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48.

Mireille ging vor. Man sah ihr mehrfach an, dass Sommer war, denn sie trug ein wirklich kurzes Kleidchen, das sehr viele Blicke auf sich zog und sie trug ihr hübsches Näschen so hoch, dass es bei schlechtem Wetter hinein geregnet hätte. Vielleicht musste eine Frau so gucken, um alle Männer um sich herum gleichzeitig im Auge zu halten. Irgendwie schaffte sie das nämlich. Sie war sich ihrer Wirkung dermaßen bewusst, dass ihr unmöglich auch nur ein einziger bewundernder Blick entgangen sein konnte. Dabei beobachtete sie auch Jean Paul und die Wechselwirkung zwischen ihm und den Schaulustigen.
Jean Paul war lange nicht mehr so zornig angesehen worden. Die Männer sahen immer zuerst unglaublich geilgierig auf Mireille und dann meistens übergangslos gleich hasserfüllt auf. Jean Paul stellte wieder fest, dass nicht nur ein Klaus Kinski solche Fratzen ziehen konnte und normale, unbefriedigte Männer es diesbezüglich mühelos mit dessen schauspielerischen Höchstleistung in "Leichen pflastern seinen Weg" aufnahmen.
Allmählich wurde er selber wütend. Offensichtlich durfte Mireille überhaupt nicht weniger arrogant gucken, wenn sie irgendwie vermeiden wollte, ansonsten im allernächsten Augenblick einer Massenvergewaltigung zum Opfer zu fallen. Sobald der Ärger in ihm aufstieg, starrten die Männer ihn nicht mehr so lange an und glotzen danach auch nicht erneut und lange auf Mireille. Der Unterschied fiel ihr sofort auf und sie stutzte merklich. Verwundert sah sie offen Jean Paul an, der ihren Blick gerade nicht erwidern konnte, weil er stattdessen jemanden ohne Worte und nichtsdestotrotz unmissverständlich auf Distanz halten musste, was ihm in dieser Laune keinerlei Probleme bereitete.
Mit einem Schlag veränderte sich die Haltung von Mireille. Sie begann zu lächeln und bewegte sich freier als vorher. Es war fast so, als würde sie pfeifen und hüpfen. Dabei wiederholte sie in kurzen Abständen diesen offenen Blick zu Jean Paul und wurde immer freier.
Jean Paul hatte nie viel Wert darauf gelegt, bei anderen Männern populär zu sein und es machte ihm nichts aus, dass sie ihn jetzt wieder alle hassten.
Ab und zu musste er einfach schauen, wie sich bei ihren langen Schritten jedesmal der Rocksaum über ihrem Po hob und sanft in Gegenrichtung der Schwerkraft hochwehte.
Mireille ging langsamer und sah sich häufiger um. Es war klar, dass sie hier einkehren wollte. Ein französisches Bistro, so französisch wie es das in Frankreich selbst überhaupt nicht mehr gab. Er musste sofort regieren und den Anschein der Dominanz wahren. So wurde das Spiel eben gespielt. Er zögerte und sie wurde noch langsamer und machte ein fragendes Gesicht.
"Hier gehen wir jetzt rein", knurrte er.
Sie guckte etwas gelangweilt.
"Und zwar sofort", sagte er mit einer Spur mehr Knurren.
Sie lächelte und tat so, als würde er sie mit Blicken zum Ausgang lenken.
In Wirklichkeit machte er trotz aller Wichtigtuerei nur das, was wir Männer unser ganzes Leben lang tun, nämlich einer Frau nachzulaufen.

Fortsetzung folgt

Vorschau:
Fällt aus Zeitgründen aus!
 
aus der Diskussion: Telefon-Agent: Die Abenteuer des
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (19.10.06 13:48:41)
Beitrag: 120 von 352 (ID:24719880)
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