Fenster schließen  |  Fenster drucken

39.

Jean Paul versuchte ihr nicht die ganze Zeit auf den Hintern zu starren. Sie hatte zwar keinen Rückspiegel, aber Frauen spürten sowas. Er guckte auf den Gepäckträger und kam fast ins Stolpern. Immer wenn er in eine andere Richtung als geradeaus guckte, stolperte er irgendwie über seine eigenen Füße. Also versuchte er sich auf den Horizont zu konzentrieren. Dieser verfinsterte sich allmählich. Er dachte an das klassische Bild vom einsamen Cowboy, der aus der Stadt und hinein in den Sonnenuntergang reitet. Aber er bewegte sich eigentlich zurück in die Stadt und nicht hinaus.
Marie atmete inzwischen hörbar.
Er ließ den Gepäckträger los und fuhr neben sie.
„Ist das Asthma oder Leidenschaft?“, fragte er.
Noch so ein Spruch, den er seinerzeit im Schachverein aufgeschnappt hatte und der ihm seitdem immer wieder herausgerutscht war.
„Wenn ich wollte, könnte ich dich abhängen!“, sagte sie mit Mühe.
„A lady is never in a hurry.“
„Hat dir jemand ein Buch mit Sprüchen geschenkt?“, fragte sie.
„Mir schenkt keiner was.“
„Aber du hast so ein Buch. Mit nichts als Sprüchen. Garantiert!“
„Schon“, gab er zu, „aber ich musste es mir aus der Stadtbücherei entleihen.“
„Wusste ich es doch.“
„Aber nicht geschenkt.“
Sie waren wieder in der Stadt.
„Wenn ich wollte, könnte ich dich abhängen“, sagte sie erneut. „Ladylike oder nicht!“
„Könntest du nicht. Ich bleibe dran. Gentlemanlike oder nicht!“
Inzwischen war ihr Weg aufgeteilt. Sie fuhr auf dem Radweg und er auf dem farblich abgesetzten Fußgängerweg.
„Aber das wäre illegal.“
„Nur wenn du es schaffen würdest, in Führung zu gehen und ich hinter dir her rennen würde. Das wäre Stalking. Aber neben dir herlaufen darf ich.“
„Du bist auf dem Fußgängerweg und da darfst du nicht schneller als andere Fußgänger sein! Alles andere ist eine Gefährdung!“
„Dann überhole ich dich eben und fahre vor dir auf dem Radweg!“
„Du darfst nicht auf den Radweg! Du bist nur ein Fußgänger mit Spielzeug!“
„Weißt du, was ich wirklich verabscheue?“, fragte er.
„Wenn Frauen dir gegenüber Recht behalten?“
Er winkte ab.
Das war normal.
„Und was ist es dann, was du verabscheust?“
„Gesetze.“
Und wenn seine Freundinnen ihre Unterhemden bis ins Höschen hinein und unten wieder heraus zogen und er das entwirren sollte.
„Jean Paul ist ein ganz Gefährlicher!“, sagte sie lachend.
„Das kann man auf vielen Grabsteinen lesen“, sagte cool.
Dieser Satz hatte eigentlich nicht auf diese Weise, sondern erst durch die Veröffentlichung seines Western an die Öffentlichkeit kommen sollen. Dort gehörte er nach Jean Pauls eigener Meinung zu den Glanzlichtern.
„Du bist witzig!“, rief sie. „Du bist so witzig, das macht fast alles andere wieder wett.“
Sie hielt vor einem Laden an. Er dachte, sie könnte vor Lachen nicht mehr weiterfahren, aber sie wollte nur etwas kaufen.
„Nein, du bist witzig. Deutest du an, ich hätte Schwächen?“
Sie schloß ihr Rad ab und wandte sich dem Eingang zu.
Er versuchte ihr zu folgen, doch das ließ sie nicht zu.
Und dann sagte sie es.
„Hier geht es für dich nicht weiter. Ich muss mich jetzt von dir trennen!“

Fortsetzung folgt

Vorschau:
Die Frage, ob Jean Paul Schwächen hat, bleibt vorerst unbeantwortet. Der Leser muss sich seine eigene Meinung bilden.
 
aus der Diskussion: Telefon-Agent: Die Abenteuer des
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (06.10.06 19:03:42)
Beitrag: 69 von 352 (ID:24449665)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE