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PALÄSTINA
Die Front gegen Hamas bröckelt
Von Hans-Jürgen Schlamp, Brüssel

Offiziell gilt die Kontaktsperre weiter: Solange die neue palästinensische Regierung ein Existenzrecht Israels nicht anerkennt, sind Amerikaner und Europäer auf Distanz. Hinter den Kulissen aber wird in Europas Hauptstädten die Nahost-Politik in diesen Tagen von Grund auf verändert.


Brüssel - US-Außenministerin Condoleezza Rice und Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon sind schon im Anflug. Gegen Ende kommender Woche will auch die deutsche Kanzlerin bei der frisch gebildeten Palästinenser-Regierung in Gaza die Chancen eines neuen Anlaufs zum Frieden ausloten. Etliche europäische Außenminister haben sich angekündigt, die Politprominenz drängelt sich im Gaza-Streifen.


Hanija (r.) und Johansen: Ein Nordlicht als Vorbote

Auf allen Ebenen, so scheint es, ist plötzlich Bewegung in die seit Jahren festgefahrene Nahost-Politik gekommen. Donnerstag und Freitag kommender Woche wollen die EU-Außenminister in Bremen die neue Marschrichtung besprechen. Und Italiens Chefdiplomat Massimo D'Alema und sein französischer Kollege Philippe Douste-Blazy werden darauf drängen, die Kontakte zur Regierung in Gaza auszubauen und dieser auch bald wieder mit direkten Finanzspritzen zu helfen.

Auch das Europäische Parlament drückt. Die EU-Sanktionen gegen die palästinensische Regierung, die nach dem Wahlerfolg der radikal-islamischen Hamas-Bewegung im vorigen Jahr verhängt wurden, sollten nun schleunigst aufgehoben werden, fordert der Auswärtige Ausschuss des EU-Parlaments.

Nichts ist beschlossen, aber allen Akteuren ist klar: Plötzlich ist alles anders. Während die alten Bekenntnisse noch beschworen werden, ändert sich die praktische Politik. Das Credo der EU-Nahost-Position klingt auf einmal hohl und irreal.

Drei Bedingungen hatte das so genannte "Nahost-Quartett", bestehend aus den USA, der EU, Russland und der Uno, der Hamas-Bewegung als Voraussetzung für jedes Gespräch gestellt: Sie muss Israel ein Existenzrecht zubilligen, muss dem "bewaffneten Widerstand" abschwören und alle Vereinbarungen akzeptieren, die seit 1993 von früheren palästinensischen Regierungen mit Israel getroffen wurden. Bis heute hat Ministerpräsident Ismail Hanija keine dieser Forderungen erfüllt. Deshalb bleibe es bei der "Quartett"-Position, Hanijas Regierung zu schneiden, versichern Brüsseler Offizielle und EU-Diplomaten täglich - bereiten aber gleichzeitig die politische Wende schon im Detail vor.

Ein Norweger kam als Vorbote

Der erste Vorbote war Raymond Johansen, Staatssekretär im Norwegischen Außenministerium: Letzten Montag traf er in Gaza ganz offiziell und amtlich Ismail Hanija, den Hamas-Regierungschef. Norwegen, machte Johansen klar, wolle die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Oslo und Gaza baldmöglichst wieder aufnehmen und sich nicht mehr an die von der EU verordnete Hamas-Abstinenz halten. In Brüssel konnte das noch mit Schulterzucken kommentiert werden. Norwegen sei schließlich kein EU-Mitglied und folge, wenn überhaupt, dann nur freiwillig dem, was die 27-Staaten-Gemeinschaft beschließt. Die bleibe einstweilen auf altem Kurs.

Am "Programm und an den Taten" werde man die Hamas-Fatah-Regierung messen, verkünden unbeirrt die diplomatischen Floskelmaschinen, von Berlins Außenminister Steinmeier bis zum EU-Außenbeauftragten Solana. Doch gleich nach dem Nordlicht sprach ein Mann aus Europas Süden vor, Vittorio Craxi, Staatssekretär im Auswärtigen Amt Italiens, eines EU-Gründungsmitglieds also. Er telefonierte mit Hanija und versicherte, Rom wolle sich den neuen Chancen, die die palästinensische Einheitsregierung böte, nicht verschließen.

Aus Paris und aus Wien übermittelten Emissäre Einladungen für Außenminister Siad Abu Amr nach Gaza. Dort brüstete sich Regierungschef Hanija in einem Interview mit Italiens "Corriere della Sera", schon seien auch "einige EU-Außenminister bereit, in den Gaza-Streifen zu kommen, um mich und andere Regierungsmitglieder zu treffen". Das Ende des EU-Embargos, jubelte Hanija, sei nahe. Und in der Tat, ganz so sieht es aus.

Der erste Schritt, der in dieser Woche getan wurde, ist die Unterscheidung von "good boys" und "bad boys" in Gaza. Zur ersten Gruppe gehören jene "unabhängigen" Mitglieder der Hamas-geführten Regierung, "die persönlich alle drei Positionen der EU und des Quartetts unterstützen", so ein Kommissions-Beamter. Vor allem Finanzminister Salam Fajad, Außenminister Siad Abu Amr und Informationsminister Mustafa Bakuti sind so über Nacht - neben Palästinenserpräsident Mahmud Abbas - zu willkommenen Gesprächspartnern geworden. Nur der verstockte Rest der Regierung, die Mitglieder der radikal-islamischen Hamas bleibt einstweilen außen vor. So ist man in gutem, mittelbarem Kontakt und kann die heiklen Prinzipien-Fragen doch einstweilen ungelöst lassen.

"Bei dem Thema ist im Moment jedes Wort brisant"

Man kann sogar wieder über die Finanzierung der Gaza-Regenten sprechen. Schon im vergangenen Jahr war die internationale Hilfe für die Palästinenser, trotz des Hamas-Boykotts westlicher Länder, von einer Milliarde (2005) auf 1,2 Milliarden Dollar gestiegen. Allerdings hatte die EU, der größte Finanzier, Subventionen, die zuvor an die Regierung gingen, durch direkte Zahlungen an Polizisten, Lehrer und bedürftige Familien ersetzt. So soll es erst einmal weitere drei Monate weitergehen, hat die Kommission gerade verkündet.

Kein Problem, beruhigte Gaza-Finanzminister Fajad seine europäischen Gesprächspartner. In den nächsten Tagen oder Wochen könne er in seinem arg heruntergekommenen Ministerium mit Millionen aus Brüssel sowieso nichts anfangen. Um das Geld zu empfangen, ordentlich zu verbuchen und sinnvoll auszugeben, fehle es an ausgebildeten Menschen, an Computern, selbst an schlichten Taschenrechnern, einfach an allem. Das sollten die Europäer jetzt erst einmal aufbauen helfen, das sei ja auch politisch weniger brisant. Und erleichtert versprachen die Europäer dem Kassenwart aus Gaza, unterhalb der direkten Regierungssubvention könne man vieles noch ausbauen, am Geld werde nichts scheitern.

Ohne Risiko ist die neue Großzügigkeit allerdings nicht. Bekommt die Hamas-Regierung nun, was sie braucht - Geld vor allem - so könnte ihre Lust, auch unpopuläre Schritte in Richtung Frieden mitzugehen, deutlich schwinden. Und in dem Fall dürfte sich auch Israel eher wieder eisenhart als kompromissbereit zeigen. "Dann hätten die Europäer in ihrer guten friedlichen Absicht etwas sehr Dummes gemacht", sagt ein hochrangiger Brüsseler EU-Beamter, aber nur anonym. Denn, "bei dem Thema ist im Moment jedes Wort brisant".

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,473533-2,00.htm…


nach 50 jahren sollte man eigentlich erwaren können, daß europa politisch erwachsen geworden sei. stattdessen tritt der ganze laden in vorleistung für terroristen, die sich kein milimeter bewegt haben. die zeit und die realität werden erweisen, ob sich dieser gutmenschenverein bis auf die knochen blamiert.
 
aus der Diskussion: Kindergeld für Gewalt in Gaza
Autor (Datum des Eintrages): Heizkessel  (23.03.07 17:09:31)
Beitrag: 7 von 7 (ID:28456336)
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