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19.

Wenn mich Leute anrufen, um mir Lotto- oder Lotteriescheine zu verkaufen, sage ich wahrheitsgemäß, dass ich grundsätzlich nicht spiele und lehne alle entsprechenden Angebote ab. Ein guter Telefon-Agent wird die Weltanschauung und Prinzipien des Kunden respektieren und sich dann höflich verabschieden. Ein guter Telefon-Agent ist zum Beispiel jemand, der bei NUMMER EINS ausgebildet und übernommen wurde. Aber natürlich hat NUMMER EINS es überhaupt nicht nötig, für Glücksspiele zu werben. Das tun höchsten ehemalige NUMMER EINS-Mitarbeiter, die einem auf diese Weise auch gleich erklären, warum sie dort nur Eintagsfliegen waren.
Da ich irgendwann in meiner Jugend so unvorsichtig war, mir beim Verlassen eines Supermarktes ein kostenloses Probeexemplar einer Tageszeitung aufschwatzen zu lassen und dafür meinen Namen auf eine Karte zu schreiben, werde ich allerdings hauptsächlich von Leuten angerufen, die mir ein Abo verkaufen wollen. Ungefähr zweimal pro Woche habe ich jemandem mit diesem Anliegen am Telefon. Wenn ich mehr zu Hause bin, natürlich öfter. Manchmal auch zweimal am Tag, bisweilen von zwei Leuten innerhalb von zehn Minuten. Eines Tages wurde ich beim Abheben regelrecht angeschnauzt: „Ich rufe Sie an, weil Sie IMMER NOCH keine Zeitung von uns abonniert haben!!!“ Seitdem kommt es häufig vor, dass ich sofort auflege, wenn ich gleich höre, dass ich schon wieder eine Zeitung abonnieren soll. Manchmal ziehe ich dann den Stecker vom Telefon raus. Wenn ich mindestens 15 Minuten warte, ehe ich das Telefon wieder anschließe, habe ich gewöhnlich den Rest des Tages vor diesem Agenten Ruhe.
Noch überflüssiger sind die Anrufe, die mich Sonntag mittag oder in der Woche morgens um ein Uhr erreichen und bei denen ich dann eine Bandansage vorgespielt bekomme, die mir von irgendwelchen dubiosen Gutscheinen erzählt, für die ich die Sterntaste drücken soll, um mich irgendwo einzuwählen und für die Herstellung dieser Verbindung später mit einer dreistelligen Rechnung überrascht zu werden. In solchen Fällen ertappe ich mich regelmäßig dabei, dass meine Ablehnung der Todesstrafe plötzlich ins Wanken gerät.
Telefoniere ich mit einer Firma, bei der ich bereits Kunde bin, sieht die ganze Sache natürlich ganz anders aus. Dann höre ich mir immer an, was für Fragen oder Angebote kommen.
Leider gehören nur wenige Werbeanrufe in diese Kategorie.
Jean Paul sah dieses Thema inzwischen längst aus einer anderen Perspektive. Er wollte jetzt ganz unten anfangen und sich nach und nach hocharbeiten. Wenn man Lotto und Lotterie an verkaufen konnte, dann konnte man alles verkaufen. Mit etwas Glück saß er dann auch irgendwann auf einem Posten, von dem aus er nur noch einen lächerlichen Bruchteil der Anrufe machen musste, die von einem normalen Telefon-Agenten gefordert wurden und schon mit wenigen Anrufen bei einigen reichen Geschäftskunden imposant zum Umsatz einer richtigen Firma beitrug.
Die Methode „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ funktionierte leider nicht mehr. Inzwischen musste man noch tiefer anfangen. Zum Beispiel als Telefonverkäufer mit einem Grundlohn von vier Euro, was weit unter dem lag, was viele Tellerwäscher verdienten.
Und darum fing Jean Paul schon am ersten Tag an, selbst zu telefonieren. Bei seinem allerersten Anruf kamen sofort zwei gute Fragen: „Sind sie wirklich von der Lotto-Zentrale? Und habe ich schon gewonnen?“

Fortsetzung folgt

Vorschau:
Jean Paul lernt einen absoluten Top-Verkäufer und dessen Methode kennen!
 
aus der Diskussion: Telefon-Agent: Die Abenteuer des
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (10.09.06 18:36:54)
Beitrag: 31 von 352 (ID:23864013)
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