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33.


Marie betrat das Wohnzimmer und blieb in der Mitte stehen. Ihre Freundin lief im Raum herum und rückte oder zupfte Dinge zurecht- überall. Währenddessen behielt sie Marie permanent im Auge.
Jean Paul platzierte sich so, dass er beide Frauen gleichzeitig im Blick hatte. Dann fiel ihm wieder der Mann ein. Er stellte sich mit dem Rücken zur Wand. Der andere Mann stellte sich neben ihn. Jean Paul rückte automatisch ein Stück in die andere Richtung.
Die Blonde setzte sich auf das größere der beiden Sofas, sah Marie an und klopfte schweigend auf den freien Platz neben sich. Jean Paul verspürte die Neigung, sich anstelle Marie dorthin zu setzen und sich witzig vorzukommen, aber Marie reagiert unglaublich schnell, ehe sie wieder völlig bewegungslos wurde.
„Sitz“, sagte die Blonde zu Jean Paul und deutete auf das kleinere Sofa ihr gegenüber.
Jean Paul nahm genau in der Mitte des Sofas Platz.
„Rück mal rüber“, sagte der andere Mann. Er legte seine Hand auf Jean Pauls Schulter und drückte ihn zur Seite. Jean Paul schoß nach oben und zur Seite, als hätte er einen schmerzhaften elektrischen Schlag bekommen. Fast wäre er über die Armlehne der Couch hinweg gesprungen.
„Ist das nicht ein schönes Paar!“, rief die Blonde.
So ein fieses Grinsen hatte er seit einem Jahrzehnt nicht mehr zu sehen bekommen, denn so lange war seine Ausbildung zum Koch und seine letzte Begegnung mit seiner Ausbilderin vorbei.
„Er kommt gerade von der Maloche“, sagte die Blonde. „Er ist noch ganz schmutzig und verschwitzt. Ein richtiger Mann eben“, sagte sie süffisant.
Jean Paul sah nach hinten.
Stand hinter ihm ein Fernseher?
„Sie meint mich“, sagte der andere.
„Ist das dein Freund?“, fragte er Jean Paul und sah Blondie an.
„Deine Bekanntschaft versucht krampfhaft, witzig zu sein“, sagte Blondie zu Marie.
Marie zeigte keine Reaktion, außer knallrot zu werden.
„Er baut sich ein Haus“, sagte Blondie dann. „Ganz allein. Und dann zieht er hier aus.“
„Ich könnte eine andere Wohnung brauchen“, sagte Jean Paul. Der Gedanke, unten zu wohnen und sich ein Haus mit zwei gutaussehenden Frauen zu teilen, weckte in ihm angenehme Erinnerungn.
„Muss ich mich schon bedanken?“, fragte er in den Raum
„Willst du“, fragte der Mann. „Bist du ein guter Koch? Dann nehme ich dich vielleicht mit!“
„Wie bitte... was?“, fragte Jean Paul.
Blondie guckte ihn wieder mit kaltem Zorn an. Dann wandte sie sich Marie zu.
„Ich habe von der Arbeit aus die Feier geplant. Soll ich auch Alex und Karlchen wieder einladen?“, fragte sie.
„Eure Freunde haben aber witzige Namen“, sagte Jean Paul. „Wie heißen die eigentlich richtig? Alexandra und Karl oder Alexander und Karla?“
„Alexandra und Karla“, sagte Marie ernst.
„Alexandra war mit Marie befreundet, ehe wir beide uns kennenlernten“, sagte Blondie zornig.
„Ja und?“, fragte Jean Paul. „Hatte sie eine schlechten Einfluss auf Marie oder hat sie sich Geld geliehen und nicht zurück gegeben?“
Jetzt sahen beide Frauen ihn zornig an.
Schweigen.
Aus den Augenwinkeln sah Jean Paul, dass der Mann ihn anstarrte, wie er schon lange nicht mehr angestarrt worden war. Ungefähr seit dreizehn Jahren, seit dem gruseligsten aller Vorstellungsgespräche, auf das drei wirklich üble Jahre gefolgt waren.
Jean Paul ignorierte ihn.
„Also Kochen ist dein Hobby!“, rief der Mann.
Da war schon wieder eines seiner immer wiederkehrenden Probleme. Er ignorierte jemanden, aber derjenige wollte nicht ignoriert werden oder machte ihm das Ignorieren aus Tolpatschigkeit schwerer als nötig.
„Nein, Koch ist nicht mein Hobby, war nie mein Hobby und wird nie mein Hobby sein“, stellte Jean Paul klar. „Ich ernähre mich seit jeher völlig ausreichend mit Stullen, Currywurst, Pommes und Protein-Drinks. Alles andere war rein beruflich. Um Geld zu verdienen und die Welt zu sehen.“
Zwischenzeitlich war es mehr gewesen, aber die kleinste Erinnerung an seine Ausbilderin ließ ihn jedesmal sofort wieder vergessen, dass er als Koch lange Zeit viel Ehrgeiz und Idealismus verspürt hatte.
„Was kochst du denn so?“, fragte der Mann weiter.
„Angebranntes“, knurrte Jean Paul.
„Dann schmeckt es bei dir ja wie bei Muttern“, sagte er fröhlich.
Jean Paul sah ihn nun doch an.
„Konnte deine Mutter dich auch gut verarzten, wenn du zum Beispiel eine Platzwunde hattest?“
„Natürlich.“
„Und ist sie jetzt gerade in der Nähe?“
„Nein.“
„Dann halte jetzt lieber die...“
Blondie begann heftig zu atmen.
„Vielleicht können wir Sammy und Marty einladen!“, rief sie in den Raum.
Jean Paul fühlte sich mittlerweile nennenswert genervt und musste Dampf ablassen, indem er einfach stänkerte.
„Sammy und Marty?“, wiederholte er. „Was ist das denn wieder für ein Paar? Zwei Kerle oder was!“
„Nein“, widersprach Blondie, „das sind Samantha und Martina. Aber wir könnten auch mal zwei Männer einladen. Wie ist es mit euch beiden?“
„Was ist das überhaupt für eine Feier?“, fragte Jean Paul.
„Es ist spät“, sagte Blondie. Sie sah Marie an. „Ich bringe deinen Mitläufer zur Tür.“
Jean Paul ließ sich von ihr nach draußen geleiten. Er holte sich an der Tankstelle zwei Dosen Bier zum Einschlafen.

Fortsetzung folgt

Vorschau:
Wird Jean Paul sich jemals von dieser Enttäuschung erholen?
 
aus der Diskussion: Telefon-Agent: Die Abenteuer des
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (28.09.06 12:09:35)
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