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... und die Lemminge.


SPIEGEL ONLINE - 22. November 2000, 18:21
URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/finanzen/0,1518,104181,00.h…
Neuer Markt

"Wie die Lemminge"



Der große Ausverkauf steht dem Neuen Markt noch bevor, glaubt der Münchner Vermögensverwalter Jens Ehrhardt. Er sprach mit SPIEGEL ONLINE über die Situation an der Börse und Alternativen zu den Wachstumswerten.

SPIEGEL ONLINE: Herr Ehrhardt, der Neue Markt ist am Mittwoch erneut stark eingebrochen. Wäre es jetzt nicht eine glänzende Gelegenheit, Wachstumswerte billig nachzukaufen?


© DPA

Anzeigetafel für den Neuen Markt (in Frankfurt): Überteuerte Qualitätstitel

Jens Ehrhardt: Das empfehlen die Banken ja schon seit dem Beginn der Kursverluste, und bisher war es immer falsch. Viele Berater haben noch vor wenigen Wochen heile Welt gespielt und zu Zukäufen im Herbst geraten. Deshalb sind die Anleger gerade erst so weit, dass sie am Neuen Markt nicht mehr nachkaufen. Sie verkaufen aber immer noch nicht.

SPIEGEL ONLINE: Also ist der Neue Markt noch nicht auf der Talsohle angelangt?

Ehrhardt: Nein. Im Frühjahr sind die Anleger so an den Neuen Markt gestürmt, wie ich das in über 30 Jahren Börsenerfahrung noch nie in einem Börsensegment erlebt habe. Bei einer so übertriebenen Begeisterung muss es auch eine extreme Gegenbewegung geben, und die war bislang noch nicht ausreichend.

SPIEGEL ONLINE: Wann ist Ihrer Meinung nach mit einem Aufschwung zu rechnen?

Ehrhardt: Man muss darauf warten, dass die großen Verkäufe einsetzen. Der Neue Markt kommt erst zum Stehen, wenn die Anleger ihre Fonds verkaufen. Die Gewinne vieler Fonds waren ja teilweise nur durch irrwitzige Manipulationen möglich. Um Kursverluste bei den umsatzstärkeren Werten aufzufangen, wurden kleinere Titel in den Portefeuilles künstlich gestützt. Wenn die Anleger das begreifen - und das wird nicht mehr lange dauern - werden sie solche Fonds wieder abstoßen. Und wenn eine Verkaufswelle bei den Fonds einsetzt, dann ist der Neue Markt unten und man kann die Aktien einsammeln.

SPIEGEL ONLINE: Wenn sich nun die Spreu vom Weizen trennt, in welche Werte würden Sie am Neuen Markt überhaupt noch investieren?

Ehrhardt: Am Neuen Markt gibt es einerseits solche Werte, die in ihrer Bewertung von den Fonds nach oben verzerrt sind. Und es gibt Titel, die von ihrer Substanz her gut sind, wie etwa Aixtron, Adva, Quiagen und Singulus. Aber mittlerweile sind auch diese Qualitätstitel überteuert. Die Anleger haben die Aktien gekauft, als ob sie nur noch steigen könnten und sich nicht gefragt, ob ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 1500 nicht ein bisschen überzogen ist.

SPIEGEL ONLINE: Welche Alternativen gibt es zu den Wachstumswerten am Neuen Markt?

Ehrhardt: Einige Mid-Cap-Werte, also mittelgroße Titel, sind von der Bewertung her günstig. Im letzten Jahr haben alle wie die Lemminge diese Werte abgestoßen und in die New Economy investiert, was zu viel zu niedrigen Bewertungen bei den Mid-Cap-Stocks geführt hat. Natürlich gibt es da auch viele langweilige und schlechte Unternehmen. Aber bei einigen Unternehmen mit Substanz liegt der Kurs unter dem Buchwert.

SPIEGEL ONLINE: Wie reagieren die institutionellen Anleger auf den Kursrutsch am Neuen Markt?

Ehrhardt: Die institutionellen Anleger sind nicht unbedingt die Ersten, die handeln. Am Neuen Markt haben ja auch zuerst die Privatanleger die Werte nach oben getrieben, bevor die Institutionen nachzogen. Sie müssen auch nicht zwangsläufig erfolgreicher sein als die Privatanleger. Die Privatanleger argumentieren zwar häufig nur relativ simpel anhand des Kursverlaufes, haben aber oft mehr gesunden Menschenverstand als manche Analysten, die den steigenden Kursen nur eine Begründung hinterherschieben.

Das Interview führte Martin Paetsch


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aus der Diskussion: #### Crash am Neuen Markt - Sind es die Altaktionäre ????? ######
Autor (Datum des Eintrages): fischfresser  (22.11.00 23:31:07)
Beitrag: 6 von 11 (ID:2402427)
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