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Active Indexing


Finanz und Wirtschaft:

Eine neue Theorie erklärt Haussen und Baissen – Welche Strategie ist überlegen? – Chicago oder Stanford, Indexing oder Active Indexing?
Paradigmenwechsel in der Finanzmarkttheorie

17.05.2008

Von Magne Orgland und Daniel Leveau
Die moderne Finanzmarkttheorie hat das Portfoliomanagement einen grossen Schritt nach vorne geführt. Konzepte wie globale Diversifikation, Portfoliooptimierung oder Indexieren sind heute nicht mehr wegzudenken. Mit der Zeit wurden jedoch immer mehr Anomalien entdeckt, die nicht mit der modernen Finanzmarkttheorie vereinbar sind. Phänomene wie die historisch sehr hohe Risikoprämie von Aktien, die hohe Volatilität an den Börsen oder Value- und Momentum-Effekte können nicht mit der Theorie der Markteffizienz erklärt werden. Behavioral Finance bietet im besten Fall partielle Erklärungsansätze. Heute befinden wir uns in einem Paradigmenwechsel in der Finanzmarkttheorie. Wie seinerzeit die Theorien von Einstein die Physik revolutioniert haben, hat die Theorie der Rational Beliefs von Mordecai Kurz von der Universität Stanford das Potenzial, die moderne Finanzmarkttheorie von Grund auf zu verändern.
Die Realität wird nicht erklärt
Die Theorie der Markteffizienz (Efficient Market Theory) wurde an der Universität Chicago entwickelt. Sie verbreitete sich stark in den Achtzigerjahren und wird heute an jeder Wirtschaftsuniversität unterrichtet. Die Theorie basiert auf einigen wichtigen Annahmen: Investoren sind rational und maximieren ihre risikoadjustierte Rendite, Informationen sind kostenlos und für alle Marktteilnehmer gleichzeitig verfügbar, die Aktienkurse reflektieren effizient alle verfügbaren Informationen, und Veränderungen der Kurse werden durch neue Informationen zu den Fundamentaldaten verursacht. Mit anderen Worten wird angenommen, dass die Anleger keine Fehler begehen können, da sie zu jedem Zeitpunkt anhand der verfügbaren Informationen die Zukunft korrekt prognostizieren. Auf den ersten Blick scheinen diese Annahmen vernünftig zu sein.
Grundsätzlich ist jede Theorie ein vereinfachtes Bild oder Modell eines Ausschnitts der Realität. Dieser Ausschnitt soll mit dem Modell beschrieben und erklärt werden. Auf dieser Grundlage können dann Prognosen gestellt werden. Was macht jedoch eine gute Theorie aus? Albert Einstein soll hierzu Folgendes gesagt haben: «I like good theories. They work better.» Mit anderen Worten: Eine gute Theorie erlaubt Prognosen, die mit Beobachtungen der Realität besser übereinstimmen. Theorien sind meist mit dem Anspruch verknüpft, sie durch Beobachtungen der Realität prüfen zu können.
Wie gut sind die Prognosen der Theorie der Markteffizienz? Gemäss dieser Theorie sollte die Risikoprämie von Aktien gegenüber einer risikofreien Anlage sehr tief sein. In der Realität war sie aber deutlich höher (etwa 6%). Die Marktvolatilität sollte tief sein (um 4%). In der Realität ist sie markant höher (langfristig etwa 18%). Der Kursverlauf sollte zudem einem Random Walk (Zufallsprozess) entsprechen. In der Realität gab es jedoch langjährige Hausse- und Baissemärkte. Letztlich sollte das prognostizierte Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Aktienmarktes etwa 14 betragen. In der Realität gab es enorme Schwankungen von 5 bis 30.
So gesehen ist die Theorie der Markteffizienz keine gute Theorie, weil sie die Realität nur unzureichend erklären kann. Neue Theorien wie Behavioral Finance, die keine in sich geschlossene Theorie, sondern in erster Linie eine Sammlung von Beobachtungen des Investorenverhaltens darstellt, bieten aber im besten Fall auch nur partielle Erklärungsansätze.
Die Theorie der Rational Beliefs
Wenn eine wissenschaftliche Theorie unbefriedigende Ergebnisse liefert, kommt es früher oder später zu einem Paradigmenwechsel. Eine neue Theorie wird entwickelt, die konzeptionell und mathematisch eine Generalisierung der alten Theorie darstellt. Die alte erscheint als Spezialfall der neuen Theorie, wenn einige vereinfachende Annahmen getroffen werden. Die Gravitationstheorie von Newton ist ein solcher Spezialfall der Relativitätstheorie von Einstein. An der Universität Stanford hat Professor Mordecai Kurz eine neue Theorie der Rational Beliefs entwickelt, die eine Generalisierung der Theorie der Markteffizienz darstellt.
Wie unterscheidet sich die neue von der alten Theorie? Wie die Theorie der Markteffizienz liegt der neuen Theorie die Annahme zugrunde, dass Investoren ihre erwartete, risikoadjustierte Rendite maximieren. Der grosse Unterschied besteht in der Prognosefähigkeit der Investoren. Gemäss der alten Theorie haben alle Anleger dieselben fixen und richtigen Beliefs, d.h., sie prognostizieren alle die gleiche Rendite (perfekte bedingte Voraussicht).
Mit anderen Worten: Nachdem die Investoren am Morgen die Zeitung gelesen haben, kennen sie alle den korrekten Indexstand der Börse. Basierend auf den im jeweiligen Zeitpunkt verfügbaren Informationen können sie keine Prognosefehler begehen – gemäss der alten Theorie. Schon rein intuitiv ist dies aber eine zu starke Vereinfachung der Realität.
Gemäss der Theorie der Rational Beliefs können Investoren jedoch durchaus kurz- bis mittelfristig Prognosefehler begehen. Investoren haben unterschiedliche und im Zeitablauf variierende Beliefs, die unterschiedliche Grade von Optimismus und Pessimismus in Bezug auf die zukünftige Rendite spiegeln.
Professoren an der Universität Stanford ist es gelungen, diese Belief-Struktur des Marktes mathematisch abzubilden. Gemäss der neuen Theorie können sich sowohl der Anteil von Optimisten und Pessimisten wie auch die Intensität von Optimismus und Pessimismus ändern. Die Beliefs der Investoren sind auch korreliert, d.h., einzelne Anleger lassen sich von anderen beeinflussen. Obwohl sich die Investoren zu einem bestimmten Zeitpunkt über die zukünftige Rendite irren können, müssen sie im mehrjährigen Durchschnitt die langfristig «korrekte» Aktienrendite erwarten.
Übereinstimmung
Mit der neuen Theorie der Rational Beliefs können zum Beispiel langfristige Bullen- und Bärenmärkte erklärt werden. In einem Bullenmarkt steigen der Anteil der Optimisten sowie die Intensität des Optimismus. Dieser Prozess wird durch die Korrelation der Beliefs verstärkt. Die Anleger informieren sich zum grossen Teil über dieselben Medien und lassen sich somit voneinander beeinflussen. Dieser Prozess führt zu einem Anstieg der Bewertung (KGV) des Aktienmarktes. Beispielsweise lieferte der US-Aktienmarkt in den Neunzigerjahren eine Rendite von 15,3% pro Jahr. Das Wachstum der Unternehmensgewinne betrug aber nur 7,7% pro Jahr.
Wie kam die restliche Rendite von 7,6% pro Jahr zustande? Das KGV des Aktienmarktes stieg von 15,4 auf 30,5 (vgl. Tabelle). Umgekehrt erbrachte der US-Aktienmarkt von 2000 bis 2007 keine Rendite für die Anleger, obwohl das Gewinnwachstum 7,7% pro Jahr betrug. Die Reduktion des KGV von 30,5 auf 18 lieferte einen negativen Beitrag von –7,7% pro Jahr.
Unter den Wallstreet-Strategen ist es populär geworden, u.a. die Änderungen des KGV mit den Zinsen zu erklären. Leider gibt es keine theoretische Grundlage für einen solchen Zusammenhang einer nominellen Anlage (Obligation) und einer realen Anlage (Aktie). Empirisch lässt sich auch über eine langfristige Betrachtungsperiode kein Zusammenhang feststellen.
Auch die hohe Volatilität an den Aktienmärkten kann mit der neuen Theorie gut erklärt werden. Nur etwa 25% der Volatilität werden durch neue Informationen über Fundamentaldaten verursacht. 75% der Volatilität kommen durch korrelierte Prognosefehler der Investoren zustande. Wenn viele Anleger sich ähnlich positioniert haben und gleichzeitig herausfinden, dass ihre Prognose falsch war, kann es zu heftigen Bewegungen kommen.
Implikationen für die Investoren
Laut der neuen Theorie wird die langfristige Risikoprämie von Aktien hoch bleiben (6%). Aktien sind riskant, weil es langjährige Bärenmärkte geben kann. Dieses Risiko muss entschädigt werden. Auch die Bewertung wird mit einem von der Stanford-Theorie erwarteten KGV zwischen 9 und 18 weiterhin stark schwanken.
Die neue Theorie hat auch wichtige Implikationen für das Risikomanagement. Die meisten gängigen Risikomanagementmethoden, wie zum Beispiel der Value at Risk, basieren implizit auf der Theorie der Markteffizienz bzw. auf der Annahme der Normalverteilung. Sowohl die neue Stanford-Theorie wie auch empirische Untersuchungen zeigen aber, dass Finanzmarktrenditen nicht normalverteilt sind. Es kommt immer wieder zu Bewegungen, die in Frequenz und Ausmass viel heftiger sind, als die Modelle erwarten würden. Für die Stanford-Theorie ist dies keine Überraschung, da 75% der Volatilität endogen durch die korrelierten Fehler der Investoren verursacht werden. Dieser Teil der Volatilität lässt sich leider nicht prognostizieren.
Wie können die Marktteilnehmer mit endogener Volatilität umgehen? Das Risikomanagement darf sich nicht einseitig auf Methoden wie den Value at Risk abstützen, sondern muss vielmehr mit Worst-Case-Szenarien rechnen. Statt sich allein auf historische Daten abzustützen, muss überlegt werden, was im schlimmsten Fall passieren könnte. Beispielsweise wurde in der gegenwärtigen Kreditmarktkrise in den USA auf der Grundlage historischer Daten mit Ausfallwahrscheinlichkeiten gerechnet, die sich als komplett falsch herausgestellt haben. Die Modelle haben die strukturellen Brüche im Hypothekenmarkt und die damit verbundene Verschlechterung der Kreditqualität nicht erkannt.
Eine weitere Konsequenz bezieht sich auf den Einsatz von Leverage. Wenn wir wissen, dass sich die Finanzmärkte nur ungenügend prognostizieren lassen, darf Fremdkapital nur in begrenztem Ausmass eingesetzt werden. Bei einer Hebelwirkung von 10 bzw. 10% Eigenkapitalquote reicht ein Verlust von 10% aus, um das Eigenkapital zu vernichten. Fast alle Hedge Funds, die in der Vergangenheit implodiert sind, hatten zu viel Leverage im Einsatz. Prominente Beispiele dafür sind LTCM oder Carlyle Capital Corporation.
Neues Verständnis von Indexing
Das Indexing, das passive Kaufen und Halten von Aktien gemäss ihrer Marktkapitalisierung, basiert auf der Theorie der Markteffizienz von der Universität Chicago. Die zugrundeliegende Annahme ist, dass die Aktienkurse effizient alle verfügbaren Informationen reflektieren. In diesem Fall gibt es kein Alpha, und der Investor sollte daher passiv das Marktportfolio halten und damit seine Kosten minimieren.
Gemäss der neuen Stanford-Theorie sind die Aktienmärkte aber nicht immer korrekt bewertet. Vielmehr führen korrelierte Prognosefehler immer wieder zu Übertreibungen, zu Bullen- und Bärenmärkten. Das klassische Indexing ist daher suboptimal, da gemäss diesem Ansatz Aktien bzw. Aktienmärkte auf dem Höhepunkt eines Bullenmarktes besonders hoch im Index gewichtet werden.
Die Stanford-Theorie besagt hingegen, dass ein Investor in der Gewichtung einzelner Aktienmärkte die Position im jeweiligen Bullen- und Bärenzyklus berücksichtigen sollte. Falls die Haussen und die Baissen der einzelnen Aktienmärkte weltweit nicht synchron verlaufen, was historisch auch der Fall war, dann ist es möglich, durch die Anlage in Bullen- und durch die Vermeidung von Bärenmärkten signifikant besser abzuschneiden als mit einem Engagement in den Weltaktienmarkt. Beispielsweise erlebte Japan in den Neunzigerjahren einen Baissemarkt, die USA einen Haussemarkt (vgl. Grafik).
Erfolgreiches Active Indexing
Um die Erkenntnisse aus der neuen Stanford-Theorie in der Praxis zu testen, wurde die neuartige Anlagestrategie Active Indexing entwickelt. Sie wird Active genannt, weil das Portfolio bei Bedarf regelmässig aktiv in die attraktivsten Aktienmärkte umgeschichtet wird. Indexing wird sie genannt, weil sie mit breit diversifizierten, kostengünstigen Aktienindexinstrumenten umgesetzt wird. Das Anlageuniversum des Active Indexing besteht aus denselben Ländermärkten und globalen Branchen wie dasjenige des Chicago-basierten MSCI World Index. Mit Active Indexing wird dann gezielt in die weltweit attraktivsten, entwickelten Aktienmärkte und Branchen investiert. Die Strategie strebt somit an, in Märkte anzulegen, die sich in einem Haussemarkt befinden, und diejenigen, die sich in einem Baissemarkt befinden, zu vermeiden.
Welche Strategie liefert nun die beste Rendite, das Chicago-basierte Indexing oder das Stanford-basierte Active Indexing? Das Active Indexing wird seit sechseinhalb Jahren umgesetzt und hat seither sehr gute Ergebnisse erzielt. Active Indexing konnte das Indexing (bzw. den MSCI World Net Total Return Index) in Franken um 9,4% pro Jahr schlagen. Das ergibt eine kumulierte Überrendite in Franken von 74,7% seit Lancierung des Active Indexing am 1.Dezember 2001. Bemerkenswert ist auch, dass diese Überrendite nicht mit einem höheren Risiko erkauft wurde, ganz im Gegenteil. Die Volatilität, d.h. das Ausmass der Wertschwankungen des Active Indexing, lag bei 15,6%. Die Volatilität des Vergleichsindex MSCI World betrug 15,8%.
Diese Resultate bestätigen die überzeugende Logik der Theorie der Rational Beliefs. Es ist zu erwarten, dass diese bahnbrechende Theorie in den kommenden Jahren zunehmend von Theoretikern und Praktikern entdeckt und beachtet wird.

Dr. Magne Orgland, Geschäftsführender Teilhaber, Daniel Leveau, Teilhaber, Wegelin & Co. Privatbankiers, St. Gallen.
 
aus der Diskussion: Nobbele - Depotbesprechung
Autor (Datum des Eintrages): Nobbele_2010  (17.05.08 10:54:30)
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