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Captain Internet
Von Winand von Petersdorff
Porträt eines Verkaufsgenies
27. September 2006
Eine kleine Provokation liegt in der Tatsache, daß es ihm eigentlich egal ist. „Ob Internet oder etwas anderes...“ Ralph Dommermuth zuckt die Achseln. Vermutlich könnte er auch Autos verkaufen oder Maschinen zur Fertigung künstlicher Wurstpellen. Dommermuth vertreibt ohne Leidenschaft fürs Sujet DSL-Anschlüsse, betreibt die E-Mail-Dienste Web.de und GMX und lagert Websites auf großen Rechnern. Webhosting nennt man das, und vermutlich ist auf der Welt keiner so groß in diesem Spezialgeschäft wie Dommermuths United Internet AG.
Der Absolvent der Handelsschule von Limburg ist Gründer, Großaktionär und Vorstandsvorsitzender dieses Unternehmens. Er hat eine der großen deutschen Erfolgsgeschichten in jener Netzwelt geschrieben, der noch immer ein gewisser Glamour anhaftet. Sein Standort ist der Westerwald, sein Wahlspruch lautet: „Ich mache mich nicht groß verrückt.“ Und irgendwie scheint das zu stimmen. Der 42jährige sieht frisch aus, wie ein Mann, der gut schläft. Die Gesichtsfarbe rötlich, die Haut straff. Es ist nichts Protziges an ihm, selbst wenn er freimütig über die Höhe seines Vermögens erzählt.
Seine 35,22 Prozent am Unternehmen plus dem Ersparten summieren sich auf knapp über eine Milliarde Euro, wenn der Aktienkurs gut liegt. Was macht man mit einer Milliarde?“ Nichts, antwortet er. Eine Yacht in Cap d'Antibes, ein schönes Haus - er lebt ausgezeichnet von Vorstandsgehalt und Dividenden, die United Internet treu ausschüttet, seit es gut läuft. Ans Vermögen muß er nicht gehen.
Erfolgsgeschichte United Internet
Der Firmenname United Internet ist weit weniger bekannt als die Portaldienste GMX und Web.de, die Monat für Monat von 20 Millionen E-Mail-Schreibern genutzt werden, oder der DSL-Anschlüsse-Verkäufer 1&1. Das sind die zugkräftigen Marken des Konzerns, der in diesem Jahr seinen Gewinn verdoppeln, den Umsatz um sechzig bis achtzig Prozent erhöhen und damit die Erlösschwelle von einer Milliarde Euro weit hinter sich lassen dürfte.
An der Spitze steht ein Westerwälder ohne Diplom und mit zurückweichendem Haar. In gewisser Weise verkörpert er die Entzauberung des Internets. Im Unterschied zu jenen übernächtigten, aufgeputschten Internetfreaks, die um die Jahrtausendwende ergriffen von den geschäftlichen Möglichkeiten und der kreativ-zerstörerischen Kraft der Netzwelt sprachen, wirkt Dommermuth nie wirklich fasziniert von dem Metier. Eher wie ein Basaltkopf. So werden Westerwälder manchmal genannt, weil sie als stur gelten und ihre Region basalthaltig ist.
Keine Ahnung von Technik
Er hat nicht gelernt, so zu reden, daß man ihn für einen Visionär halten könnte. Selbst wenn er Sätze formuliert wie „Das Fernsehen ist das nächste Opfer des Internets“, wirkt das weder provozierend noch aufrüttelnd, sondern eher wie eine nüchterne Bestandsaufnahme. Er hat auch nie gelernt zu programmieren. „Von Technik“, das sagt er selbst, „habe ich nicht allzuviel Ahnung. Und das ist gut so.“ Eines allerdings hat er von der Pike auf gelernt: das Verkaufen.
Als Lehrling der Deutschen Bank nutzte er die Zeit zwischen Berufsschulunterricht und Abfahrt des Schulbusses kommerziell. Er klingelte an den Haustüren und bot den verblüfften Bürgern des hessischen Limburgs Streusalz an. In diesen Tagen des ungetrübten Entrepreneurships lernte Dommermuth viel über Kunden, etwas über Timing und ein wenig über Meteorologie. Die Heimgesuchten verschmähten das Streusalz, weil es Sommer war und weil Limburg anders als Dommermuths Westerwälder Heimat auch im Winter kaum unter Eisglätte leidet. Ein Flop. Kein Grund zum Aufgeben für den jungen Mann.
Verkäufer durch und durch
Nach der Lehre bei der Deutsche- Bank-Filiale in Koblenz, die er mit Bestnote absolvierte, begann er auf eigene Rechnung IBM-Personalcomputer zu verkaufen. „Computer sind die Zukunft, dachte ich.“ Zunächst hatte er allerdings keine Ahnung im ersten halben Jahr lief das Geschäft so schlecht, daß er sein Auto verkaufen mußte. „Ich habe hart akquiriert und mutig bei Firmen geklingelt, die das Schild ,Vertreterbesuche unerwünscht' an der Tür hatten.“
Spätestens da muß dem Beobachter seines Lebensweges aufgehen, daß eines ihn doch treibt. Er will etwas Großes aufbauen. Dafür opferte er in den ersten Jahren seine Freizeit, deshalb schlug er den gesicherten Weg des Bankbeamten aus. Manager wollte er nicht sein, sondern Unternehmer. Bald lief es deutlich besser, und später, als die Telekom nicht wußte, wie sie ihre Teletex- und Btx-Angebote loswerden sollte, übernahm Dommermuths damalige Firma 1&1 den Verkauf. Er hatte dank aggressiven Marketings großen Erfolg und sammelte die Erfahrungen, die ihm heute helfen, Internet-Mehrwertdienste zu veräußern.
„Wir kümmern uns gerne um die Kleinigkeiten“
Wenn einem marktschreierische, blau gehaltene Prospekte aus Zeitschriften und Zeitungen entgegenrutschen, auf denen glückliche Menschen am Laptop zu sehen sind, hohe Preise durchgestrichen und durch Preise ersetzt wurden, die mit -,99 enden, dann hat Dommermuth daran schuld. Er gehört zu den ersten, die mit Schweinebauch-Reklame für DSL-Anschlüsse warben. Nicht selten legt er letzte Hand an die Prospekte. Er ist nicht nur Chef der Holding, sondern auch Marketingleiter der Tochtergesellschaft 1&1 geblieben.
Wer hätte gedacht, daß in der Zauberwelt des Internets profane Techniken des Vertriebs den Ausschlag geben? Die weiteren Erfolgsgeheimnisse bergen ähnliches Erregungspotential: eine ausfeilte Kontrolle der Zahlen und eine gewisse Detailversessenheit. „Wir lieben das Tagesgeschäft, sagt die Konkurrenz über uns. Ich glaube, das stimmt. Wir kümmern uns gerne um die Kleinigkeiten“, sagt Dommermuth.
Gelassenheit trotz Börsendruck
Diese Tugenden mögen wichtig geworden sein spätestens nach dem Börsencrash am Neuen Markt. Dommermuths Firma 1&1 gehörte 1998 zu den Pionieren im neuen Börsensegment. Vom Erlös kaufte der Westerwälder lauter aufstrebende Internetunternehmen zusammen. Doch schnell türmte sein junger Konzern Schulden auf und schrieb hohe Verluste vor allem aufgrund hoher Abschreibungen auf die überteuert gekauften Beteiligungen. Dommermuth riß 2001 das Steuer herum, verkaufte oder schloß die Verlustbringer und erhöhte gleichzeitig seine Anteile an den gewinnträchtigen Beteiligungen wie GMX. Er tat dies ohne große Angst, ohne überbordende Leidenschaft. „Die Arbeit ist mir nie schwergefallen.“ Selbst damals nicht, sagt er.
Heute ohnehin nicht. „2006 ist ein angenehmes Jahr.“ Auch dieser Satz verblüfft ein wenig, ist doch der Kurswert der United-Internet-Aktie seit dem Höchststand in Mai um knapp 30 Prozent auf jetzt 10,40 Euro geschrumpft. Eine Studie der Bank Credit Suisse hatte im Juli das Kursziel von 13,75 Euro auf 7,50 herabgestuft, weil sie die Aussichten der Westerwälder als trübe beurteilten. Die meisten anderen Analysten blieben bei der Einschätzung, daß die United-Internet-Aktie eigentlich um die 15 Euro wert sei. Den dümpelnden Kurs kommentiert er lakonisch. „Mehr als ständig steigende Gewinne liefern kann ich auch nicht.“ United Internet hat sich gegen den Kursverfall gestemmt, indem es zehn Prozent der eigenen Aktien kaufte und sich den Kauf weiterer Anteile genehmigen ließ.
Mit dem Segelboot die Welt erobern
Schwieriger als erwartet war auch der Einstieg in das Segel-Sponsoring. United Internet wurde 2005 Hauptsponsor des deutschen Teams für die Segelregatta „America's Cup“, am Anfang gab es Querelen mit dem Gründer des deutschen Teams, der schließlich herausgekauft wurde. Seitdem segelt das Boot hinterher, was Dommermuth nicht aus seiner Westerwälder Gemütsruhe bringt. Ob der Einstieg etwas bringt, erweist sich nächstes Jahr, wenn sich vor der spanischen Küste im Segelrevier von Valencia die besten Segelyachten der Welt miteinander messen.
Es ist gewiß nicht Dommermuths Art, Geld in den Sand zu setzen. Heute noch lobt er die Günstigkeit des Teppichbodens in seinem Vorstandsbüro („15 Mark der Quadratmeter“). Das Sponsoring des Segelsports ist auch keine private Marotte, obwohl Segeln im Grunde das einzige Hobby ist, das der Unternehmer pflegt. Das deutsche Segelboot soll dabei helfen, United Internet in Europa und in Amerika als Marke bekannt zu machen. Im Mutterland des Internets ist der Konzern seit einigen Jahren aktiv, ebenso wie in England und Frankreich. Die Welt ist groß.
Konzernsteurung per Monitor
Dommermuth ist glücklich, wenn sie dabei übersichtlich bleibt und wenn er sie von Montabaur aus betrachten kann. Dort ist er meistens. „Geschäftsreisen vermeide ich, wenn ich kann.“ Er hat nicht alle Filialen seines Konzerns besucht. „In Amerika und England war ich schon ein paar Jahre nicht mehr.“ Er findet das Management by Miles and More ineffizient im Vergleich zur Konzernsteuerung über seinen Monitor in der Zentrale in Montabaur.
Der Mensch
Der 42 Jahre alte Ralph Dommermuth gehört zu der raren Spezies der Vermögensmilliardäre in Deutschland. Er hat die United Internet AG gegründet, an den Neuen Markt gebracht und, als der Absturz drohte, erfolgreich umstrukturiert.
Jetzt hält er noch ein Drittel der Anteile. Dommermuth absolvierte die mittlere Reife in seiner Heimatstadt Montabaur, besuchte die Handelsschule in Limburg und war Lehrling der Deutschen Bank in Koblenz.
Er segelt gerne, hat den A-Schein für Binnengewässer und eine Yacht in Cap d'Antibes. Ein Sohn aus einer früheren Verbindung studiert in England.
Das Unternehmen
Die United Internet AG nennt sich Internet-Service-Provider. Dazu gehören die E-Mail-Dienste (Web.de und GMX), der Vertrieb von Internetanschlüssen und das sogenannte Webhosting. Zudem hat das Unternehmen eine Sparte für Online-Marketing und eine weitere für Outsourcing.
Das Unternehmen hat im ersten Halbjahr den Umsatz um 80 Prozent und den Vorsteuergewinn um 90 Prozent gesteigert. In diesem Jahr gilt ein Umsatz von 1,26 Milliarden Euro als realistisch bei einem Gewinn von 230 Millionen Euro. Die letzte größere Übernahme war der Kauf des Portalgeschäfts von Web.de.
 
aus der Diskussion: E-Plus schließt DSL-Kooperation mit United Internet-Tochter 1&1
Autor (Datum des Eintrages): Ballardpower  (30.10.06 17:36:49)
Beitrag: 2 von 6 (ID:25014365)
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