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52.

Jean Paul rieb sich die Stirn, denn er verspürte plötzlich Migräne oder so.
Mireille, die sich im Internet immer "Lola" nannte, was angeblich ihr zweiter Vorname war und mit dem Zusatz "Super" ihre Emailadresse ergab, sah aus dem Fenster. Auf der gegenüber liegenden Straßenseite befand sich ein Lokal, das von lauter ungleichen Paaren frequentiert wurde. Die Männer waren alle doppelt so alt und mindestens doppelt so schwer wie ihre sehr hübschen Begleiterinnen.
"Wenn ich ein Mann wäre und genug Geld hätte, würde ich mir wahrscheinlich auch einfach eine hübsche junge Exotin holen und mich nicht um eine neurotische, reife Karrierefrau wie mich bemühen", sagte sie.
"Ich kann mir dich nicht als Mann vorstellen", sagte Jean Paul.
"Nein, ich bin eine Frau. Aber ich könnte etwas mehr Oberweite haben. Andere Frauen können da mehr bieten", sagte sie mit Blick aus dem Fenster. Sie seufzte. "Zum Glück habe ich wenigstens ein Hohlkreuz."
Jean Paul wartete eine Weile, ob noch etwas hinterher kam und überlegte dann, ob sie das als Witz meinte.
Nein.
"Du hast doch einen Freund", sagte er schließlich in gemessenem Ton.
"Aber der will nur noch so mit mir zusammen hocken", klagte sie. "Der betet mich an und erzählt mir pausenlos, was für eine tolle Frau ich bin und dass ich viel mehr bin, als er verdient. Dieses Gejammer ödet mich an."
Sie stützte ihr Kinn auf beide Hände und sah ihn ernst an.
Er erwiderte ihren Blick fragend.
Superlola hob mit unverändertem Blick unmerklich langsam ihre Mundwinkel, bis sie deutlich lächelte und ihn schließlich offen anlachte, während er immer noch dumm guckte, was sie sehr amüsierte.
"Und morgen wirst du es mir zeigen?", fragte sie.
"Wenn du mich nicht aus Versehen umkloppst oder in die Erde stampfst", sagte er grinsend.
"Deine Stimme kann ganz schön fies klingen", sagte sie irritiert. "Das hätte ich gerade überhaupt nicht gedacht."
Er lachte auf eine Weise, die exakt seiner aktuellen Laune entsprach.
"Das ist ja noch schlimmer", klagte sie.
Und dann schüttelte sie sich.

53.
Die Begegnung mit Superlola inspirierte Jean Paul umgehend dazu, das dritte Kapitel seines Neo-Super-Westerns zu schreiben.

"Klopf, klopf" machte es an der Tür des Hotelzimmers.
Das erste Klopfen war nocht nicht verklungen, da lag schon der Sechsschüsser sicher und tödlich in der Hand von Billy the Kid, dem bekanntermaßen größten Helden des wilden Westens.
Nach seinem Holster zu greifen, die Waffe zu ziehen und mit der präzisen Wahrnehmung einer erfahrenen Fledermaus dorthin zu zielen, von woher die Schallwellen kamen, noch ehe sie das menschliche Ohr erreichten, war für ihn eine seiner leichtesten Übungen. Selbst wenn er sich dabei zwischendurch noch den Hintern kratzte, der ihn ständig juckte, weil er Ausschlag davon hatte, andauernd Büsche zu düngen, war das alles bei ihm nur eine einzige Bewegung.
Lola trat ein.
Sie sah auf seinen Revolver.
"Ist der aber groß", sagte sie sanft. "Da fühlt sich ein Mädchen wie ich ganz schutzlos und huh, ausgeliefert."
"Mach die Tür hinter dir zu", sagte er herrisch.
"Warum?", fragte sie.
"Quatsch keine Arien, tu es!"
Sie schloss die Tür.
"Jetzt bist du schutzlos und ausgeliefert", sagte er zufrieden und steckte seinen Revolver wieder ein.
"Soll ich die Tür von innen abschließen und dir den Schlüssel geben?", fragte sie devot.
"Was?", fragte er.
"Ob..."
"Bloß nicht schon wieder so ein langer Satz!", schimpfte der Kid, der Kommas in den Sätzen seiner Gesprächspartner mehr fürchtete als Kugeln in den Colts seiner Gegner.
"Willst du mich jetzt erschießen?", fragte sie.
Er deutete auf eine volle Badewanne.
"Willst du mich ertränken?", fragte sie.
"Nein!"
"Was willst du dann?", fragte sie zitternd.
"Rückenschrubben!"
"Und danach?", fragte sie.
Er knöpfte sein Hemd auf.
"Nach was!"
"Nach dem Rückenschrubben!", sagte sie.
Er zog sein Hemd aus und erlebte ein Wiedersehen mit längst vergessenen Hautpartien.
"Komisch", sagte er. "Wo die Sonne nicht hinkommt, bin ich auch dunkel. Wie kann das?"
"Okay, mit dem Rückenschrubben werde ich auf unbestimmte Zeit beschäftigt sein", sagte sie.
Er guckte auf seinen Revolvergurt und fragte sich, wie er seine Hose ausziehen konnte, ohne ihn abzulegen.
"Bist du Französin?", fragte er, ohne sie anzusehen. "Du redest so seltsam!"
"Ich halte mir nur gerade die Nase zu", sagte sie.
"Da wäre ich fast drauf reingefallen", sagte er. "Französin. Ha!"
Sie half ihm, die Stiefel auszuziehen.
"Durch die Trockenheit in der Wüste sind tatsächlich deine Socken zu Staub geworden!", rief sie hustend.
"Habe noch nie Socken getragen", sagte er.
"Das wird mir zuviel", sagte sie und setzte sich auf den Rand der Wanne.
"Warum bist du eigentlich gekommen?", fragte er.
"Ich bin die Witwe vom Barkeeper und brauche einen neuen Beschützer."
"Ich bin nur auf der Durchreise", sagte Billy the Kid, der tatsächlich permanent auf der Flucht vor ehrgeizigen Sheriffs war.
"Was kann man denn da machen", hauchte sie und musste dabei leicht husten, da sie gegen Berufskrankheiten wie Syphilis auch nicht immun war.
"Rückenschrubben!", wiederholte er ungeduldig.


Fortsetzung folgt

Vorschau:
Jean Paul versucht erst mit Marie und dann mit Aphrodite zu sprechen, aber Marie ist mit einer neuen Freundin in Urlaub gefahren und Aphrodite befindet sich in einer intensiven Therapie. Früher hätte er seinen Kumpel Kutte gefragt, aber Kutte hat sich schon vor einigen Jahren aus Liebeskummer einen Rausch angesoffen und auf diese Weise einen tödlichen Verkehrsunfall erlitten. So gesehen wäre er wohl auch kein zuverlässiger Ratgeber gewesen. Und sein Vater hatte auch nur immer "Eine schöne Frau hast du nie ganz für dich alleine" gesagt.
So hält ihn von einer Dummheit ab...
 
aus der Diskussion: Telefon-Agent: Die Abenteuer des
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (22.10.06 17:44:50)
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