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Dieser Artikel hat zwar nicht direkt mit Venezuela zu tun, zeigt aber auf, was der Westen falsch macht.

"Schluss mit den Belehrungen!"
Von Dirk Kurbjuweit und Markus Feldenkirchen

Politikprofessor Kishore Mahbubani, 59, über die Zukunft der Demokratie in Asien, das überhebliche Auftreten des Westens und die verheerenden Auswirkungen von Guantanamo auf die Menschenrechtsdiskussion


SPIEGEL: Herr Mahbubani, an Ihrer Hochschule sollen die politischen Führungskräfte Asiens ausgebildet werden. Was erzählen Sie Ihren Studenten über die Demokratie?

Mahbubani: Ich erzähle von ihren Stärken und den Schwächen. Es gibt viele Stärken der Demokratie. Deshalb bin ich der Meinung, dass auf lange Sicht alle Gesellschaften demokratische Gesellschaften werden sollten. Das ist das Langzeitziel. Die Frage ist nur, wie schnell das geschehen soll.


SPIEGEL: Wie wäre es mit: so schnell wie möglich?

Mahbubani: Eben nicht. Der größte Fehler, den Sie aus dem Westen gemacht haben, war zu glauben, dass jede Gesellschaft über Nacht demokratisch werden kann. Egal wo auf der Welt sie sich befindet. Egal in welchem Entwicklungsstadium sie sich befindet.
SPIEGEL: Warum soll das ein großer Fehler sein?

Mahbubani: Das fragen Sie ernsthaft? Millionen Menschen haben unter dem Export der westlichen Demokratie gelitten. Die hat der Westen auf dem Gewissen.

SPIEGEL: Wo haben Menschen unter der Demokratie gelitten?

Mahbubani: In Jugoslawien zum Beispiel. Der Krieg dort hatte sicher mehrere Gründe, aber einer davon war, dass der Westen unbedingt seine Demokratie auf den Balkan exportieren musste. Das hat all die nationalen Kräfte freigesetzt, und Slobodan Milosevic wurde in Serbien zum Präsidenten gewählt: ein Mörder, wie Sie vielleicht mitbekommen haben. Die Folge hieß Genozid. Der Genozid zählt auch zur Bilanz des Demokratie-Exports. Das ist die Wahrheit. Warum müssen Sie trotzdem immer so tun, als würden Sie automatisch Gutes bewirken, wenn Sie irgendwo auf der Welt Demokratie stiften? Das ist Quatsch!

SPIEGEL: Milosevic war kein Produkt der Demokratie, sondern das Produkt eines autoritären Systems. Und er hat nicht demokratisch regiert, sondern autoritär. Kennen Sie Regeln für den Übergang zur Demokratie in Asien?

Mahbubani: Erste Regel: Es sollten immer die betroffenen Menschen darüber entscheiden, ob sie eine Demokratie haben wollen oder nicht. Aber auf keinen Fall andere Staaten. Zweite Regel: Man muss immer die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass eher Böses als Gutes erreicht wird, wenn man Demokratie in einem Land erzwingt.


ZUR PERSON
Munshi Ahmed
Kishore Mahbubaniwar war Uno- Botschafter Singapurs und leitet heute die Lee Kuan Yew School of Public Policy an der National University von Singapur. Er gehört zu den brillantesten und provokantesten Intellektuellen Asiens. In seinem neuen Buch "The New Asian Hemisphere" prophezeit er das Ende der westlichen Dominanz.

SPIEGEL: Lehren Sie Ihre Studenten, dass autoritäre Staatsformen unter Umständen besser sein können als demokratische?

Mahbubani: Interessant, dass es in Ihrem Verständnis nur Schwarz oder Weiß gibt, demokratisch oder autoritär.

SPIEGEL: Gibt es Zwischenformen?

Mahbubani: Ja. Uns geht es um verantwortungsbewusste Regierungsführung. Alle Staaten müssen verantwortungsbewusst geführt werden, Entwicklungsländer aber ganz besonders. Ob man das autoritär oder demokratisch macht, ist erst mal nicht so wichtig. Die Form muss zu einer Gesellschaft und zu ihrem Entwicklungsstand passen. China zum Beispiel wird nicht demokratisch regiert, aber verantwortungsbewusst.

SPIEGEL: Das würden die Regimegegner anders sehen. Die müssen damit rechnen, für lange Zeit hinter Gittern zu verschwinden. Nennen Sie das verantwortungsbewusst?

Mahbubani: Jedenfalls können Sie nicht einfach irgendein Rezept von irgendwoher nehmen und es Ländern wie China überstülpen. Es wäre eine Katastrophe für China, wenn es sich über Nacht für die Demokratie entscheiden würde. Hunderte Millionen Menschen würden unter den Folgen leiden.

SPIEGEL: Kann es sein, dass Sie in Wahrheit gar nichts von der Demokratie halten?

Mahbubani: Das ist eine böse Unterstellung. Ich glaube wirklich, dass sich alle Gesellschaften auf lange Sicht für die Demokratie entscheiden. Aber ich weiß nicht, wann das sein wird. Alles braucht seine Zeit.
....

SPIEGEL: Sind viele Asiaten so zornig wie Sie?

Mahbubani: Sehr viele. Sie haben es satt, Vorträge aus dem Westen zu hören. Es kotzt sie an. Ich rate meinen Freunden aus dem Westen: Hört auf, es ist in eurem eigenen Interesse!

SPIEGEL: Das klingt wie eine Drohung.

Mahbubani: Es ist eine freundliche Warnung. Es ist besser für den Westen, mit der Mehrheit der Weltbevölkerung zu kooperieren, statt sie von oben herab zu behandeln.

SPIEGEL: Was sollte sich konkret ändern?

Mahbubani: Werdet klüger, werdet einfühlsamer in eurem Verhältnis zum Rest der Welt. Lernt, anderen zuzuhören. Ansonsten wird es jenen Kampf der Kulturen geben, den ihr so fürchtet. Es ist wie in einer Schulklasse. Wenn einer den Rest die ganze Zeit tyrannisiert, entstehen Hass und Zorn. Der Westen war der Klassentyrann der letzten 200 Jahre.

SPIEGEL: Wer hat denn unter den "Belehrungen" gelitten? Die Völker Asiens oder vielleicht nur ihre politischen Führer, vor allem die politischen Unterdrücker?

Mahbubani: Die Frage ist auch typisch für euch Westler. Ihr kommt auf euren hohen Rössern daher wie die weißen Ritter, Galopp, Galopp, und glaubt, die armen Völker von ihren bösen Führern befreien zu müssen. In Wahrheit verfolgt ihr unter dem Deckmantel von Demokratie und Menschenrechten nur eure egoistischen Interessen. Wir haben eure Doppelmoral durchschaut.
SPIEGEL: Gilt die Menschenwürde eigentlich überall auf der Welt?

Mahbubani: Natürlich. Jeder Mensch sollte die gleichen Rechte haben. Keine Diskriminierungen.

SPIEGEL: Wie können Sie dann Staaten verteidigen, die Menschenrechte ganz offensichtlich verletzen?

Mahbubani: Ich kenne keine einzige perfekte Gesellschaft auf der Erde. Deshalb sollte keine Gesellschaft über eine andere richten. Das dürfte nur ein Land, das eine blütenreine Weste hat.

SPIEGEL: Jeder kann doch hinzulernen.

Mahbubani: Natürlich können Verbrecher hinzulernen. Aber man sollte einen solchen Verbrecher nicht zum Richter darüber machen, ob andere kriminell sind. Sonst werden die anderen sagen: "Du bist kein Richter, sondern Verbrecher. Geh nach Hause."
....
Fortsetzung siehe
http://www.spiegel.de/spiegel/inhalt/0,1518,554273,00.html
 
aus der Diskussion: Chavez rückt Merkel in die Nähe von Hitler
Autor (Datum des Eintrages): StellaLuna  (21.05.08 20:12:24)
Beitrag: 144 von 148 (ID:34145939)
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