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15.10.2006 - 20:35 Uhr
FTD: Aus der Spur
Die Übernahme des Lkw-Herstellers Scania sollte das Meisterstück des MAN-Chefs Hakan Samuelsson werden. Doch der vermeintliche Coup droht in einer Farce zu enden - weil der Manager den VW-Konzern unterschätzt hat.

Es sollte der Coup seines Lebens werden. Akribisch bereitete MAN-Chef Hakan Samuelsson jeden Schritt der geplanten Scania-Übernahme vor, mit der er den größten europäischen Lastwagen-Konzern schaffen wollte. Sechs Jahre lang bezirzte er die Schweden mit Kooperationsangeboten. Im September holte Samuelsson, der früher 23 Jahre für Scania gearbeitet hatte, schließlich zum großen Schlag aus: Er legte ein 9,6-Mrd -Euro-Übernahmeangebot für Scania vor.

Doch all die Vorbereitung nutzte dem Schweden nichts - weil er die Lage falsch eingeschätzt hatte. Samuelsson ging davon aus, dass sein größter Gegner Scania-Chef Leif Östling sei. Während er sich voll darauf konzentrierte, dessen drohenden Widerstand zu brechen, übersah Samuelsson die drohende Gefahr hinter seinem Rücken: Dort brachten sich der VW-Konzern, der 34 Prozent der Stimmrechte bei Scania besitzt, und sein Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch in Position. Aus dem Angreifer ist längst ein Getriebener geworden. Samuelsson hat es nicht mehr selbst in der Hand, ob sein vermeintlicher Coup sich als Meisterstück entpuppt -
oder als Farce.



Vier Wochen nach Abgabe der Offerte ist die Zukunft der Übernahmepläne von MAN ungewiss. Während Experten und Beteiligte die "industrielle Logik" eines Zusammengehens unterstreichen, schreckt jeder davor zurück, den ersten Schritt zu machen. Der VW-Konzern betonte am Sonntag nach einer Aufsichtsratssitzung, dass eine Lösung des Übernahmestreits "nur im Einvernehmen" möglich sei. Doch die Wolfsburger verzichteten darauf, Weichen zu stellen.

Dabei war das Übernahmeprojekt für Samuelsson zunächst planmäßig gelaufen. Mehrmals traf er sich in diesem Sommer mit VW-Chef Bernd Pischetsrieder. Beide waren sich darüber einig, dass ein Zusammengehen von MAN mit Scania unter Einbeziehung der VW-Nutzfahrzeugsparte Vorteile für alle bringen würde. Samuelsson glaubte, dass es damit getan sei. Dass er nur noch bieten müsste und alles eine Frage des Geldes sei. Ein fataler Trugschluss: Der Schwede, der sich zwar mit deutschen Lkws auskennt, aber nicht mit den Traditionen deutscher Konzerne, hatte ein offenes Geheimnis nicht bedacht: dass bei VW ein anderer die Fäden zieht - Ferdinand Piëch.

"Samuelsson hat wohl am Anfang gedacht, sein Kontakt zu Volkswagen und dem Scania-Anteilseigner Investor würde ausreichen", kritisiert ein MAN-Aufsichtsrat Aber er hätte sich auch mit Piëch absprechen müssen. Das scheint nicht passiert zu sein." So blockierte VW die MAN-Offerte, kaufte selbst einen 15-Prozent-Anteil am Münchner Konzern und kann sich seitdem aussuchen, ob das Unternehmen gemeinsam mit MAN Scania oder mit Scania MAN übernimmt. Daran ändert auch die gestrige Erklärung des Aufsichtsrats nichts: VW werde ein Gegenangebot von Scania "derzeit nicht unterstützen."

Samuelsson hat den Rückschlag lässig hingenommen. Zumindest nach außen hin, ganz so, wie es seine Art ist. Bloß keine Schwäche zeigen. Der Schwede ist nicht der Typ, der sich seine wirkliche Stimmung gerne anmerken lässt. Deswegen hat er sich in den vergangenen Wochen ganz auf die Rolle des coolen und souveränen Optimisten verlegt. "Gemeinsam können wir die Nummer eins in Europa werden. Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass bayerische und schwedische Kultur gut zusammenpassen", sagt er unermüdlich.

Zuvor hatten sie alle sein Übernahmeangebot für Scania abgelehnt: Scania-Chef Leif Östling, die Hauptaktionäre Volkswagen und Investor - und irgendwie klang das, was Samuelsson zum Besten gab, schon fast tragikomisch. Denn längst war klar, dass der Topmanager, der so gerne die Regie führen wollte, nun nach einem fremden Szenario zu spielen hatte.

Ende vergangener Woche versuchte Samuelsson noch einmal, die Initiative zurückzuerobern. Da kaufte er einen 15-Prozent-Anteil an Scania. Zusammen mit VW könnte MAN nun Scania schlucken, so sein Kalkül. Doch VW hielt sich zurück. War das Übernahmegeschäft doch nicht mit VW abgemacht? "Wenn das nicht abgesprochen war, wäre das für Samuelsson ein Harakiri", heißt es aus Branchenkreisen.

Samuelsson spielt mit einer für ihn unbekannten Variablen. Die heißt: Ferdinand Piëch. Vor sechs Jahren stieg der damalige VW-Chef bei Scania ein, zahlte 1,6 Mrd. Euro für seinen Anteil an dem schwedischen Lkw-Hersteller. Seitdem arbeitet Piëch an einem Masterplan: Er will den Scania-Anteil für den Aufbau von Europas größtem Nutzfahrzeugkonzern nutzen, dabei auch sein Brasiliengeschäft mit schweren Lkw einbringen - und gleichzeitig das Sagen haben.

Samuelsson schien die komplizierten Machtverhältnisse der Deutschland AG außer Acht zu lassen. Dabei hätte der Schwede spätestens seit dem Porsche-Einstieg bei VW wissen müssen, dass es bei Volkswagen einen ganzen Clan von Strippenziehern gibt. Und dass wichtige Entscheidungen nicht zwingend in Wolfsburg gefällt werden. "Samuelsson hat die Komplexität des VW-Konzerns massiv unterschätzt", heißt es in der Branche. Er hatte eben Pech, sagen einige im Konzern. Pech, dass der Kampf um Scania zum ersten richtigen Showdown seit dem Porsche-Einstieg wurde.

Aber er hat es auch versäumt, sich einige wichtige Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Warum sollte VW seine Sperrminorität an Scania für eine weitaus unbedeutendere Beteiligung an MAN eintauschen?

Spätestens als VW selbst ein 15-Prozent-Paket an MAN kaufte, war klar: Da agierte jemand im Hintergrund, jemand, der sich alle Optionen offenhielt. Samuelssons Gegner war unsichtbar, äußerte sich niemals offen und lancierte seine Forderungen gerne über die Medien: Als das Magazin "Focus" vor einer Woche berichtete, VW wolle 51 Prozent an dem Dreier-Konsortium erwerben, die Führung für sich beanspruchen und bei dieser Gelegenheit gleich auch noch den Mischkonzern MAN zerschlagen, war vielen klar, aus welcher Richtung der Wind wehte: "Das war ein provozierender Testballon, der von Herrn Piëch höchstpersönlich gestartet wurde", heißt es in Branchenkreisen. "Wiedeking und Piëch ziehen die Fäden, Pischetsrieder muss an der Front stehen und Nebelkerzen zünden."

Samuelsson musste zuletzt öffentliche Brüskierungen aus dem VW-Lager hinnehmen. So ließ VW-Chef Pischetsrieder Ende September seinen Unmut über Samuelssons Offerte für Scania durchblicken. Er verstehe nicht, warum der MAN-Chef das Angebot herausgegeben habe. Alles wäre wesentlich einfacher zu regeln gewesen, ohne nun an die rechtlichen Bedingungen einer Offerte gebunden zu sein, betonte er.

Zugleich deutete er aber an, Samuelsson eine Brücke bauen zu wollen: Es gebe keine "Feindschaft" zwischen MAN und VW. Für eine Einigung zwischen den Herstellern müsse es eine freundliche Lösung geben. Denn die Mitarbeiter müssten am Ende vertrauensvoll miteinander arbeiten. Er sei "optimistisch", dass es eine Lösung geben werde, betonte der Manager. Aber keine ohne VW: "Wenn wir da mit unserem Markennamen reingehen, sollte es nicht ohne uns laufen können. Beim Ziel liegen MAN und wir nicht auseinander", betonte der VW-Chef. Aber: "Ich möchte eine kreative Rolle in diesem Prozess spielen."

Auch bei der Frage, warum die Übernahmepläne Samuelssons an die Öffentlichkeit kamen, bevor die zentralen Details geklärt waren, führen die Spuren inzwischen in den VW-Aufsichtsrat hinein. Seit Wochen geht man davon aus, dass Scania-Chef Leif Östling persönlich das Gerücht gestreut hat, um Samuelssons Plan zu durchkreuzen. Östling soll von Scanias zweitgrößtem Aktionär, der Finanzholding Investor, informiert worden sein, der von der schwedischen Wallenberg-Familie kontrolliert wird. In Branchenkreisen verweist man in diesem Zusammenhang auf die "langjährige Männerfreundschaft zwischen Familienmitglied Jacob Wallenberg und Ferdinand Piëch".

Unklar ist, wie weit Piëch im Ernstfall gehen wird. Man werde "nicht zulassen, dass VW als Heuschrecke auftritt", warnte der stellvertretende MAN-Aufsichtsratschef Lothar Pohlmann bereits und verwies auf die möglichen Stellenstreichungen, sollte MAN zerschlagen werden.

In MAN-Kreisen setzt man auf den Druck der öffentlichen Meinung: "Stellen Sie sich vor, welchen Aufruhr es in Deutschland geben würde, wenn VW mit Hilfe von Scania MAN übernimmt und auseinander nimmt", heißt es in München. Der VW-Aufsichtsrat versuchte am Sonntag, solche Ängste zu zerstreuen: Der Konzern könnte seine Scania-Beteiligung an MAN verkaufen - sollten die Münchner genug Unterstützung für ihr Projekt bekommen.

Für Hakan Samuelsson steht seine Karriere auf dem Spiel: "Wenn sein Plan, Scania zu übernehmen, scheitern sollte", mutmaßt ein Stockholmer Analyst, "wird Samuelsson wohl kaum an der Spitze von MAN bleiben."

Mitarbeit: Clemens Bomsdorf


(c) FTD
 
aus der Diskussion: MAN AG: VW will unter Umständen ab 18. Nov. ein Gegenangebot von Scania unterstützen!
Autor (Datum des Eintrages): Rosenberger  (15.10.06 22:30:57)
Beitrag: 5 von 5 (ID:24644996)
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