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[posting]25806263[/posting]Hamburg
Türkischkurs für Fahrgäste im Omnibus
Die Hansestadt beteiligt sich an einem EU-Projekt zur Sprachförderung. Bei nicht allen Bürgern stößt das auf Verständnis.
Von Eva Eusterhus

Hamburg - Auf dem Plakat steht "Wir verbinden auch Kulturen", dann fällt die Bustür zischend zu, und der schnellste Türkisch-Deutsch-Sprachkurs kann beginnen. Auf der Sitzbank schräg gegenüber vom Plakat sitzen Nurcan und Seyran. Die beiden Deutsch-Türkinnen teilen sich ein paar Kopfhörer, im Takt der Musik nicken ihre Köpfe. Buchstabe für Buchstabe entziffert Seyran den Satz auf dem Plakat: "Afiyet olsun" steht dort und darunter: "Guten Appetit". Als sie fertig ist mit Lesen, tippt sie ihre Freundin an und sagt: "Krass, guck mal, Afiyet olsun." Ihre Freundin zieht den Ohrstöpsel heraus, schaut sich suchend um und fragt irritiert: "Echt - wo gibt's was zu essen?"

Seit zwei Wochen verbindet die Buslinie Nummer 5 auf ihrer Fahrt nicht nur den Hamburger Rathausplatz mit dem schmucklosen Industriegebiet Nedderfeldt - sie verbindet auch Kulturen. So zumindest sieht es ein EU-Projekt zur Sprachförderung vor, das die Hamburger Hochbahn in Zusammenarbeit mit der Hamburger Volkshochschule initiiert hat. Als einzige Stadt Deutschlands nimmt Hamburg an der Aktion "Learning by Moving" teil. Fahrgäste lesen auf Bildschirmen in den U-Bahnen, auf Plakaten und Handzetteln in U-Bahnhöfen und in Bussen türkische Alltagssätze wie "Guten Tag" oder "Wie spät ist es?", "Was kostet das?" Daneben sind Fotos abgebildet, neben den Wörtern "Afiyet olsun" etwa ein Fischbrötchen und ein Döner.

Es gehe darum, Appetit auf Türkisch zu machen, erklärt Hans-Hermann Groppe von der Hamburger Volkshochschule. Leider sei das Projekt von einigen falsch verstanden worden. "Es geht nicht darum, dass Deutsche nun Türkisch lernen sollen." Vielmehr sei der Mini-Türkischkurs eine Geste an die rund 85 000 türkischstämmigen Bürger, die in der Stadt leben. Das Projekt, das über einen Zeitraum von drei Jahren laufen wird und rund 50 000 Euro kostet, sei auch nicht etwa eine Verschwendung von Steuergeldern, schließlich werde die Aktion von der EU finanziert, so Groppe. In sechs anderen Ländern werden die Bürger gleichermaßen angesprochen: Die Litauer lernen Polnisch, auf Malta gibt es Italienisch-Unterricht, die Polen in Breslau sollen Deutsch pauken. Weitere Sprachkurse gibt es in Mailand, in London, im rumänischen Iasi und im litauischen Rastrum.

Durch den alltäglichen Kontakt zu einer fremdem Sprache sollen die Fahrgäste für die Minderheitensprachen sensibilisiert werden. "Sensibili . . . - was?", fragt der 16-jährige Maurice und zieht die tief sitzende Jeanshose mit beiden Händen am Bund hoch. Auf die Frage, ob er nun sensibilisiert sei für die türkische Sprache entgegnet er, er fände die Aktion "relativ überflüssig". In seiner Grundschule sei er "einer von sechs Deutschen in der Klasse" gewesen, "ich konnte ,Merhaba" schon buchstabieren, bevor ich meinen Nachnamen richtig schreiben konnte", sagt er. Neben Maurice sitzt Rentnerin Annelie Landers. Sie hält zwei Einkaufstüten auf ihrem Schoß und zieht pikiert die Augenbrauen hoch. Sie findet die Aktion einseitig. "Warum nur Türkisch, warum nicht auch Spanisch, Französisch und Englisch?", fragt sie.

Türkisch habe man gewählt, da die Türken die größte Gemeinde in Hamburg darstellen, sagt Tina Allerheiligen, Sprecherin der Hamburger Hochbahn. Die Aufregung um die Aktion versteht sie nicht. "Es wird doch niemand gezwungen, die türkischen Redewendungen zu lernen." Die Hochbahn unterstützt die Aktion, indem sie kostenfrei Werbeflächen für die Plakataktion zur Verfügung stellt. Dort, wo sonst blonde Damen in schneeweißen Bademänteln für das Nivea-Haus posieren, steht jetzt "Hos Geldiniz", auf Deutsch "Willkommen". Daneben sind zwei Fotos abgebildet, auf dem einen ist die Köhlbrandbrücke, auf dem anderen die Bosporusbrücke zu sehen. Kurz bevor die Mädchen Seyran und Nurcan kopfnickend am Veilchenweg aussteigen, sagt Nurcan, sie fände die Aktion "echt korrekt". "Ich finde es gut, dass die Hamburger endlich gecheckt haben, dass es Deutsche und dass es Türken gibt", sagt sie. "Besser wie wenn alle nur so straight ihr Ding machen, weiß du", sagt sie und zieht den Reißverschluss ihres Parkas hoch bis unter ihr Kinn.

Artikel erschienen am 14.10.2006

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aus der Diskussion: Neues aus Multikultistan
Autor (Datum des Eintrages): redbulll  (29.11.06 20:32:44)
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