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Wir erinnern uns: vergangene Ostern wurde der Deutsch-Äthiopier Ermyas M. nachts an einer Bushaltestelle angegriffen und fiel dabei so übel auf die Bordsteinkante, dass er wochenlang im künstlichen Koma verbrachte und in Lebensgefahr schwebte.

Schnell wurden zwei "Täter" geschnappt: Björn L. und Thomas M., angeblich zwei Neonazis. Es gab eine bühnenreife Guantanamo-Show, wo man Björn L. mit orangefarbenen Klamotten und verdunkelten Augen per Hubschrauber nach Karlsruhe flog, die Bundesanwaltschaft kümmerte sich um den Fall. Währenddessen gab es Gottesdienste, Spendensammlungen, Lichterketten für das Opfer (leider nicht für den Angolaner, der im Immigranten-Viertel Wedding fast zeitgleich von einer Gruppe Jung-Türken fast totgeschlagen wurde, für den Angolaner interessierte sich kein Schwein).

Potsdam wurde kurz von der WM zur No-Go-Area ausgerufen, weil es da vor Neonazis nur so wimmele.

Doch von Anfang an gab es Unstimmigkeiten: Der Hauptangeklagte ist bisher nie als Neonazi in Erscheinung getreten, sein Problem war, dass er eine NAMENSÄHNLICHKEIT hatte mit einem stadtbekannten Neonazi. Das interessierte aber schon niemanden mehr - zu schön war das Klischeefutter. Dass Ermyas M. seine wesentliche Verletzung nicht von dem Schlag hatte, sondern durch den darauf erfolgten Sturz (wodurch der Vorwurf des Mordversuchs unmöglich war) interessierte auch schon kaum einen mehr: rassistischer Mordversuch - so lauteten die Schlagzeilen.

Bundesweit und auch im Ausland wurde über den Fall berichtet - doch inzwischen wird der Fall nur noch im Lokalteil abgewickelt. Warum? Weil die Beweislage massiv ins Wanken gekommen ist.

Inzwischen haben mehr als ein halbes Dutzend Zeugen (darunter zwei Polizeibeamte und ein Arzt) ausgesagt, dass die Stimme auf dem Handy nicht die des Angeklagten sein konnte, da dieser zur damaligen Zeit heiser war und kaum sprechen konnte und schon gar nicht in dieser hohen Stimmlage. Die angeblichen DNA-Spuren an der Bushaltestelle erweisen sich nun als unhaltbar. Auch Zeugen konnten den Mann nicht indentifizieren. Kurz: es zeichnet sich ab, dass der Hauptangeklagte nicht mal vor Ort war, geschweige denn den Afrikaner geschlagen hat.

Meine Prognose ist: die beiden werden freigesprochen werden, weil es nicht einen einzigen Beweis überhaupt auch nur für ihre Anwesenheit in der Tatnacht gibt. Das Etikett des rassistischen Möchtegern-Mörders werden sie aber sicher ihr Leben lang nicht mehr los. Die wirklichen Täter laufen möglicherweise immer noch frei herum.

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Beweise im Fall Ermyas M. schwinden DNA-Spur reicht nicht für Belastung des Angeklagten



Potsdam - Die Staatsanwaltschaft gerät im Potsdamer Prozess zur Gewalttat gegen Ermyas M. immer stärker in die Defensive. Nachdem in den vergangenen Verhandlungstagen bereits die Zweifel wuchsen, dem Angeklagten Björn L. sei eine Beteiligung an dem Verbrechen nachzuweisen, erscheinen jetzt auch die Vorwürfe gegen den zweiten Beschuldigten, Thomas M., fragwürdig. Eine DNA-Spur, von der Staatsanwaltschaft als stärkstes Indiz für die Schuld von Thomas M. gewertet, verlor gestern durch die Aussage einer Sachverständigen des Landeskriminalamts an Beweiskraft.

Die Beamtin hatte eine Flaschenscherbe untersucht, die am Tatort in Potsdam gelegen hatte und auf der sich laut Anklage genetisches Material von Thomas M. und dem Opfer Ermyas M. findet. Die „Mischspur“ auf der Scherbe könnte von bis zu fünf Personen verursacht worden sein, sagte die Sachverständige im Landgericht. Dass ein Teil der „zellulären Anhaftungen“ Thomas M. zuzuordnen ist, kommt für die Beamtin nur „in Betracht“. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft beweist die Scherbe, dass Thomas M. zum Zeitpunkt der Tat, in der Nacht zu Ostersonntag 2006, am Ort des Geschehens war. Die Sachverständige sprach aber von einer lediglich „minimalen Spur“. Die Beamtin wusste nicht einmal genau, „was ich da untersucht habe“. Die DNA-Spur war so winzig, dass sie weder als Blut oder Haut noch als anderes Teilchen des menschlichen Körpers identifiziert werden konnte. Außerdem lieferte die Polizei die Scherbe in einer Tüte mit anderen Resten von Bierflaschen ab, die am Tatort gefunden worden waren. Eine „Übertragung“ der DNA-Spur von einer Scherbe zur anderen sei nicht auszuschließen, sagte die Sachverständige.

Zuvor war im Prozess schon ein wesentliches Indiz aus der Anklage gegen Björn L. blasser geworden. Zeugen konnten eine hohe Stimme, die in der Tatnacht auf der Mobilbox der Frau von Ermyas M. zu hören war, nicht als die des im April 2006 an einer Kehlkopfentzündung erkrankten Björn L. erkennen. Frank Jansen


http://www.tagesspiegel.de/brandenburg/archiv/22.03.2007/315…
 
aus der Diskussion: Justizposse der besonderen Art zeichnet sich ab: der Fall Potsdam
Autor (Datum des Eintrages): LadyMacbeth  (22.03.07 10:49:29)
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