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Technischer Morgenkommentar
[Gepostet am 18.09.2007 um 08:36 Uhr]



Allgemeine Einschätzung / Indizes)

Vor dem „Super-Dienstag“, der der Sitzung der US-Notenbank und dem Start der Berichtssaison für das dritte Quartal entgegenfiebert, gingen die Akteure an den internationalen Aktienmärkten lieber auf die Seitenlinie, so dass die Verkäuferseite das Geschehen dominierte. Der europäische und US-amerikanische Handel wurde dabei von den Schwierigkeiten des britischen Baufinanzierers Northern Rock Plc geprägt, wo die Kunden die Schalter stürmten, um ihre Einlagen zu sichern.











Die asiatischen Märkte sehen ebenfalls heute Morgen Abschläge. Der US-Online-Broker E*Trade hatte nachbörslich eine Gewinnwarnung abgegeben. Die Erträge sollten nach Problemen mit Hypothekenkrediten um 25 Prozent einbrechen. Da zudem die Bank of America ihrerseits einen signifikanten Einfluss der Kreditkrise auf das Ergebnis avisierte, sehen wir auch bei den US-Futures bereits wieder rote Vorzeichen, so dass wir im Vorfeld des Spektakels am Abend eher mit weiter nachgebenden Notierungen rechnen.

In den Tagescharts der US-amerikanischen Indizes belegen aber die ausgeprägten Lunten, dass sich die Kurse ein wenig von den Tagestiefs lösen konnten. Die Standardwerteindizes verhinderten somit zunächst die tertiäre Impulswende nach unten und verharren an der Oberkante ihrer mittelfristigen Konsolidierungszonen. Beim S&P 500 würde mit Bruch des Widerstandsbandes bei 1496/1503 der Sekundärtrend wieder nach oben drehen. Der Weg in Richtung Rekordhoch wäre frei. Ein erneuter Abwärtsschub würde dagegen die nervös komplexe Schiebezone der letzten Wochen wieder bestätigen, wobei diese Formation noch am ehesten das ständige Wechselspiel bzw. die Richtungslosigkeit im Zuge der Finanzkrise widerspiegelt.

Erstaunlicherweise gibt es nun fast Parallelen zwischen der Bewegung beim S&P und dem „Angstbarometer“ VIX, der die Optionsschwankungsbreiten des Barometers misst. Der Volatilitätsindex handelt weiter auf relativ hohem Niveau, ebenfalls am oberen Rand einer Konsolidierungsformation, d.h. die Akteure unterstellen dem VIX aktuell eher einen Ausbruch nach oben mit Kursen jenseits der 30. Zumeist korrespondiert der verstärkte Wunsch nach Absicherung verständlicherweise mit schwächeren Kursen an den Aktienmärkten. Der VIX bleibt trotz der leichten Entspannung bei den Aktienindizes weiter auf deutlich höherer Basis als z.B. zu Beginn der Hypothekenkrise im Februar/März, die panischen Spitzenwerte des 16. August dabei sogar ausgeklammert.

Vor dem heutigen, richtungweisenden Tag ist die Anspannung allerdings nur zu verständlich. Kaum einer Notenbanksitzung wurde derart entgegengefiebert, wie der heutigen. Dabei ist die US-Notenbank in einem echten Dilemma, auch wenn für den Markt eine Senkung der Target-Rate bereits beschlossene Sache ist. Marvin Goodfriend, ein ehemaliger Notenbankpolitiker, bringt es auf den Punkt: „ Zinssenkungen gibt es nie umsonst. Du hast immer einen Preis dafür zu zahlen!“ Nach den Beispielen von 1998 und 2001 will die Fed natürlich alte Fehler vermeiden. Die Zinssenkungsrunde im Zuge der Russlandkrise 1998 brachte später das Internet-Fass zum Überlaufen. Das Lockern der Zinsschraube zur Bekämpfung der letzten offiziellen US-Rezession 2001 initiierte den späteren Häuser-Boom, dessen weit reichende Folgen wir nun erleben. Während Alt-Notenbankpräsident in diesen Fällen nicht lange fackelte, und nun seine Hände in Unschuld wäscht („I didn’t really get it…“) gehen Ben Bernanke und sein Team noch relativ behutsam vor. Es wird spannend werden, ob dies bei zunehmendem Druck von Seiten des Marktes und der Politik auch so bleibt.

Auch wenn es die Märkte enttäuschen könnte: Eine Senkung der Target-Rate um 0.25 auf 5 Prozent dürfte die wahrscheinlichste Variante für den heutigen Tag sein. Damit würde die Fed zumindest noch einen Hauch Stärke gegen den Willen vieler Marktteilnehmer demonstrieren. Kommentierungen bezüglich weiterer Schritte dürfte sie dabei vermeiden. Eine signifikante Senkung um einen halben Prozentpunkt würde dagegen zwei Dinge belegen: Die Fed würde sich der Spekulation beugen und in gesunde und überfällige Marktbereinigungen eingreifen. Zudem wäre es ein Beleg dafür, dass die Krise deutlich ernster zu nehmen ist. Der ohnehin schon taumelnde US-Dollar würde dabei geopfert werden, mit weit reichenden Folgen für die Märkte. Statt einer Flucht in die Staatsanleihen könnten massive Abzüge ausländischer Notenbanken wie China oder Japan als Folge des einbrechenden Dollars die Konsequenz sein. Ein Alptraumszenario für die US-Notenbank.

Die Märkte diskutieren lediglich über die Höhe der Zinssenkung – ob diese überhaupt etwas bringen wird, steht aktuell nicht zur Debatte. Damit dem am Boden liegenden Immobilienmarkt positive Impulse gegeben werden könnten, müsste die Leitzinssenkung zunächst beim Verbraucher ankommen, was durchaus nicht selbstverständlich ist. Die Krisenspirale aus Kreditausfällen, Zwangsverkäufen und sinkenden Häuserpreisen wird so schnell nicht durchbrochen werden. Für den US-Verbraucher kommt es diesbezüglich von vielen Seiten knüppeldicke: Trotz der aufkommenden Rezessionsängste bleiben die Energiepreise weiter hoch bzw. steigen sogar weiter. Zudem droht ein weiterer Mega-Trend auf die Brieftaschen der Konsumenten zu drücken. Der Preisanstieg bei den Nahrungsmitteln steht trotz der jüngsten Avancen eigentlich erst am Anfang. Mein Kollege Andreas Otto von Noah Research hat diesbezüglich die wichtigsten Entwicklungen zusammengefasst bzw. zeigt Ihnen, wie Sie an dieser Hausse partizipieren können. Die überaus lesenswerten Beiträge finden Sie unter: http://www.noah-research.de/index.php?id=40 . In der Konsequenz ist es wenig überraschend, dass sich die US-Notenbank so schwer tut in Sachen Leitzinssenkung. Die gerade (vermeintlich) gebändigte Inflationsrate könnte rasch wieder nach oben schnellen.

Das zweite Top-Ereignis am heutigen Tag ist der Beginn der US-Berichtssaison für das dritte Quartal, die ausgerechnet von den arg gebeutelten Finanzwerten eröffnet wird. Nach einer Phase des „leichten Geldes“ durch die Aktienrallye und den gigantischen Aktivitäten im Bereich Übernahmen und Fusionen weht den Investmenthäusern im Zuge der Kreditkrise eisiger Wind entgegen. Das Geschäft mit Mortgage Bonds und Commercial Papers brach komplett zusammen und hinterließ diverse Leichen in den Kellern der Broker und Banken. Das zuvor so boomende M&A-Geschäft kam praktisch zum Erliegen – kaum eine Finanzierung ging noch nahtlos über die Bühne.

Für die heute mit Lehman Brothers beginnende Berichterstattung kann daher kaum jemand ernsthaft mit positivem Zahlenwerk rechnen – den Veröffentlichungen ging bereits eine beispiellose Herabstufungsrunde der Banken vorweg. Allgemein wird mit dem schlechtesten Quartal seit 2001 gerechnet, wobei Bear Stearns die „rote Laterne“ tragen sollte, gefolgt von Lehman. Branchenprimus Goldman Sachs kann durch außerordentliche Firmenverkäufe das Gröbste kaschieren. Die große Frage dürfte sein, ob die Investmentbanken die Berichterstattung zum Großreinemachen („kitchen sink“) nutzen werden, was sich in außerordentlich hohen Wertberichtigungen äußern könnte.

Die Finanzwerte waren bereits im Vorfeld der Zahlen stark unter Druck, haben in den letzten Wochen aber zarte Bodenbildungstendenzen vorzuzeigen. Der übergeordnete Abwärtstrend beim S&P-Finanzwerteindex ist in eine volatile Schiebezone übergegangen. Selbst das „Panik-Tief“ vom 16. August fiel hier erstaunlicherweise nicht mehr besonders aus dem Rahmen. Erst mit Überschreiten der Widerstandszone bei 566/571 würde aber die Bodenbildung abgeschlossen werden. In dem Fall gibt es auch grünes Licht für den Gesamtmarkt – die Rekordjagd dürfte wieder aufgenommen werden. Die Auflösung der mehrwöchigen Dreiecksformation, die sich aktuell formt, könnte die Richtung für die wichtigsten Aktienindizes in der nächsten Zeit vorgeben.

(DAX)

Widerstände: 7545 – 7725 – 8151

Unterstützungen: 7369 – 7353 – 7190 – 7155

Der tertiäre Aufwärtsimpuls, der die letzte Handelswoche beim DAX prägte, verlor bereits am Freitag an Schwungkraft, und dieser Trend setzte sich auch am gestrigen Tag fort. Die dabei geformte, langbeinige Kreiselkerze ist symptomatisch für die abwartende Haltung vor den Großereignissen dieser Woche. Der erlahmende Aufwärtsimpuls ist zudem typisch für das Konsolidierungscluster der letzten Wochen, das dominiert wird von nervösen Schüben und schnellen Impulswechseln, ohne dass sich dadurch im mittelfristigen Zeitfenster so etwas wie ein Trend etablieren kann.

Während der DAX scheinbar in sekundärer Neutralität erstarrt – wir definieren den Schiebebereich breit in den Grenzen zwischen 7190 und 7725 -, spielt sie wahre Musik bei den Einzelwerten. Während Schwergewicht EON mittlerweile ein neues Rekordhoch markierte, brechen bei den Finanzwerten sämtliche Dämme. Zwischen diesen beiden Extremen pendelt der DAX, nur kurz unterbrochen von dem Ausbruchsversuch Anfang des Monats. Die dabei geformte Bodenbildungsformation mit dem Muster einer inversen SKS wurde allerdings durch den anschließenden, groben Abwärtsschub rasch pulverisiert.

Erst oberhalb des Impulshochs bei 7725 wird grünes Licht für einen Schub in Richtung Rekordhoch gegeben.

Ähnlich wie bei den US-Indizes spielt sich die Konsolidierung auf Basis der am 16. August intraday verletzten, primären Aufwärtstrendlinie seit 2006 ab, die nun wieder gefährlich näher rückt.

Noch bleibt der langfristige Aufwärtstrend weiter intakt, aber ein Bruch der Begrenzung würde ein erstes Alarmzeichen in diesem Zeitfenster darstellen. Ein Unterschreiten des Verlaufstiefs vom 16. August bei 7190 könnte ein fallendes Hoch bei 7725 hinterlassen und somit den Primärtrend auf neutral drehen. Ob es bei der Fortsetzung der Sekundärkorrektur bleibt oder sich eine langfristige Trendwende andeutet lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt kaum sagen. Der DAX handelt praktisch exakt auf der Mitte zwischen den Extrempunkten der letzten Zeit bei 7190 und 7725. Die heutige Zinsentscheidung bzw. der Start der Berichtssaison könnten, soweit sich die Events nicht neutralisieren, das Pendel in die eine oder andere Richtung ausschlagen lassen.

Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen Handelstag!

Matthias Hütgens

matthias.huetgens@wagner-wertpapier.de
 
aus der Diskussion: Ventro, Umsätze enorm, unser kl. Zockertreff, Part 188
Autor (Datum des Eintrages): actr  (18.09.07 09:10:30)
Beitrag: 70 von 1,000 (ID:31639794)
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