Fenster schließen  |  Fenster drucken

Erscheinungsdatum: 24.02.2001
Ausgabe: 15
Seite: 35
Rubrik: -
Nerven in Wallstreet liegen blank
Niemand spricht mehr vom Soft landing – Mutige Anleger greifen zu
Von Werner Grundlehner
Erinnern Sie sich an das Jahresende 2000? Die Wertschriftenmärkte stellten sich die Schlüsselfrage, ob es gelinge, die Wachstumsabschwächung der US-Wirtschaft mit einem Soft landing (Expansionsrate von über 2,5% p.a.) aufzufangen. Die meisten Ökonomen, Strategen und Unternehmensführer gaben sich überzeugt, dass dies gelingen werde. Als Garant für die sanfte Landung wurde die umsichtige Geldpolitik von Fed-Chef Greenspan beschworen.
Mittlerweile spricht fast niemand mehr von einem Soft landing. Hingegen sind viele Marktteilnehmer überzeugt, dass sich die US-Ökonomie bereits in einer Rezession befindet. Seit der Veröffentlichung der Teuerungsrate für Januar macht ein noch beängstigenderes Thema die Runde – Stagflation. Denn während immer mehr renommierte Unternehmen Entlassungen ankündigen und der verarbeitende Sektor negative Wachstumsraten ausweist, stieg die Teuerung im Januar mit 0,6%, nach jeweils 0,2% in den vorhergegangenen Monaten. Zwar werden für den Teuerungsschub vor allem die hohen Energiepreise verantwortlich gemacht – der Höhenflug wird von vielen Beobachtern als kurzfristige Übertreibung eingeschätzt. Doch die hohen Benzin- und Strompreise verkleinern die Margen und damit die bereits markant geschrumpften Unternehmensgewinne.
Ausser der Gewinnentwicklung spielt das Zinsniveau für die Aktienkurse eine wichtige Rolle. Wallstreet hofft auf eine weitere Senkung der Fed fund rates an der Offenmarktsitzung vom 20.März – oder besser schon früher. Doch Greenspan wird zögern, noch mehr Liquidität in den Markt zu pumpen. Denn sonst könnten die Preise angesichts der vielen verfügbaren Zahlungsmittel und der Investitionsunlust der Unternehmen noch schneller klettern.
Vorsichtige Banken
Die US-Wirtschaft scheint in einem Teufelskreis von restriktiver Kreditpolitik der Banken und sinkendem Konsumentenvertrauen gefangen zu sein. Zahlungsprobleme ehemaliger Blue-chip-Unternehmen wie Xerox oder AT&T haben die Finanzinstitute vorsichtig gemacht. Nach Angaben von Standard & Poor’s hat sich der Umfang von Bankkrediten an Unternehmen mit einem Investment rating tiefer als BB um 40% reduziert. Die Unfähigkeit von Unternehmen wie Sun Microsystems und Texas Instruments, Prognosen für das vierte Jahresquartal abzugeben, lässt vermuten, dass die gegenwärtigen Ertragsprognosen für das vierte Quartal – für die Unternehmen im S&P500 wird ein Gewinnwachstum von rund 15% vorausgesagt – vor allem Wunschdenken entsprechen. Weitere schmerzhafte Gewinnwarnungen sind zu erwarten.
In der Flut der rabenschwarzen Wirtschaftsnachrichten gibt es auch Lichtblicke. Die Umsätze des Einzelhandels haben in den ersten Wochen des neuen Jahre erstaunliche Stärke gezeigt. Der Immobilienmarkt hält sich seit Monaten auf historisch hohem Niveau. Am Donnerstag wurden in den USA die vorlaufenden Indikatoren veröffentlicht: Nach drei Monaten im negativen Bereich wiesen sie im Januar wieder einen positiven Wert aus.
Doch trotz vereinzelter Lichtblicke verharren die Investoren an der Seitenlinie. Was wie eine abgedroschene Durchhalteparole klingt, bleibt aber eine Börsenwahrheit: In einem depressiven Börsenumfeld kann der Anleger Aktien, die ihm schon lange gefielen, aber bisher zu teuer erschienen, günstig erwerben. Der Aktienmarkt blickt zudem weit in die Zukunft: Die höchsten Kursgewinne werden nicht in der Hochkonjunktur erzielt, sondern wenn die Wirtschaft erste Anzeichen der Gesundung zeigt.
Attraktive Versorger
Viel versprechend sind zudem Engagements in Titel von Unternehmen, die vom Wirtschaftsumfeld profitieren. Dazu gehören angesichts der Energieknappheit die Versorgerwerte. Ein rasch steigender Energiebedarf sowie die Deregulation des Markts – die Lehren aus der Krise in Kalifornien dürften gezogen werden – beflügeln den Sektor. Der Bedarf an neuen Elektrizitätswerken begünstigt Calpine. Der kalifornische Kraftwerkbetreiber baut 48 neue Kraftwerke und beabsichtigt, seine Kapazität bis 2004 jährlich um 65% p.a. zu steigern. Die Calpine-Valoren legten im vergangenen Jahr 160% zu, der Umsatz stieg um 170%.
Eine andere Strategie fährt El Paso. Der Pipeline-Konzern nützt seine Überlandverbindungen, um eines der grössten US-Breitbandnetze aufzubauen. Rund 60% des 17000 Meilen langen Netzes sind betriebsbereit. Das Unternehmen hat vor wenigen Tagen ein Joint venture mit Netzwerkausrüster Cisco Systems bekannt gegeben. Mit einer P/E (2001) von 22 sind El Paso tiefer bewertet als der S&P-500-Durchschnitt. Des weiteren bieten sich in Zeiten einer Wachstumsverlangsamung defensive Titel aus dem Konsumgüterbereich (vgl. Seite 15) oder dem Pharmasektor wie Pfizer, Pharmacia und Bristol-Myers Squibb (vgl. FuW Nr. 11 vom 10. Februar) zum Kauf an.

Quelle: www.finanzinfo.ch
 
aus der Diskussion: Calpine
Autor (Datum des Eintrages): Biz  (25.02.01 22:17:13)
Beitrag: 35 von 251 (ID:2980167)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE