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37.

Jean Paul merkte deutlich, dass Ferien waren. Immer wieder hatte er übermütige Kinder und genervte Mütter am Apparat und das meistens auch in genau dieser Reihenfolge. Gerade eben erst war er bei einem Gespräch mit einer Frau fast taub geworden, weil das Kind auf ihrem Arm permanent in den Hörer geschrien hatte.
Endich kaufte ihm jemand ein Los ab. Es war ein grummelnder, aber sympathischer älterer Herr.
"Sie wollen wirklich eines haben?", fragte Jean Paul ungläubig.
"Rede ich so undeutlich? Logisch, dass ich das will, wenn ich es doch sage!"
Seine Kollegen wirkten genauso ungläubig, als er das Formular ausfüllte.
Aber danach ging nichts mehr. Er dachte sich andauernd neue Argumente aus und hörte wiederholt: "Sie haben ja wirklich auf alles eine Antwort!"
Wenn Leute ihm sagten, dass sie total knapp bei Kasse wären, erwiderte er "Und wie sonst können Sie da ohne Glück rauskommen? Und warum wollen Sie dann dem Glück keine Chance geben?"
Logik brachte überhaupt nicht.
Mann musste die Gefühle ansprechen und den Leuten die Begegnung mit Hernando Guano versprechen oder sonstwie rosige Bilder malen, aber das war Jean Paul zu blöd und darum kriegte er das auch nicht hin, selbst wenn er es wollte und so gut wie möglich versuchte.
Immerhin hatte er die ganze Zeit eine schöne Aussicht.
Draußen vor dem großen Fenster liefen pausenlos attraktive Frauen vorbei und wenn ihm etwas den Blick darauf verstellte, war es der weite Ausschnitt der Kollegin gegenüber. Die Gefühle, die er dabei verspürte, machten es ihm überhaupt erst möglich, einen solchen Job auszuüben, denn sie gaben ihm die Sicherheit, dass er immer noch normal war, obwohl er sein halbes Leben lang Bürojobs als Arbeit für Frauen angesehen hatte und darin von seinen Kollegen und Vorgesetzten stets bestätigt worden war.
Er hätte gern noch länger gearbeitet, weil er unbedigt einen zweiten Auftrag schreiben wollte, aber seine Chefin kreuzte wieder pünktlich hinter ihm auf, um ihn nach Hause zu schicken.
Nach Hause.
Vielleicht hatte die Frau von vergangener Nacht ihm eine Mail geschickt.
Vielleicht konnte er Marie wieder beim Inline-Skaten treffen.
Vielleicht wurde der Tag doch noch wirklich gut.

Fortsetzung folgt

Vorschau:
Jean Pauls Hoffnungen erfüllen sich!
 
aus der Diskussion: Telefon-Agent: Die Abenteuer des
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (03.10.06 14:28:46)
Beitrag: 63 von 352 (ID:24376670)
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