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Aus dem Kölner Stadtanzeiger:

Gutachten belastet den 17-jährigen Marco W.
VON GERD HÖHLER, 25.06.07, 18:12h, AKTUALISIERT 26.06.07, 08:01h


Schüler Marco W. aus Uelzen


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Istanbul - Das Schicksal des 17-jährigen Deutschen Marco W., der seit fast elf Wochen in der Türkei wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen in Untersuchungshaft sitzt, wird die Außenminister beider Länder beschäftigen: der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier will den Fall heute bei einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Abdullah Gül in Brüssel ansprechen. „Dies ist ein bedauerliches Schicksal, das uns nicht kalt lässt“, sagte Steinmeier. Die Bundesregierung will sich für bessere Haftbedingungen einsetzen.

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) will sich ebenfalls in einem Brief an den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan um die Freilassung von Marco bemühen. Nach Angaben des Bundesjustizministeriums könnte der Schüler aus Uelzen im Falle einer Verurteilung seine Strafe nicht in Deutschland absitzen. Nach deutschem Recht seien die Vorwürfe, soweit sie bislang bekannt seien, nicht strafbar, erklärte eine Ministeriumssprecherin.

Marco W. ist in einer großen Gemeinschaftszelle mit etwa 30 weiteren ausländischen Häftlingen untergebracht. Die deutschen Konsularbeamten in Antalya, wo der 17-Jährige einsitzt, setzen sich nach Angaben des Auswärtigen Amts „sehr intensiv“ für den jungen Deutschen ein. Nach Angaben der Eltern, die ihren Sohn nur einmal in der Woche und für nur zehn Minuten sehen dürfen, ist Marco W. in einem körperlich und seelisch „sehr schlechten Zustand“.

Marco W. war am 11. April in einem Hotel in Side an der türkischen Mittelmeerküste von der Polizei festgenommen worden, nachdem ihn die Mutter einer 13-jährigen Engländerin wegen sexuellen Missbrauchs ihrer Tochter angezeigt hatte. Darauf stehen in der Türkei bis zu acht Jahre Haft. Marco W. beteuert, es sei zu Zärtlichkeiten, nicht aber zum Geschlechtsverkehr gekommen. Außerdem habe sich das Mädchen als 15-Jährige ausgegeben. Das ist das gesetzliche Schutzalter in der Türkei.

Zweifel an Marcos Darstellung
Inzwischen gibt es aber Zweifel an Marios Darstellung. Medienberichten zufolge belastet ihn ein ärztliches Gutachten; das Jungfernhäutchen der 13-Jährigen sei „gereizt“ gewesen, am Unterleib des Mädchens habe man Spermaspuren gefunden. Damit wird die Liste der offenen Fragen immer länger. Unklar ist bisher, wo und auf wessen Veranlassung die gynäkologische Untersuchung der 13-Jährigen stattfand. Ungeklärt ist aber vor allem, was in der fraglichen Nacht in einem Zimmer des Hotels „Voyage Sorgun Select“ wirklich zwischen dem 17-jährigen Deutschen und der 13-jährigen Charlotte M. aus Manchester passierte.

Im gleichen Zimmer soll sich ein weiteres Mädchen sowie die 14 Jahre alte Schwester von Charlotte M. aufgehalten haben. Sie vergnügte sich angeblich mit einer Urlaubsbekanntschaft auf dem Balkon. Wie die Eltern der Engländerinnen von dem Vorfall erfuhren, ist ebenfalls bisher unbekannt. Sie müssen jedenfalls so alarmiert gewesen sein, dass sie die Polizei benachrichtigten.

Am 6. Juli soll der Fall vor Gericht verhandelt werden. Dazu ist es wichtig, dass auch die 13-jährige Britin anreist und aussagt. Einen Antrag, Marco W. bis dahin gegen Kaution auf freien Fuß zu setzen, lehnten die Richter ab. Die Haftbedingungen in Antalya gelten als katastrophal. Das dortige Gefängnis ist für 600 Häftlinge ausgelegt, tatsächlich sitzen dort aber 1600 Menschen ein, die meisten von ihnen in großen Gemeinschaftszellen. Dort müssen sich Dutzende Häftlinge eine Toilette und eine Dusche teilen. Das Essen ist unzureichend. Marco W. sei bereits abgemagert, berichtet sein Anwalt. Es wurde aber auch berichtet, dass der 17-Jährige sich die Zeit mit Brettspielen vertreibe.

Eigentlich hätte Marco heute in Uelzen seine mündliche Prüfung in Physik machen sollen. Schulleiterin Elke Schießer ist ratlos: „Marco ist ein netter, freundlicher Junge, überhaupt kein Aufreißer“, sagt sie. Dass ihm sexueller Missbrauch einer 13-jährigen Britin vorgeworfen wird, will Schießer nicht in den Kopf. Die Schule hat beschlossen, alles dafür zu tun, dass Marco seinen Abschluss an der Sternschule nachholen kann.

Mitte April, als die Öffentlichkeit noch nichts von seiner Verhaftung wusste, hatte das Kollegium einen Brief an die türkischen Behörden geschrieben. Sie baten darum, den 17-Jährigen wenigstens für die Zeit seiner Abschlussprüfung freizulassen. Eine Antwort haben sie nie erhalten. Jetzt sammeln die Mitschülerinnen und Mitschüler Geld für ihren Kameraden. (mit dpa)
 
aus der Diskussion: Haft in der Türkei
Autor (Datum des Eintrages): datterich  (26.06.07 19:27:18)
Beitrag: 164 von 221 (ID:30332319)
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