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"Kaufen" bis zum bitteren Ende


Im Dickicht von Interessenskonflikten und Bankprofiten - Warum das Image vieler Analysten beschädigt worden ist


Von MATHIAS EBERENZ und VOLKER MESTER



Glaubt man den Aktienempfehlungen der Banken, dann kennt die Börse praktisch nur eine Richtung - nach oben. Mehr als drei Viertel aller Urteile sind Kaufempfehlungen. Kaum ein Experte rät zum "Halten" einer Aktie, Verkaufsempfehlungen sind so selten wie Perlen in Miesmuscheln. Dabei haben selbst notorische Optimisten inzwischen mitbekommen, dass sich die Aktienmärkte schon seit neun Monaten im Sinkflug befinden. Und viele Anleger sind stinksauer. Schließlich haben sie sich fast blind auf den Rat der hoch bezahlten Analysten, Bankberater und selbst ernannten Finanzgurus verlassen.Die aber haben vor allem auch die Eigeninteressen der Bankhäuser zu berücksichtigen, kritisieren Aktionärsschützer gegenüber dem Abendblatt. Schließlich richte sich eine Kaufempfehlung an alle, der Rat zum Verkauf aber nur an diejenigen, die das Papier besitzen. Und natürlich hätten Banken Interesse an möglichst hohen Provisionen im Wertpapierhandel. Doch das sei nur ein Teil der Verstrickung, sagt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz: "Immerhin sind die Banken ja in vielen Fällen auch Kreditgeber der Unternehmen, haben den Börsengang begleitet oder Fonds aufgelegt, in denen die Werte enthalten sind."
   Beispiel Fluxx.com. Das Onlineportal für Glücksspiele wurde im September 1999 vom Bankhaus Sal. Oppenheim an die Börse gebracht. Der erste Kurs war 19 Euro. Bis Anfang März schoss die Aktie auf 120 Euro hoch. Jetzt hat sie nur noch ein Zehntel ihres Wertes. Doch während fast alle Analysten spätestens im Sommer nicht mehr an eine Erholung der Aktie glaubten, setzte Konsortialführer Sal. Oppenheim das Papier weiter auf "Kaufen". Erst als es offensichtlich war, dass alle anderen Analysten vom Sommer an das Thema Fluxx.com wohlweislich ganz mieden, reagierte schließlich auch die Analystin bei Sal. Oppenheim, Michelle Lang: "Die Neunmonatszahlen waren schlecht, das Umsatzwachstum verlief nicht wie geplant, deshalb habe ich den Wert von Akkumulieren auf Halten zurückgestuft."
   Peinlich auch die Bilanz der Experten im Fall der Volksaktie Telekom. Fast unisono jubelten sie das Papier Anfang des Jahres bis auf über 100 Euro hoch. Danach wurden die Kursziele Monat für Monat heruntergesteckt. Immer parallel zur Entwicklung des Kurses.
    Das sei typisch, sagt Aktionärsschützer Kurz. Denn auch dahinter stecken nach Meinung von Thorsten Poddig, Professor für Betriebswirtschaft an der Uni Bremen, Sachzwänge der Banken: "Bekommt ein Portfoliomanager Bedenken und beginnt zu verkaufen, der Markt steigt aber weiter, gibt es Ärger mit den Vorgesetzten. Also verkauft er lieber nicht. Bricht der Markt aber schließlich um 20 Prozent ein und das Portfolio verliert entsprechend an Wert, war er zumindest nicht schlechter als andere. Alle unsere Untersuchungen zeigen: Es ist eine nahezu unüberwindliche psychologische Hürde, gegen den Trend zu handeln."
   "Börsenpsychologie, nicht Betrug" stecke dahinter, sagt Joachim Goldberg, Geschäftsführer von Cognitrend, die sich mit "verhaltensorientierten Kapitalmarktanlagen" befasst. "Analysten sind in der gleichen Situation wie die Anleger. Sie verdrängen ihre Fehleinschätzung. Nur mit dem Unterschied, dass der Anleger materielle Kosten hat. Denn der Analyst hat sich ja nur psychologisch an den Wert gebunden. Ein Anleger dagegen bewertet Verluste etwa doppelt so schwer wie Gewinne. Voller Hoffnung glaubt er an die Durchhalteparolen der Bankexperten."
   Christoph Vogt, Analyst beim Bankhaus Lehman Brothers, erklärt seine Fehleinschätzung der Telekom-Aktie mit unvorhersehbaren Umständen. Etwa die Milliardenkosten für die UMTS-Lizenzen, die die Telekom-Tochter T-Mobil aufbringen muss. Auch dass T-Mobil nicht wie geplant an die Börse gebracht wurde, sei zu berücksichtigen. Denn damit wären Milliarden in die Kassen der Telekom geflossen. Andererseits würden die erst später im Jahr bekannt gewordenen Pläne, Firmen in den USA teuer zuzukaufen, das Unternehmensergebnis beeinträchtigen. Im Übrigen sei der Kurs der T-Online-Aktie mittlerweile um 50 Prozent gefallen. "Da gibt es die Faustregel, dass je gafallenem Euro bei T-Online die Telekom-Aktie um 0,3 Euro fällt."
   Auch das Bankhaus Merck Finck hat die Aktie im Juli herruntergestuft. Aus den gleichen Gründen. "Schief gelegen" habe er, gesteht der Analyst, aber schließlich seien auch Analysten nur Außenstehende. "Wir haben ja keinen Einblick in die Bücher von Telekom-Chef Ron Sommer. Und was von dort an Aussagen kommt, ist in der Regel positiv gefärbt." Die negative Stimmung ärgere ihn, schließlich habe sein Haus bei der Siemens-Aktie seit Jahren richtig gelegen. Aber das wolle jetzt niemand wissen.
   Jürgen Kurz von der DWS sieht viele der Fehleinschätzungen in der Überforderung der Analysten begründet. "Da gibt es offensichtlich ein Kapazitätsproblem. Im Bereich der Old Economy ist es ja noch möglich, den Überblick zu behalten. Aber am Neuen Markt sind mittlerweile 324 Unternehmen gelistet." Robert Suckel, Geschäftsführender Gesellschafter und Analyst beim bankenunabhängigen SES Research in Hamburg, sieht das ähnlich. "Bei uns gilt die Regel, dass ein Analyst maximal zehn Unternehmen betreut. Deshalb beobachten wir auch nur den Nemax 50. Es gibt aber Banken, die bearbeiten mit zehn Leuten ganz Europa."
   Doch schwerer wiegt der Verdacht, dass die Anleger nicht fair behandelt werden, dass die angebliche "Chinesische Mauer" zwischen Analysten und dem Gewinn-Interesse der Banken im Kredit- und Wertpapiergeschäft nur eine Farce ist, dass die Eigeninteressen überwiegen. Zumindest für Aktionärsschützer Kurz hat diese Mauer "längst das Schicksal des Eisernen Vorhangs erlitten". Es gibt ihn nicht meh
 
aus der Diskussion: Börsenguru`s
Autor (Datum des Eintrages): Bischoff  (09.12.00 15:21:07)
Beitrag: 74 von 150 (ID:2500617)
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