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Aus der FTD vom 3.1.2001
Krankenkassen sagen Beitragserhöhungen voraus
Von Cordula Tutt, Berlin

Vertreter großer Krankenkassen halten Beitragserhöhungen für unausweichlich, sollte die Regierung nicht vor Jahresmitte Gesetze zu ihren Gunsten auf den Weg bringen.

Der Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg, Roland Sing, sagte der FTD am Dienstag: "Wenn bis zum Juli nichts greift, dann gehen über alle Kassen hinweg die Beiträge um 0,5 Prozent hoch." Anders könnten die Kassen die zusätzlichen Lasten nicht ausgleichen. Auch wegen des Mitgliederschwunds vieler Kassen hin zu billigeren Betriebskassen sei ein neuer Finanzausgleich nötig.

Den Ortskassen (AOK) und Ersatzkassen macht nicht nur die Abwanderung junger und gesunder Mitglieder zu schaffen. Nach Kassenschätzungen wechselten bis Ende 2000 rund 1,5 Mio. Versicherte zu den BKK. 2001 erwarten die gesetzlichen Kassen auch Zusatzkosten von rund 3,5 Mrd. DM. Die Bundesregierung kürzt die Kassenbeiträge, die für Arbeitslose gezahlt werden. Belastend wirkt auch der Umbau der Invalidenrente. Ein Urteil des Verfassungsgerichts bringt zudem neue Ausgaben, weil Kassen mehr Krankengeld zahlen müssen.



Vertreter der Großkassen wollen neue Basis für Einnahmen


Die AOK Bayern erhöhte den Beitrag schon zum 1. Januar von 13,7 auf 14,2 Prozent. Die größte Ortskasse hielt das für unvermeidlich, um 2001 die Ausgaben decken zu können. "Es wird aber immer deutlicher, dass das kein Einzelphänomen bleibt", sagt Sprecher Markus Braun. Andere Kassen hätten ähnliche Probleme.


500 Mio. DM mehr Einnahmen erhofft sich die Kasse, die zuvor auch Rücklagen für einen stabilen Beitrag einsetzte. Nun beschleunigt sich aber wohl der Wechsel der umworbenenen Jüngeren. Bis Februar gilt ein Sonderkündigungsrecht. Braun sagt zwar: "Die Abwanderung wird sich in Grenzen halten. Das Problem ist aber, dass es die Gesunden mit meist besserem Einkommen sind." Drei Viertel seien unter 40. Der AOK-Bundesverband rechnet mit rund 300.000 Kassen-Abtrünnigen zum Stichtag am 30.September. "Der große Schwung ist schon weg", sagt eine Sprecherin. Inzwischen hätten die Ersatzkassen mehr zu leiden. Dazu gehören beispielsweise die Barmer, die Techniker Krankenkasse und die DAK.



Stuttgarter AOK-Chef erwartet Steigerung im Herbst


Jede Ankündigung höherer Beiträge löse "Alarmgeheul" aus, sagt Theo Eberenz vom Bundesversicherungsamt. So hält sich der Sprecher mit Beitragsprognosen zurück. "Es wird sicher keine flächendeckende Entwicklung sein, aber Erhöhungen sind wahrscheinlicher als 2000."


Die Barmer, mit sechs Millionen Mitgliedern größte Kasse, schloss 2000 im Defizit ab. "Das war noch aus Rückstellungen zu bewältigen" , sagt Sprecher Stefan Beckers. "Wir sind schon unter Druck." Auch 2001 werde die Kasse wohl eher von der Substanz zehren, aus heutiger Sicht sei kein Plus denkbar. "Im ersten Halbjahr wird es beim Beitragssatz aber sicher keine Bewegung geben."


AOK-Chef Sing fordert, die Regierung solle die Beitrags-Basis erweitern. Mit einer ähnlichen Forderung nach Einbeziehung von Aktien- und Mieteinnahmen hatte Gesundheitsministerin Andrea Fischer bereits Kritik geerntet. Zudem müsse der Finanzausgleich zu Gunsten der Kassen mit mehr Rentnern und Kranken geändert werden. "Und wenn da bis Juli nichts geschieht, dann kommt da auch nix mehr", sagt Sing. Da fange dann der Vorwahlkampf für 2002 an.



© 2001 Financial Times Deutschland
 
aus der Diskussion: Schröder will Krankenkassen reformieren - Arbeitnehmer freuen sich
Autor (Datum des Eintrages): for4zim  (05.03.01 13:58:09)
Beitrag: 16 von 57 (ID:3031743)
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