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Viel Kleines, Feines neben Nestlé
Nahrungsmittelaktien bieten eine solide Alternative

Defensiver Charakter – Internationale Marktoffensiven werden unterschiedlich gewürdigt – Geschickte Menüwahl ist unerlässlich

31.05.08

Rohmaterialhausse, Milchstreik, Biotreibstoffe: Die Nahrungsmittelbranche zieht es derzeit oft in die Schlagzeilen. Die Diskussionen werden emotional geführt, doch kommen die Exponenten der Branche an den Aktienmärkten zu Recht gut weg, auch an der SWX Swiss Exchange. Die Menükarte ist nicht nur breit, sondern ebenso heterogen. Gut gewählte Picks können dem Anleger jederzeit Freude bereiten. Die Wachstumsfantasie liegt für alle Beteiligten im Ausland, was nun auch Bell entdeckt hat. In schwachen Börsenphasen stützt zudem der defensive Charakter der Valoren die Kurse.
Dem Nahrungsmittelsektor an der SWX verleiht vor allem Nestlé Gewicht. In der zweiten Reihe finden die Schokoladeproduzenten Lindt & Sprüngli und Barry Callebaut Beachtung. Mit einigem Abstand, was die Marktkapitalisierung angeht, folgen die kleineren Werte Hiestand, Bell und Emmi, die ihrerseits weit vor Hügli und dem Winzling Groupe Minoteries liegen.

Phänomen Nestlé
Branchenriese Nestlé hat sich im ersten Quartal durch eine überdurchschnittliche Umsatzzunahme (+9,8% organisch) ausgezeichnet. Einerseits war das interne Realwachstum bedeutend, andererseits nutzte Nestlé die Stärke der Marken, um Preiserhöhungen durchzusetzen. Weiter kam dem Konzern zugute, dass die höheren Rohwarenpreise frühzeitig schrittweise in die Preispolitik eingebaut wurden. Für das ganze Jahr wird ein Umsatzwachstum prognostiziert, das in die Nähe der letztjährigen 7,4% zu liegen kommen soll. Diese Qualitäten liegen der Kursperformance der vergangenen Wochen zugrunde. Durch den Teilverkauf von Alcon an Novartis steigt zudem die Liquidität, die zu Übernahmen im wachstums- und margenstarken Bereich Nutrition genutzt werden soll.

Am Markt immer wieder kursierende Gedankenspiele über Kombinationen von Nestlé und Hershey bzw. Cadbury dürften unerfüllt bleiben. Beide Süsswarenhersteller erfüllen die Akquisitionskriterien nur zum Teil, sodass Nestlé getrost nach geeigneteren Übernahmekandidaten Ausschau halten kann. Im Sektor sind die auch nach internationalen Bewertungsmassstäben vorn liegenden Nestlé-Valoren als Nummer eins gesetzt.

Eine Durststrecke durchlaufen Lindt & Sprüngli und vor allem Barry Callebaut. Erstere weisen zwar gewohnt solide Wachstumsraten auf und auch eine Ertragsverbesserung in den USA, doch wird die Vergleichsbasis immer anspruchsvoller, und es gilt, ein ehrgeiziges Investitionsprogramm umzusetzen. Auch ist das Bewertungsniveau «premium». In Barry Callebaut scheint derzeit die kurzfristige Optik der teuren Rohmaterialien zu dominieren. Der Kapazitätsausbau und die Lieferverträge mit den Grossen der Branche werden dem Geschäft Schub verleihen, was in der Bewertung noch nicht voll berücksichtigt ist. Mit Barry Callebaut ist sicher zu rechnen, zumindest mittelfristig.
Milchstreik bisher ohne Folgen
Kein einheitliches Bild geben die kleineren Nahrungsmittelwerte ab. Emmi lösten sich zum Wochenschluss kaum vom Tief. Der Milchverarbeiter ist von der Streikaktion diverser Milchbauern in keiner Weise betroffen, wie ein Sprecher bestätigte. Mit beiden Protestgruppen unterhält Emmi keine Lieferverträge. Der Durchschnittspreis pro Kilogramm Milch beläuft sich auf 74 Rp., wobei das Niveau seit Anfang Jahr stabil ist. Gleichzeitig ist aber der Abstand zum Ausland wieder gewachsen, da dort die Preise deutlich gefallen sind. Em- mi strebt längerfristig eine Annäherung an dieses Milchpreisniveau an. An der GV bestätigten die Luzerner, nach dem guten Startquartal wieder mit einer Gewinnmarge über 2% zu rechnen. In der Schweiz wie im Ausland nahm der Umsatz in den ersten drei Monaten zu. 2007 war der Absatzzuwachs im Ausland mit zu hohen Marketingkosten erkauft worden, was den Gewinn belastete und die Aktien auf Talfahrt schickte. Dem neuen CEO obliegt die Aufgabe, Emmi zu profitablem Wachstum zurückzuführen. Diesen Tatbeweis brauchen die Titel, um vom Fleck zu kommen.
Das Management des Tiefkühlbackwarenherstellers Hiestand kann sich nach den Turbulenzen im Aktionariat – Focus Capital musste notfallmässig verkaufen, Lion Capital übernahm – und den entsprechenden Folgen für den Aktienkurs wieder auf das Tagesgeschäft konzentrieren. Das Augenmerk gilt dem organischen Wachstum in Deutschland und dem Aufbau des Osteuropageschäfts, da die Integration des Neuzugangs Fricopan abgeschlossen ist. Ähnlich wie im Fall Lindt & Sprüngli kennen die Hiestand-Aktien als Handicap die stattliche Bewertung.

In einer weiteren Wachstumsphase steckt auch der Suppen-, Saucen- und Halbfabrikathersteller Hügli. Die Präsenz in Osteuropa wird gestärkt, neue Absatzmärkte sind Grossbritannien und Italien. Ein solides Abschneiden ist diesen Small Caps jedenfalls zuzutrauen.



Bell wagt sich ins Ausland

Der Fleischverarbeiter Bell macht vorwärts mit der Expansion ins Ausland. Er übernimmt rückwirkend per 1. Januar den französischen Charcuteriehersteller Groupe Polette. Das Familienunternehmen erzielt mit rund 230 Beschäftigten 90 Mio. Fr. Umsatz. Das entspricht knapp einem Viertel dessen, was Bell Charcuterie umsetzt bzw. gut 5% des Gruppenumsatzes von 1,63 Mrd. Fr.

Die gemäss Bell-Sprecher Davide Elia rentable Polette soll bereits im ersten Jahr einen Gewinnbeitrag in nicht spezifiziertem Umfang liefern. Detaillierter will sich Bell im August äussern, wenn die Halbjahreszahlen präsentiert werden. Polette produziert auf modernen, kräftig ausgebauten und gut ausgelasteten Anlagen. Investitionsbedarf besteht nicht. Der Umsatz müsste 2008 gemäss Elia deutlich zweistellig wachsen. Zu den Abnehmern der Wurst- und Schinkenspezialitäten gehören alle französischen Supermarktketten und die grössten Discounter. 8% des Volumens werden exportiert.

Bell will die Markterschliessung vorantreiben und setzt dabei auf die Erfahrung von Unternehmensinhaber Philippe Polette, der das Geschäft weiterführen wird. Die Bank Vontobel schätzt den nicht publizierten Kaufpreis auf 40 bis 45 Mio. Fr. Bell kann sich die Akquisition mit einer Eigenkapitalquote von 66% und einem hohen Cashflow problemlos leisten. Das zu 60% von Coop kontrollierte Unternehmen bestätigt, dass weitere Schritte ins Ausland folgen sollen. Auf dem Radar sind Unternehmen aus dem Bereich Charcuterie mit bis zu 1000 Mitarbeitern und Standort in einem Nachbarland. Aus Nachfolgefragen wie im Fall Polette und dem Konsolidierungsdruck soll Profit geschlagen werden. Voraussetzung ist, dass das Zielobjekt strategisch passt und rentabel ist. Hintergrund der Expansion ins Ausland sind die schrumpfenden Wachstumsmöglichkeiten in der Schweiz.

Der strategiekonforme Wachstumsschritt wurde von den Investoren mit Wohlwollen registriert. Die Aktien Bell sind zum Kurs-Gewinn-Verhältnis 12 nicht überbewertet. Papiere von Mitbewerbern wie Campofrio (14) aus Spanien sind teurer. Auch im Vergleich mit den andern kleineren Schweizer Nahrungsmittelwerten weisen Bell einen Bewertungsrückstand auf. Gelingt die Integration Polettes und folgen weitere Akquisitionen, sind die Chancen auf eine Höherstufung intakt. Ein Risikofaktor für die Margenentwicklung sind die konstant hohen Rohwarenpreise und die Unsicherheit, ob diese reibungslos überwälzt werden können.
 
aus der Diskussion: Nobbele - Depotbesprechung
Autor (Datum des Eintrages): Nobbele_2010  (31.05.08 14:24:44)
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