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DIE ZEIT


Wahnsinn mit Methode

Ein Grundeinkommen für alle ist ungerecht und bläht den Staat auf.

Von Norbert Blüm

Ein Bürgergeld wird vorgeschlagen, wie die ZEIT vergangene Woche eingehend berichtete. Das ist der neueste Hit aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der Reformer, die alles anders machen wollen. Das Bürgergeld soll eine Pauschale sein, die der Staat an alle zahlt. Jeder bekommt einen Schlag aus der Gulaschkanone, die an die Stelle des Sozialstaates tritt.

Das Bürgergeld ist ein staatlicher Einheitslohn. Für die einen wird das ein Hungerlohn sein und für die anderen, die es nämlich gar nicht nötig haben, ein Trinkgeld. Ob Arm oder Reich: Vor dem Bürgergeld sind alle gleich. Das Bürgergeld ist die Dampfwalze, die den Sozialstaat plattmacht.

Das »arbeitslose« Grundeinkommen, welches Bürgergeld genannt wird, verstößt gegen alles, was wir über Gerechtigkeit und Solidarität gelernt haben. Es kämmt alle über den gleichen Kamm. Das Zeitalter der Gleichmacherei hat begonnen. Pauschalen verletzen das Gerechtigkeitsgefühl. Das musste die CDU/CSU mit ihrer Kopfpauschale bei der Bundestagswahl bitter erfahren. Einen Fehler einmal machen kann Pech sein. Ihn zu wiederholen ist jedoch Dummheit.

»Mehr Staat – mehr Nivellierung« galt früher als Teufelszeug in der CDU/CSU. Jetzt schlägt Ministerpräsident Dieter Althaus ein Bürgergeld vor. Das Bürgergeld verstößt gegen die Gerechtigkeit, weil die Gerechtigkeit verlangt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Bürgergeld und Kopfpauschale dagegen behandeln Ungleiches gleich. Der Chauffeur und sein Chef zahlen die gleiche Pauschale und erhalten das gleiche Bürgergeld. Das widerspricht allem, was ein der gesunde Menschenverstand unter Gerechtigkeit versteht.

In der Sozialversicherung gilt das Prinzip der Gegenseitigkeit, das in der Rentenversicherung noch durch den Grundsatz der Äquivalenz präzisiert wird: Leistung für Gegenleistung, Rente für adäquaten Beitrag. Wer länger und höhere Beiträge zahlt, erhält eine höhere Rente als der, welcher kürzer und niedrigere Beiträge gezahlt hat. Die Rentenleistung entspricht proportional der Beitragsleistung. Dieser Zusammenhang entspricht der Leistungsgerechtigkeit und stützt die Leistungsbereitschaft in unserem Sozialsystem. Rente ist kein Altersalmosen, sondern Alterslohn für Lebensleistung. Das hat die Rentenversicherung von der Fürsorge unterschieden. Das alles soll jetzt annulliert werden.

Die Entkoppelung von Erwerbsarbeit und Sozialleistungen nimmt aus dem Sozialstaat den Anreiz zur Leistung. Das Bürgergeld unterminiert die Motivation zur Arbeit. Es wird im Gegenteil sogar den Ausschluss aus der Arbeit befördern, weil auch ohne Arbeit derjenige, der arbeiten könnte, ein staatliches Einkommen garantiert bekommt. Der Staat beschafft sich dabei noch ein gutes Gewissen. Schließlich wird ja niemand verhungern. Das allerdings reicht zur Rechtfertigung des Sozialstaates noch nicht aus. Der hat nicht nur mit Barmherzigkeit zu tun. Er ist auch der Gerechtigkeit verpflichtet.

Der Fürsorgestaat interessiert sich nicht für Arbeit und Leistung. Das Bürgergeld als bedingungsloses Grundeinkommen forciert den Ausschluss und den Ausstieg aus der Arbeit. Wer Arbeit und Einkommen trennt, erhöht die Fremdbestimmung und vergrößert die Abhängigkeit vom Geldgeber Staat.

Mit dem staatlichen Almosen wird außerdem der freie Fall der unteren Lohngruppen programmiert. Es gibt kein Halten mehr. Auf die unteren Lohngruppen muss fortan in den Unternehmen nicht mehr geachtet werden. Der Staat bezahlt einen Mindestlohn. Das Bürgergeld ist ein Pendant zur Lohnsubvention. Die Arbeitgeber können leichten Herzens Hungerlöhne zahlen. Mit Kombilöhnen wird bereits die neue Arbeitsteilung zwischen Staat und Wirtschaft geübt. Die also auszogen, wie zum Beispiel die CDU, weniger Staat zu schaffen, bringen das Gegenteil zustande. Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.

Die Einrichtung des Bürgergeldes wird mit dem Vorteil angepriesen, dass der Staat viele Milliarden spart, weil es keine weiteren Sozialleistungen gibt. Da werden sich Deutschlands Großverdiener aber freuen. Die Ersparnis kann gar nicht von den »Besserverdienenden« kommen, denn sie erhielten ja keine Sozialleistungen. Wo nichts ist, kann auch nichts gespart werden. Die Ersparnis kommt also von denen, die bis dahin höhere Sozialleistungen erhielten als das Bürgergeld, das die Sozialleistungen ersetzt.

Die Reichen bekommen eine Leistung, die sie gar nicht gefordert haben, und die Schwächeren verlieren eine Unterstützung, auf die sie angewiesen sind. Die einen erhalten also, was sie gar nicht wollen, und die anderen sparen – was sie nicht können. Es sparen die Ärmeren für die Reicheren. »Die Starken für die Schwachen«, dieser Grundsatz galt bisher. Er wird jetzt umgedreht. Das ist eine Solidaritätsordnung für Geisterfahrer.

Ist der Sozialstaat durchgeknallt?

Mit der Ersparnis geht es im Übrigen auch nicht so schnell, wie die schnellen Erfinder des Bürgergeldes angeben, denn die Rentenversicherung muss vorerst weiter Rente bezahlen. Wer Beiträge gezahlt hat, hat nämlich einen eigentumsgeschützten Anspruch auf Rente, der nicht einfach annulliert werden kann. Also mit dem Übergang vom Sozialstaat zum Fürsorgestaat geht es nicht so glatt, wie seine Befürworter planen. Es wird so lange die alte Rente gezahlt, bis der letzte Beitragszahler die Tür zugemacht hat.

Gewinner der Einführung des Bürgergeldes werden die Privatversicherungen sein. Denn sie treten an die Stelle der Sozialversicherung. Diejenigen, denen das Bürgergeld für ihren Lebensstandard nicht ausreicht und die sich für die verlorene Sozialversicherung eine private Vorsorge leisten können, werden sich in die Obhut der Privatversicherung flüchten. Die Privaten erben die Kundschaft der Sozialversicherung, jedenfalls die bessergestellte. Das wird ein Milliardengeschäft für »Allianz & Co«. Hinter dem ganzen Getöse um das Bürgergeld steckt ein handfester Lobbyismus. Oberhalb des Bürgergeldniveaus können sich die Privatversicherungen austoben. Das ist ein Bombengeschäft!

Die kapitalgedeckte Sozialpolitik ist eine börsenorientierte Sozialpolitik. Diese schafft nicht mehr soziale Sicherheit, sondern ist allen Turbulenzen der Spekulation ausgesetzt. Der große Kladderadatsch der privatisierten Sozialpolitik steht noch bevor. Das Erdbeben der kapitalgedeckten Privatversicherung kündigt sich weltweit an. Große Pensionsfonds sind in Zahlungsunfähigkeit geraten oder davon gefährdet.

Die börsenorientierte Sozialpolitik ist das Quellgebiet für einen Finanzkapitalismus, der sich von Arbeit und Wertschöpfung weitgehend emanzipiert hat. Finanzströme umkreisen den Erdball ohne Ankerplatz für Investitionen. Investitionsloses Kapital vagabundiert auf den Finanzmärkten. »Arbeitsloses« Geld gibt es in Hülle und Fülle. Es liefert das Heizmaterial für Spekulationen. Hedgefonds sind Wettbüros, die an Unternehmensbestand und -entwicklung wenig interessiert sind, an den Arbeitsplätzen überhaupt nicht.

Diese Finanzvagabunden unterminieren eine personale Unternehmenskultur. Unter dem Ansturm des Finanzkapitals geraten die Unternehmen in Gefahr, zu virtuellen Gebilden degradiert zu werden. Das Management verwandelt sich zu Funktionären der Börse. Große Unternehmen entpuppen sich als eine Logistikabteilung, die vornehmlich einen Warenstrom organisiert, dessen Produkte anderswo hergestellt, lediglich zugeliefert, um dann unter dem Logo des Unternehmens verkauft zu werden. Den Rest macht das Marketing. Das wird nicht lange gut gehen. Aber dass ausgerechnet mit Hilfe der Finanzmittel des Sozialstaates Unternehmen ramponiert, Verlässlichkeit eliminiert und die Arbeit entwertet werden soll, zählt zu den Paradoxien der Zeit.

Es gehört zur Emanzipationsgeschichte der Arbeiterbewegung, dass der Sozialstaat sie aus der Obhut eines Obrigkeitsstaates befreite, indem er die Sozialversicherung als solidarische Selbsthilfe organisierte. Der Sozialversicherung liegt das Prinzip der Selbstverwaltung zugrunde, das zugegebenermaßen schwächer geworden ist und wieder stärker ausgebaut werden muss.

Zwischen den Extremen der Staatsversorgung auf der einen und der privaten Alleinversorgung auf der anderen Seite muss eine selbst verwaltete Sozialversicherung als Institution der subsidiären Solidarität gestärkt werden. Weder Privatisierung noch Verstaatlichung ist der Weg, den die christliche Soziallehre weist. Es geht um die Renaissance der solidarischen Selbsthilfe, deren bevorzugte Instrumente Sozialversicherung und Tarifautonomie sind.

Das Bürgergeld weist in die entgegengesetzte Richtung. Seine Maxime ist: »Weg mit der Selbstverwaltung«. Dafür: »Mehr Staat« und »Mehr Privatversicherung«. Die Quintessenz dieser Entwicklung ist die Entleerung des gesellschaftlichen Raumes zwischen Staat und Individuum, in dem die Subsidiarität ihr Ordnungsfeld hat.

Auf dem Holzweg befindet sich ein Sozialstaat, der sich auf Armutsbekämpfung beschränkt und der Privatversicherung das »Rest«-Geschäft überlässt. (Bei diesem Rest geht es immerhin um ein paar hundert Milliarden.) So wird zwischen den Mühlsteinen von staatlichem Bürgergeld und privater Versicherung die Sozialversicherung zerrieben. Daran sind Neomarxisten und Neoliberale gleichermaßen interessiert, und so erklärt sich auch ihre merkwürdige Verlobung.

Für die Neoliberalen ist das Bürgergeld eine Verlockung, weil sie das Feld planiert, auf dem die Privatversicherung ihre Geschäfte uneingeschränkt von der Sozialversicherung machen kann. Für den Profit der Privatversicherung verraten einerseits die Neoliberalen – wenn es sein muss – ihre Oma und ihre Überzeugungen. Hauptsache, der Sozialstaat geht vor die Hunde. Mit dem Bürgergeld wird andererseits der Marxschen Forderung Rechnung getragen: »Nicht Kampf im Lohnsystem, sondern gegen das Lohnsystem«. Was die Lohnabhängigkeit zerstört, ist nach marxistischer Überzeugung gut.

Es ist das Vorspiel zum sozialistischen Schlaraffenland, in dem angeblich jeder nach seinen Bedürfnissen leben kann. Der Neomarxist André Gorz und der CDU-Ministerpräsident Althaus liegen sich in den Armen und feiern das Bürgergeld. Neoliberale und Marxisten Seite an Seite im Kampf gegen den Sozialstaat – so weit ist die Konfusion gediehen. Die Extreme fusionieren.

Wenn die CDU beim Bürgergeld mitmacht und im Übrigen die private Kapitaldeckung zum zentralen Stellwerk der sozialen Sicherheit macht, sind ihr entweder alle Sicherungen durchgebrannt, oder sie hat alles vergessen, was ihr bisher als gut erschien. Gerechtigkeit wird zu einem Phantombegriff, so wie es der neoliberale Vordenker Friedrich August von Hayek lehrte.

Doch nach dem Rausch kommt bekanntlich der Kater, und in der dann eintretenden Ernüchterung wird die alte Wahrheit wieder klar, die der Erfinder der Marktwirtschaft, Adam Smith, schon vor rund zweieinhalb Jahrhunderten kannte: »Der Wohlstand der Völker kommt von der Arbeit«, und ein Sozialstaat, der diese Wahrheit vergisst, bringt sich selber um, weil er seine Moralität verloren hat.

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DIE ZEIT, 19.04.2007 Nr. 17

17/2007
http://www.zeit.de/2007/17/Grundeinkommen?page=all
 
aus der Diskussion: Blüm gegen Neoliberale, Neomarxisten u. Grundeinkommen
Autor (Datum des Eintrages): obus  (22.04.07 10:00:17)
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