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[urlGeburt der USA

Auf Kircheschwänzen stand die Todesstrafe
VON DIETMAR OSTERMANN


Schiffs-Nachbauten
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Der Pfad auf die kleine Insel führt über eine Holzbrücke, die sumpfiges Brackwasser überspannt, dann eine Anhöhe hinauf, bis hinter einer mächtigen Gedenksäule und der Ruine einer Backsteinkirche grob gehauene Palisaden ins Blickfeld rücken. Das Gelände, das der nachgebaute Holzzaun zum Fluss hin einhegt, ist dreieckig und kleiner als ein Fußballfeld. An einem rohen Pfahl hängt schlaff die Fahne Britanniens, das rote Diagonalkreuz. So also mag sie ausgesehen haben, die erste ständige britische Siedlung in Amerika, angelegt vor 400 Jahren.

Vor wenigen Jahren noch war um die Kirche wenig mehr als grüne Wiese. Die Überreste des Forts, glaubte man, habe der James River längst weggespült. Auch als der junge Archäologiestudent Bill Kelso die Insel vor Jahrzehnten zum ersten Mal betrat und sich nach dem legendären Jamestown erkundigte, wurde abgewunken. Er käme zu spät, sagte man ihm, " es ist da draußen und verloren für immer".

Jetzt steht Bill Kelso wieder auf der Anhöhe und blickt auf den Fluss. Über die Auskunft von damals kann er nur schmunzeln. "Alle hatten akzeptiert, dass das Fort weggespült wurde", erzählt er, "aber es gab Berichte, die sagten, die Kirche war im Fort, und die Kirche ist noch hier."

Also begann Kelso 1994, den Lehmboden abzutragen. Bald stieß er auf Scherben, Gräber, Grundmauern. Zwei Jahre später war er überzeugt, gefunden zu haben, wonach er suchte, das, was sie im nahen Besucherzentrum die erste Kolonie des britischen Empire und zugleich den "Geburtsort der Vereinigten Staaten von Amerika" nennen. Derzeit ist Kelso ein gefragter Mann. Am Freitag kommt die Queen nach Jamestown, eine Woche später George W. Bush. Amerika feiert die Ankunft der ersten Briten vor 400 Jahren, und Bill Kelso hat aus dem Jubiläum Geschichte zum Anfassen gemacht.

Am 14. Mai 1607 gingen auf dem kleinen Eiland im James-Fluss drei englische Schiffe vor Anker. Die Besatzung hatte nicht im Auftrag ihrer Majestät den Atlantik überquert, vielmehr wurde die Expedition finanziert und ausgerüstet von einer privaten englischen Aktiengesellschaft, der Virginia Company. Die wollte in der Neuen Welt Geschäfte machen. Der Auftrag lautete, an einem schiffbaren Fluss ein Fort zu errichten, weit genug weg von der Küste, um sicher zu sein vor den Spaniern, die in Amerika längst Fuß gefasst hatten. Die Engländer träumten von Gold und einem Seeweg in den Pazifik. Was die ersten 104 Kolonisten erwartete, war indes eine unwirtliche Insel voller Moskitos und ohne Wasserquellen.

Fort James, das spätere Jamestown, ist ein Ort der Mythen und Legenden. In der romantischen Variante verdanken die Engländer ihr Überleben in der amerikanischen Wildnis einer hübschen Häuptlingstochter, Pocahontas. Die habe einen jungen Offizier namens John Smith davor bewahrt, dass ihm der Schädel gespalten wurde, und ihren Vater Powhatan davon abgehalten, den weißen Fremdlingen den Garaus zu machen. "Die meisten Historiker bezweifeln heute eine Romanze zwischen John Smith und Pocahontas", sagt Ann Berry von der Jamestown-Gedenkstätte, "Das Mädchen war damals wahrscheinlich zwölf Jahre alt. Vermutlich war es das Kupfer der Engländer, das Powhatan dazu bewegt hat, die Fremden zu dulden und Handel zu treiben." In den ersten Jahren glich das Leben in Jamestown einem Kampf ums Überleben. Die Siedler hatten sich darauf verlassen, Lebensmittel bei den Powhatan-Indianern einzutauschen, doch im heutigen US-Bundesstaat Virginia herrschte zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine ungewöhnliche Dürre. Zudem bestand das halbe Kontingent der ersten Kolonisten aus so genannten Gentlemen, Mitgliedern der feinen britischen Gesellschaft, die lieber Pfeife schmauchten und Bowling spielten als zu arbeiten.

Im Hungerwinter 1610 fielen die verzweifelten Engländer dann nicht nur über Hunde, Katzen, Ratten, Schlangen und anderes Getier her. Einige buddelten der Überlieferung zufolge Leichen aus, um sie zu verspeisen. Ein Siedler, der seine schwangere Frau umgebracht und zum Verzehr gesalzen hatte, wurde mit dem Tode bestraft. Zwei von drei Briten verhungerten, starben durch Krankheit oder wurden von Indianern getötet. Als die Überlebenden Jamestown schon aufgeben wollten, rettete ein Konvoi mit Nachschub die Kolonie.

Das Leben in Jamestown blieb auch danach beschwerlich. Neun Jahre lang galt nach der Hungersnot eisernes Kriegsrecht: Wer sonntags nicht in der Kirche erschien, dem wurde eine Woche die Lebensmittelration gestrichen. Bei drei verpassten Gottesdiensten drohte die Todesstrafe. Dieses Schicksal erwartete auch jene, denen es keine Lehre gewesen war, dass man ihnen nach zwei derben Flüchen eine Haarnadel durch die Zunge gerammt hatte; das dritte Schimpfwort bezahlten sie mit dem Leben.

Angesichts der wenig heroischen Anfänge verwundert es kaum, dass Jamestown in der US-Geschichtsschreibung lange stiefmütterlich behandelt wurde. Der Yale-Historiker Edmund Morgan sagte in den 1970er Jahren über Jamestown: "Gemessen an jedem ihrer angekündigten Ziele, ist die Kolonie gescheitert." Für die Investoren der Virginia Company warf der erste Amerika-Vorposten nie Gewinne ab. Erst Tabakanbau machte die Landnahme in Virginia für die Briten profitabel. Zudem steht der Name Jamestown unauslöschlich in den Geschichtsbüchern für die Ankunft der ersten schwarzen Sklaven 1619.

Als Wiege der Nation gilt vielen US-Bürgern eher die Landung der Pilgrim Fathers auf der "Mayflower" in Massachusetts im Dezember 1620. Jamestown hat unter dieser doppelten Ironie lange gelitten, denn eigentlich hatte auch die "Mayflower" Jamestown ansteuern sollen, Virginia aber um einige hundert Meilen verpasst. So darf sich jetzt das später besiedelte Plymouth Rock als Ursprung der amerikanischen Religionsfreiheit - und damit einer ersten wirklich eigenen Tradition - feiern, während Jamestown mit dem Sklaverei-Makel leben muss. "Dabei entstand hier die erste britische Kolonie", sagt Bill Kelso, "hier liegen die Anfänge des modernen Amerika."

Um seinen Platz in den Geschichtsbüchern zu reklamieren, feiert Jamestown seinen 400. Geburtstag mit großem Pomp. 200 Millionen Dollar soll die Party kosten. Ausstellungen und Kongresse werden die Rolle der ersten dauerhaften britischen Siedlung in Amerika beleuchten. Jamestown möchte als Geburtsort des freien Unternehmertums und einer ersten demokratisch gewählten Regierung in der Neuen Welt ins Bewusstsein rücken.

Dabei hofft man auch auf Bill Kelso und sein Team. Nicht mal die Hälfte des Bodens unter dem ursprünglichen Fort haben die Archäologen bisher durchpflügt. Derzeit kratzen sie eine dunkle Kuhle aus, die vermutlich mal ein Brunnen war, der später als Müllkippe diente. Danny Schmidt, ein junger Kerl mit Sonnenhut, steht hüfttief in der Grube. In einer Kiste liegen Glasperlen, verrostete Kupfernägel, eine Bleikugel. "Schon seltsam", sagt Schmidt, "wenn man sieht, wie alles mal angefangen hat."


Die Entstehung der USA
1607 gründen Briten in Jamestown die erste dauerhafte englische Siedlung auf dem seit tausenden von Jahren von Indianern bewohnten Kontinent Amerika. 1620 landen radikale Puritaner (Pilgrim Fathers) in Massachusetts und nennen ihre neue Heimat "God's own country".

1763 fallen nach dem Ende des Siebenjährigen Kriegs zwischen Großbritannien und Frankreich alle französischen Kolonien in Amerika an die britische Krone. 1775 beginnt der Unabhängigkeitskrieg der englischen Kolonien, deren Heer von George Washington, dem späteren ersten US-Präsidenten, angeführt wird. 1776 erklären 13 englische Kolonien, die alle an der Ostküste der Neuen Welt liegen, ihre Unabhängigkeit.

Jener Tag, der 4. Juli, ist bis heute der Nationalfeiertag der US-Amerikaner. 1783 erkennt Großbritannien im Frieden von Paris, mit dem der Kolonialkrieg beendet wird, die Unabhängigkeit seiner ehemaligen Kolonien in den USA an. ah

 
aus der Diskussion: Todesstrafe für Kircheschwänzen
Autor (Datum des Eintrages): rv_2011  (03.05.07 08:28:15)
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