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Haben Sie eine Strategie? Montag, 22.01.2001 von Horst Fugger


Falls nicht, sollten Sie Ihre Vorgehensweise überdenken

Die meisten Aktienkäufer halten es für sinnvoll, eine bewährte und durchdachte Strategie zu verfolgen. Aber nur wenige haben eine, und in kritischen Situationen hält sich kaum jemand an die Regeln der Vernunft.
Unerfahrene Börsianer hatten im letzten Jahr oft das Gefühl, sie seien dem Auf und Ab der Kurse hilflos ausgeliefert. Da stiegen manche Aktien zunächst um mehr als 100 Prozent, um dann innerhalb weniger Monate ins Bodenlose zu fallen. Wie kann es sein, dass ein Papier, das man im März für 100 Euro gekauft hat, im Dezember nur noch zehn Euro wert ist? War nun der Kurs im Frühjahr der "richtige", also dem realen Wert der Aktie angemessene, oder der vom Jahresende?
Wahrscheinlich keiner von beiden. Bei einigen solchen Aktien war vielleicht auch der Preis im Dezember noch viel zu hoch. Jeder Börsianer muss allerdings wissen, dass Börsenkurse nicht das Resultat vernunftbestimmter Prozesse sind. Emotionen, Hoffnungen und mit 1000 Fehlerquellen behaftete Zukunftsprognosen spielen dabei eine weit größere Rolle. Es handelt sich also um einen durchwegs chaotischen Vorgang. Den "richtigen" Kurs gibt es nicht. Viele Aktienkäufer machen den Fehler, dass sie auf das Chaos der Kursentwicklung mit einer noch weit chaotischeren Kauf- und Verkaufspolitik reagieren. Wenn sie damit anfangs ein paar Gewinne einstreichen, halten sie solchen Dilettantismus vielleicht sogar für eine Strategie. Das böse Erwachen kommt früher oder später, aber es kommt bestimmt.
Mit der Unberechenbarkeit der Börse wird man nur fertig, wenn man einen ausgearbeiteten Plan verfolgt. Eine Strategie eben, die diesen Namen verdient, die ein Ziel und ein Konzept umfasst. Wer eine Strategie hat, weiss ganz genau, was er in jeder erdenklichen Börsensituation tun wird. Daher verliert er nie die Nerven und braucht sich weder auf Gefühle noch auf die Meinung anderer zu verlassen. Anschauliche Beispiele liefert das Day Trading, sozusagen die Formel 1 der Börsenspekulation. Ein Patentrezept gibt es hier nicht. Jeder erfolgreiche Day Trader hat sein ganz individuelles Handelssystem, das zum Beispiel eine Kombination technischer Indikatoren, fundamentaler Bedingungen oder anderer Faktoren umfasst. Wenn ein Kauf- oder Verkaufssignal kommt, geht er den Trade ohne zu zögern ein, und er weiß auch schon vorher ganz genau, wie hoch sein Einsatz sein wird. Wenn die Sache schief zu gehen droht, stellt er sofort glatt und nimmt den Verlust in Kauf. So geht er selbst dann vor, wenn er zuvor zehn Fehlsignale in Folge hatte. Er darf es sich auch gar nicht leisten, das elfte Signal zu missachten, denn es könnte den ganz großen Gewinn bringen, den "Home Run", der vielleicht fünfmal so hoch ist wie die Summe der zehn kleinen Verluste.
Der Erfolg beruht letztendlich darauf, dass der Trader alle Emotionen ausschaltet und fast wie eine Maschine agiert. Das muss er auch, denn eine Emotion wie die Hoffnung, ein krasser Verlusttrade werde schon noch in die gewünschte Richtung drehen, kann in diesem Geschäft Kopf und Kragen kosten. Es gibt Day Trader, die an einem einzigen Tag mehr Geld verloren haben, als sie zuvor in zehn harten und erfolgreichen Jahren gewonnen hatten.
Denken Sie jetzt nicht, das alles gehe Sie nichts an, weil Sie mit Futures und Optionen nichts am Hut haben, sondern nur am Aktienmarkt aktiv sind. Das Prinzip gilt für jede Form der Geldanlage. Ich kenne viele Börsianer, die kein Konzept haben. Ihre Depots sind ein Sammelsurium von Aktien, die sie irgendwann aus irgendwelchen Gründen gekauft haben, an die sie sich teilweise gar nicht mehr erinnern können. Womöglich war ein Tipp von einem Freund dabei, eine Empfehlung der Hausbank und ein völlig abgesoffener "zukünftiger Marktführer", den ein Analystenlehrling im Börsenfernsehen verbraten hatte. Fast überflüssig zu erwähnen, dass sich in solchen Depots regelmäßig 80 Prozent "Leichen" finden. Aktien also, die der Inhaber nur deshalb nicht verkauft, weil er dafür so gut wie nichts mehr bekommen würde, die er aber vor Jahren oder auch erst vor Monaten teuer eingekauft hat. Gekauft hat er sie allerdings nur, weil er eben kein Konzept, keine Strategie hatte. Es zahlt sich an der Börse nicht aus, Aktien mal aus diesen, mal aus jenen Gründen zu kaufen. Jeder Anleger muss ganz genau wissen, welches Ziel er an der Börse verfolgt und wie er es erreichen will. Und sagen Sie jetzt nicht "Ich will reich werden". Das wollen wir alle. Sagen Sie lieber: "Ich akzeptiere ein maximales Kursrisiko von x um eine Rendite von y zu erzielen". Wenn Sie so weit sind, können Sie sich überlegen, welche Aktien für diese Strategie in Frage kommen und Kriterien festlegen, die solche Aktien erfüllen müssen. Das können charttechnische Bedingungen sein, fundamentale Kennzahlen wie ein maximales KGV, KBV, KUV oder KCV, eine Mindestanforderung an die Dividendenrendite, das prozentuale Gewinn- oder Umsatzwachstum per annum oder eine beliebige, ganz auf Ihr Ziel zugeschnittene Kombination aus allen diesen Kriterien. Wenn Sie so weit sind, haben Sie schon ein recht durchdachtes Konzept und sind der Mehrheit der Börsenlemminge deutlich überlegen. Drücken wir es mal bildlich aus: Sie haben ein Sieb, durch das alle Aktien fallen, die Ihre Bedingungen nicht erfüllen. In der Regel bleiben noch mehr als genug andere Aktien übrig, und nun können Sie an die Feinabstimmung gehen, Erkundigungen über die einzelnen Unternehmen einholen und schließlich die Auswahl treffen.
Auch dann müssen Sie leider noch mit einer gewissen Fehlerquote leben, denn die Börse hält nun mal jeden Tag ihre Überraschungen für uns bereit. Aber Sie werden besser abschneiden als 95 Prozent aller anderen Börsianer, die sich auf Tipps, Emotionen und ähnlichen an der Börse hinderlichen Krempel verlassen
 
aus der Diskussion: Börsenguru`s
Autor (Datum des Eintrages): Bischoff  (24.01.01 22:03:45)
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