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Gegenseitige Schuldzuweisungen begleiten schleppenden Start ins Digital-Zeitalter


Der Schlüssel zum Digital-TV liegt nicht nur bei den Inhalten


Von Jann Ohlendorf, Handelsblatt.com


Digital-TV hat sich in Deutschland noch nicht durchgesetzt. Neben dem digitalen Pay-TV-Angebot Premiere World sind zwar vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender bereits seit geraumer Zeit aktiv, aber die Nachfrage blieb bisher gering. Nicht nur der weltweit größte Software-Hersteller für interaktive Set-Top-Boxen glaubt dennoch an einen Durchbruch auf dem zweitgrößten TV-Markt der Welt.




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HB DÜSSELDORF. Stephane Goebel, Managing Director beim Softwarehersteller Open TV macht sich wenig Illusionen über den Verbreitungsgrad des digitalen Fernsehens. “Deutschland ist beim Thema Digital-TV im Vergleich zu den Nachbarländern ganz klar auf der Standspur.” Dennoch glaube Open TV daran, dass sich der Markt in den nächsten Monaten entwickeln werde und habe deshalb im vergangenen Jahr in Deutschland ein Büro eröffnet, sagte Goebel im Gespräch mit Handelsblatt.com. Der weltweit führende Anbeiter von Software für Set-Top-Boxen will aus der Not eine Tugend machen: Da der Markt mit attraktiven Free-TV-Programmen dicht besetzt sei, werde es für die Digital-TV-Anbieter darauf ankommen, interaktive Dienste einzubinden, die im Ausland bereits stark genutzt würden. Open TV hofft dabei auf längere Sicht auf einen ähnlich großen Erfolg wie in einigen Nachbarstaaten.
Goebels Worten nach wird die Zukunft trotz der interaktiven Zusatzangebote nicht in einer stärkeren Verknüpfung mit dem PC liegen. “Das eine ist ein Arbeitsgerät, das andere ein Unterhaltungsmedium.” Open TV, das 1994 zunächst als Marketingallianz der Unternehmen Thomson Multimedia und Sun Microsystems gegründet worden war, habe wie auch der Konkurrent Liberate Technologies - an dem Oracle die Mehrheit hält - selbst einen starken Technologierückhalt, sagte Goebel. Inhalte und Technik müssten beim Digital-TV aber stets eine Symbiose eingehen. Aus diesem Grund sehe das Unternehmen Ambitionen des Softwareherstellers Microsoft, in den Markt einzusteigen, mit Gelassenheit entgegen. “Microsoft hat noch keine Partner gefunden, während weltweit bereits 21 Networks mit unserer Softeware den Sendebetrieb aufgenommen haben”, sagte Goebel.

Verbreitung in Deutschland bisher gering

Anders als in anderen Ländern, in denen die Software von prominenten Sendern und Kabelbetreibern wie BskyB in Großbritannien, TPS in Frankreich oder Stream in Italien verwendet wird, hat sich in Deutschland bislang nur der Kabelbetreiber Primacom zur Partnerschaft bereit erklärt; eingesetzt wird das Open TV-Betriebssystem zudem in Free-To-Air-Decodern zahlreicher Hersteller, mit denen kostenfrei ausgestrahlte Sender wie ARD Digital oder ZDF.vison empfangen werden können.

Die Kirchgruppe, die mit ihren Pay-TV-Angebot Premiere World den deutschen Markt dominiert, macht Goebel für den geringen Erfolg des Digital-Fernsehens in Deutschland mit verantwortlich. Da die Technik der D-Box nicht ausgereift sei, könnten die meisten Digital-TV-Nutzer keine interaktiven Funktionen nutzen, die gerade den Reiz des neuen Übertragungsstandards ausmachten. Goebel verwies auf die Einführung der Open-Plattform in Großbritannien, bei der Kunden seit 1999 via Fernbedienung einkaufen, Bankgeschäfte erledigen oder E-Mails schreiben können. Der interaktive Service werde bereits von mehr als einer Millionen Haushalte mindestens einmal pro Woche genutzt und erziele beachtliche Umsätze. Open ist ein Gemeinschaftsunternehmen von BskyB, British Telecom, der Bank HSBC und dem japanischen Konzern Matsushita. Nach Goebels Worten wird der Erfolg der Plattform auch in Deutschland Nachahmer finden. "In den nächsten 24 Monaten wird sich der Markt entwickeln."

Digital-TV ist kein Synonym für Pay-TV

Lutz Mahnke, Vorsitzender des Bündnisses Free Universe Network (Fun), in dem sich 49 Unternehmen zusammen geschlossen haben, die beim Zugang zum Digital-TV für einen offenen Standard eintreten, sagte Handelsblatt.com: “Wir haben ein Kommunikationsproblem. Digitales Fernsehen wird in Deutschland nur als Pay-TV wahr genommen.” In Deutschland seien zwar bereits 100 000 Boxen mit dem Fun-Standard abgesetzt worden, aber Anbieter wie die ARD unternähmen viel zu wenig, um ihre interaktiven Zusatzdienste wie elektronische Programmführer und exklusive Digitalformate beim Publikum bekannt zu machen. Trotz einer knapp vierjährigen Probephase habe der Einstieg ins digitale Fernsehen erst im vergangenen Jahr richtig begonnen. “Bislang ist das sicherlich keine Erfolgsstory”, sagte Mahnke.

Michael Albrecht, ARD-Koordinator für digitales Fernsehen, sagte Handelsblatt.com, die Kritik sei durchaus berechtigt. “Wir werden sicherlich Anstrengungen unternehmen müssen, um unsere digitalen Angebote der Öffentlichkeit besser bekannt zu machen.” Dabei sei allerdings zu berücksichtigen, dass der Aufwand auch in Relation zur Zahl der Nutzer stehen müsse. Größtes Hindernis bleibe, dass der Mehrwert technisch meist nicht zur Geltung komme. “Die Blockade liegt darin, dass die Abbildung der Dienste nicht gewährleistet ist”.

Dennoch zeigte sich Albrecht optimistisch. Die Industrie habe durch den Digitalstandard Multimedia Home Platform, MHP, nun Planungssicherheit gewonnen. Da auch die neue D-Box diesen Standard unterstützen werde, sei ein Durchbruch noch in diesem Jahr denkbar.



HANDELSBLATT, Freitag, 26. Januar 2001
 
aus der Diskussion: Deutsches Konsortium
Autor (Datum des Eintrages): junkstro  (26.01.01 09:09:41)
Beitrag: 26 von 115 (ID:2776411)
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