hatte der muslimische Ehemann einer Mandantin sie anzugreifen versucht.

Seyran Ates kritisiert auch die SPD, deren Mitglied sie ist. Dort herrsche eine „Migrantenpolitik, die verharmlost“. Das weist SPD–Landes- und Fraktionschef Michael Müller entschieden zurück. „Über Chancen und Probleme der Migration gibt es in der Partei eine differenzierte Diskussion“, sagte Müller. Bei der SPD schaue niemand über Probleme hinweg. Innensenator Körting appellierte auch an türkische Verbände, „aktiv zu werden und Unterdrückungsmechanismen bis hin zur Bedrohung nicht zuzulassen“.

Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, hofft, dass Seyran Ates ihren Schritt noch einmal überdenkt und fordert erneut eine Diskussion in der türkischen Gemeinde über Integration. Allerdings weist er Körtings Fingerzeig auf türkische Verbände zurück. „Was haben die Sicherheitsbehörden gemacht“, fragt Kolat. Nach Tagesspiegel-Informationen prüft die Polizei zurzeit, warum Seyran Ates keinen Polizeischutz bekommen hat. Die Anwältin hatte dem Tagesspiegel gegenüber erklärt, dass sie vergangenes Jahr Polizeischutz beantragt hatte, dieser aber abgelehnt worden sei.

Grünen-Politiker Volker Ratzmann sagt, dass die Polizei „Frauen oft nicht ernst nimmt, wenn sie bedroht (Oha, das sagt ausgerechnet einer von den Grünen, von denen die Mehrzahl fast mit Tränen der Rührung in den Augen vom ach so intakten türkischen Familienleben schwärmt und wie happy da alle seien, weil die da noch alle Respekt voreinander hätten und Stoff dieser Art, weiowei). Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern betonen zwar die gute Zusammenarbeit mit der Polizei, doch für Frauen, die bedroht werden, gibt es keinen Personenschutz – ausgenommen, sie sind im Zeugenschutzprogramm. Frauenverbände fordern schon lange eine Ausweitung des Opferschutzes. Auch die Justizsenatorin will sich „von Frau Ates konkret ihren Fall schildern lassen“. Sollte es „Lücken“ geben, müssten diese geschlossen werden.

In der Regel erhalten Personenschutz gefährdete Personen, die in der Öffentlichkeit stehen. Die so genannte Gefährdungsanalyse übernimmt in Berlin das Landeskriminalamt. Die Polizei rät, dass sich Schutz suchende Privatpersonen an private Sicherheitsfirmen wenden. Auch für Politiker gibt es sehr unterschiedliche Stufen der Bewachung. In Berlin werden von den Senatsmitgliedern nur der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Innensenator Körting rund um die Uhr von mehreren Beamten bewacht. Der Polizeipräsident wird nur bei bestimmten Anlässen von Beamten begleitet, zum Beispiel am 1. Mai in Kreuzberg, nicht jedoch, wenn er abends zu einem Empfang geht. Darüber, welche anderen Personen des öffentlichen Lebens geschützt werden und welche nicht, gibt die Polizei keine Auskunft, damit die Taktiken nicht bekannt werden.

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Bedroht – und alleine gelassen
Anwältin Seyran Ates wirft Politikern mangelnde Unterstützung vor

Die Mitarbeiterinnen sind woanders untergekommen, gestern wurden die Büromöbel abgeholt. Das ist das Ende der Rechtsanwaltskanzlei Seyran Ates. „Mich zurückzuziehen, war eine schwere Entscheidung“, sagt Ates, „aber mein Leben und das meiner kleinen Tochter gehen vor.“ Die 43-jährige Juristin, die in den vergangenen Jahren vehement für die Rechte vor allem muslimischer Frauen gestritten hat, gab jetzt ihre Zulassung als Anwältin zurück, weil sie Angst um ihr Leben hatte. Die verbliebenen Rechtsfälle übernehmen Kolleginnen.

Auch sie hätten nun Angst, dass sie künftig bedroht werden, sagt Ates. Die meisten Fälle, mit denen sich die bundesweit bekannte Anwältin und Frauenrechtlerin befasst hatte, sind Streitfälle in türkischen Familien. Immer wieder wurde sie von den Ehemännern und Verwandten ihrer Mandantinnen beleidigt und angefeindet. Der Anlass für ihren Rücktritt war ein Vorfall Anfang Juni. Nach einem Gerichtstermin in einem Scheidungsverfahren hatte der Ehemann ihre Mandantin gegenüber dem Gerichtsgebäude vor ihren Augen zusammengeschlagen und auch sie anzugreifen versucht. „Ich ziehe mich aus der Anwaltstätigkeit zurück, meine Mandantin lebt im Frauenhaus, aber der Schläger läuft frei rum“, sagt Ates wütend. Ja, sie fühle sich von der Polizei und der Politik alleine gelassen.

Am 7. Juni habe sie Anzeige gegen den gewalttätigen Ehemann erstattet und einen Strafantrag gestellt, passiert sei bisher nichts. Im März vergangenen Jahres habe sie beim Berliner Landeskriminalamt für sich Polizeischutz beantragt, nachdem die türkische Zeitung „Hürriyet“ sie über Wochen angegriffen hatte. Sie hatte sich zuvor kritisch über Missstände in türkischen Familien geäußert. Man habe sich umgehört, so sehr bedroht sei sie nicht, habe sie von der Polizei daraufhin als Antwort bekommen. Ohne konkreten Anschlag könne man nichts machen. „Da muss sich viel ändern“, sagt Ates, „das Opferschutzgesetz muss dringend erweitert werden.“

Bei Politikern, auch bei ihren Parteifreunden von der SPD, sei sie aber auf taube Ohren gestoßen. „In der SPD herrscht immer noch eine Migrantenpolitik, die verharmlost.“ Politiker würden die Bevölkerung zu mehr Zivilcourage aufrufen. „Das ist richtig, aber dann muss man die Leute auch schützen.“

Vor 20 Jahren wurde Ates von einem Muslim angeschossen. Sie überlebte schwer verletzt – und setzte ihren Kampf für die Rechte von Frauen fort. „Ich wollte mich durch das Attentat nicht von meinem Traum abbringen lassen, Jura zu studieren“, sagt sie. „Aber damals war ich alleine.“ Jetzt zähle ihre zweijährige Tochter. Irgendwie will sie sich trotzdem weiter engagieren, auf Missstände in der muslimischen Gemeinde aufmerksam machen, Vorträge halten, aufklären. „Die Realität sieht schlimm aus. Angesichts der Weltpolitik nimmt der Hass und die Aggressivität unter Muslimen zu“, sagt sie. clk

www.tagesspiegel.de
 
aus der Diskussion: Seyran Ates gibt auf
Autor (Datum des Eintrages): LadyMacbeth  (03.09.06 23:16:11)
Beitrag: 6 von 54 (ID:23751344)
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