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Hatun S., Rukiye und Derya P., Morsal O...
Die Akte Ehrenmord
Immer wieder werden Frauen und Mädchen, die frei leben wollen, von ihren Vätern oder Brüdern umgebracht. Die türkische Anwältin Gülsen Celebi schrieb darüber ein Buch. Jetzt hat ein deutsches Gericht es verboten
SaSCHA LANGENBACH




Anwältin Gülsen Celebi (36) aus Düsseldorf schrieb über Ehrenmorde. Ihr Buch "Kein Schutz, nirgends" soll in neuer Auflage erscheinen.
ddp

Sie bringen ihre Frauen, Töchter und Schwestern um: schießen, stechen, erwürgen, überfahren sie im Namen der Ehre – weil sie ihnen nicht zugestehen, dass sie anders leben wollen. Die Anwältin Gülsen Celebi hat eine Mandantin durch einen "Ehrenmord" verloren. Der Täter bekam lebenslänglich – aber für die Juristin aus Düsseldorf hat der Kampf für die Rechte islamischer Frauen gerade erst begonnen.
Gülsen Celebi ist intelligent, sie ist jung und attraktiv. Und was sie sagt, bringt viele muslimische Männer in Rage. "In Deutschland findet in der türkischen Gemeinschaft eine Re-Islamisierung statt. Das Wort Integration ist bei diesen Menschen nicht angekommen", sagt die 36-jährige Anwältin in einem ruhigen, bestimmten Ton. Man kennt diesen Ton von Menschen, die von einer Sache völlig überzeugt sind.
Celebi ist überzeugt, dass das Kopftuch, ein rückständiges Symbol der Tradition, ein äußeres Zeichen der Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist. "Mit dem Kopftuch kann ich mich nicht frei entfalten. Und warum soll ich mich als Frau einschränken? Warum sollen Mädchen ein Tuch tragen, die Jungen aber keinen Fez?"

Natürlich ist es ein großer Schritt vom Kopftuch-Streit zum Ehrenmord. Aber folgt man Celebi, gibt es Zusammenhänge, die vielen Deutschen nicht ohne Weiteres einleuchten. Da ist der Begriff der Ehre. Die erwirbt man nicht, zum Beispiel durch ein vorbildliches Leben; die ist einfach da, und sie muss verteidigt werden, immer, permanent, von der ganzen Familie. Und wer kann die Ehre verlieren? "Frauen und Mädchen, die sich dem Diktat des Clans nicht beugen, die frei leben möchten", sagt Celebi. Wer sich diesen Argumenten anschließt, der versteht, warum ein gefaltetes Stück Stoff zum Symbol von Unterdrückung werden kann. Und Anlass für Gewalt.

Leider sehen viele patriarchalische türkischstämmige Familien Gewalt als relativ normal an, "und da darf man sich nichts vormachen: Auch Akademiker schlagen Frauen und Kinder", sagt Celebi. Dabei sei Gewalt kein Teil der türkischen Kultur und Tradition, erklärt die Deutsch-Kurdin. "Aber sie wird zum Erhalt der Macht eingesetzt."
Die Anwältin musste im März 2007 selbst erleben, mit welcher tödlichen Konsequenz Gewalt zu Ehrenmorden führen kann – sie benutzt, wie auch andere türkisch- oder arabischstämmige Frauenrechtlerinnen, das Wort konsequent in diesem Zusammenhang.

9. März 2007: Eigentlich hätte Erol P. längst im Knast sitzen müssen, als er die tödlichen Schüsse auf seine Noch-Ehefrau Rukiye (38) und seine Tochter Derya (19) abfeuert. Denn gegen den Mann lag ein Haftbefehl wegen Vergewaltigung vor. Gülsen Celebi war verblüfft, dass Erol am Morgen überhaupt im Familiengericht erschienen war, wo es um das Sorgerecht für die drei Kinder des Paares gehen sollte.

Rukiye P., die als junge Frau gegen ihren Willen mit Erol verheiratet worden war (und als so genannte "Import-Braut" nach Westeuropa kam), hatte sich nach Jahren der Gewalt und Unterdrückung durch ihren Mann von ihm getrennt.

Celebi teilt dem Richter mit, dass es ein Schreiben der Staatsanwaltschaft gebe, wonach es in der Vergangenheit einen Haftbefehl gegeben haben solle, der außer Vollzug gesetzt wurde. Sie wollte sicher gehen und bat den Richter um Klärung. Nachlässigkeit oder Schlamperei: Erol wird jedenfalls nicht verhaftet. Ihrer Mandantin rät Celebi, die Polizei zu rufen, falls Erol ihr auflauern sollte. Die Warnung kommt zu spät: Kaum hält die Familie vor der Wohnung, erschießt Erol P. Frau und Tochter.

Damals bangte Gülsen Celebi selbst um ihr Leben. Wie Rukiyes Schwestern. Eine von ihnen verklagte die Anwältin, weil ihre Rolle in Celebis Buch "Kein Schutz, nirgends" geschildert wurde – angeblich ohne ihr Wissen. Jetzt hat das Landgericht Mönchengladbach den Vertrieb des Ehrenmord-Buchs verboten.

Celebi zu unserer Zeitung: "Ich würde mit der Öffentlichkeit lieber über Ehrenmorde diskutieren als über einstweilige Verfügungen. Ich bin geschockt: Drei Stunden nachdem mein Buch vom Markt genommen war, geschah der nächste Ehrenmord" – in Hamburg, an Morsal O. (16).
Übrigens wollte die Familie von Erol P. den überlebenden Sohn aufnehmen (von der Schwester kein Wort). Auch die Familie der Berliner Deutsch-Türkin Hatun S., die 2005 von einem ihrer drei Brüder erschossen wurde, hatte das Sorgerecht für ihren Sohn beantragt. Der jüngste Bruder verbüßt eine Jugendstrafe (neun Jahre und drei Monate). Seine älteren Brüder, die freigesprochen worden waren, sollen nochmals vor Gericht – sie leben in der Türkei, werden nicht ausgeliefert.

Wie viele Ehrenmorde es in Deutschland gibt, weiß niemand. "Jeder Ehrenmord verläuft anders", sagt Celebi. Meist geben die Täter nicht "Ehre" als Motiv an, sondern Depressionen oder Affekthandlung, "damit die Strafe geringer ausfällt". Die Juristin hat schon viele Motive gehört, aber: "Egal, wie die Rechtfertigung lautet: Bei uns gilt das Grundgesetz, nicht die Scharia."

Mit Religion seien die gesellschaftlichen Konflikte ohnehin nicht zu erklären, vielmehr mit einem Mangel an Bildung. Celebis Fazit: "Ehrenmorde finden nicht in religiösen Familien statt, sondern in kaputten!"

Berliner Kurier, 25.05.2008

http://www.berlinonline.de/berliner-kurier/print/ratgeber/21…
 
aus der Diskussion: Ehrenmorde - kein Schutz nirgends
Autor (Datum des Eintrages): Blanchefort  (03.06.08 13:06:01)
Beitrag: 2 von 6 (ID:34225792)
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