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36.

„Manche Leute spielen grundsätzlich nicht.“, sagte der Teamleiter. „Da kannst du dir den Mund fusselig reden und und erntest höchstens Selbstzweifel. Dann verschwende nicht deine Zeit, sondern rufe den nächsten an!“
„Verstanden“, sagte er und telefonierte so fleißig, wie er früher in der Fabrik an der Maschine gearbeitet hatte.
Bald brauchte er eine neue Liste mit Telefonnummern.
„Du bist zu schnell“, sagte der Teamleiter.
„Wieso zu schnell?“, fragte Jean Paul.
„Du gibst zu schnell auf! Bei jeder Liste müssen eine gewisse Anzahl von Abschlüssen rausspringen!“
„Du hast doch gerade eben gesagt, ich soll mir nicht den Mund fusselig reden, wenn einer überhaupt nicht will!“
„Aber es gibt genug, die wollen“, erklärte der Teamleiter, „und du musst um jeden Einzelnen kämpfen!“
Jean Paul fand jetzt irgendwie widersprüchlich.
„Und woher weiß ich, ob ich mir nur sinnlos den Mund fusselig rede oder sich das Kämpfen lohnt?“
„Das sagt dir die Erfahrung.“
„Aber ich habe keine Erfahrung. Darum bin ich Praktikant.“
„Dann übe weiter“, sagte der Teamleiter.
Anschließend hatte Jean Paul wieder einen Rentner dran, der so gehässig und aggressiv redete, wie man es nur sich nur vorstellen konnte. Ihm kam der Verdacht, dass diese Herren in eine Phase ihrer Kindheit zurückfielen und sich wie auf dem Schulhof fühlten, wo es als wahre Männlichkeit galt, sich einfach möglichst unfreundlich und fies zu benehmen.
Der Teamleiter neben ihm telefonierte gerade mit einer freundlichen, aber misstrauischen Dame, die ihm nicht glaubte, dass sie bei einer Sonderauslosung gewonnen hätte und zu einer sehr limitierten Anzahl von Glücklichen gehörte, denen sich jetzt die einzigartige Chance bot, zu besonders günstigen Bedingungen Lotto zu spielen.
„In ihrem Dorf hat wirklich jeder schon einen solchen Anruf bekommen?“, fragte der Teamleiter. „Das ist aber ein unglaublicher Zufall oder besser gesagt, eine einzigartige Ansammlung von Zufällen. Das kann ich überhaupt nicht glauben! Sind sie sicher?“
Jean Paul telefonierte als nächstes mit einer Putzfrau und danach mit einer Frau, die auf das Haus der Nachbarn achtete, während diese in Urlaub waren.
„Ich habe andauernd die falschen Leute dran“, klagte er dem Teamleiter. „Die Leute auf der Liste sind nicht da, aber der Anstreicher oder Hausmeister oder die Schwiegertochter... Kann ich denen auch Lose verkaufen, auch wenn sie nicht bei der Sonderauslosung gewonnen haben und nicht meine Ansprechpartner sind?“
Der Teamleiter sah ihn an, als wenn Jean Paul den Verstand verloren hätte.
„Die kannst du jedem verkaufen!“
„Aha“, sagte Jean Paul. „Das habe ich auch schon versucht, aber eigentlich nur aus Verzweiflung....“
Der Teamleiter gab ihm eine andere Adresse.
„Hier, versuche es mal bei den Ossis! Die sind naiver!“
„Nu“, sagte Jean Paul.

Fortsetzung folgt

Vorschau:
Paule verkauft sein erstes und einziges Los
 
aus der Diskussion: Telefon-Agent: Die Abenteuer des
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (02.10.06 00:37:40)
Beitrag: 61 von 352 (ID:24333752)
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