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«Der Agrarboom geht weiter»

07.06.2008

Herr Gattiker, die Subprime-Krise hat etwas an Schärfe verloren. Dafür bereitet die anziehende Teuerung Sorgen. Kündigt sich für die Finanzmärkte ein neues, womöglich noch grösseres Problem an?
Die Zentralbanken, vor allem der USA, haben durch rigoroses Eingreifen den Zusammenbruch des Finanzsystems bisher abwenden können. Dazu mussten sie im grossen Stil Liquidität ins System pumpen. Derzeit beurteilen die Märkte nun die Folgen dieser Flutung mit billigem Geld. Es könnte gut sein, dass die Probleme nur hinausgeschoben, aber nicht wirklich gelöst werden.
Namentlich China exportiert nicht mehr Deflation, sondern Inflation. Was bedeutet das für Wirtschaft und Märkte?
China will in der Wertschöpfungskette nach oben klettern, sprich höherwertige Güter für den Weltmarkt produzieren. Dadurch verändert sich die Qualität der Exporte und steigt der Preis. Die Währung selbst wird nur sehr zögerlich aufgewertet, ganz anders als der Yen in den 70er- und 80er-Jahren. China erzeugt deshalb nur geringen Inflationsdruck über den Export. Zudem stehen auf dem Weltmarkt schon die nächsten Volkswirtschaften wie Vietnam bereit, um die tieferen Qualitätssegmente in der Produktion zu übernehmen.
Im schlimmsten Fall droht Stagflation. Ist die Gefahr reell?
Die USA dürften in den nächsten Quartalen unter Potenzial wachsen, und der Inflationsdruck könnte trotz Abschwächung über den tiefen Dollar erhalten bleiben. Auch in Europa wird der Konjunkturmotor ins Stottern kommen, besonders, wenn die EZB mit ihren Zinserhöhungen in den nächsten Wochen Ernst macht. In den Schwellenländern sorgen die hohen Rohstoffpreise für anhaltenden Inflationsdruck und belasten gleichzeitig die mittelfristigen Wachstumsaussichten. Da aber von Stagflation zu sprechen, halte ich für unverhältnismässig. Denn die Anleger erinnern sich bei diesem Wort an die Situation der 70er-Jahre: Eine Preis-Lohn-Spirale, die unablässig höher dreht, den Misery Index, der Inflation und Arbeitslosigkeit addierte und mit Werten von über 20% die schwierige Wirtschaftslage offenbarte. Davon sind wir gegenwärtig trotz aller Übertreibungen an den Kreditmärkten weit entfernt.
Welche Vermögensaufteilung ist nach der langen Phase von inflationsarmem Wachstum jetzt ratsam?
Die Anleger haben sich über die letzten 25 Jahre an fallende Inflationsraten und Zinsen gewöhnt. Finanzanlagen wie lang laufende Obligationen oder Pharma- und Finanztitel auf der Aktienseite haben von den Kapitalgewinnen durch tiefere Zinsen profitiert. Nach diesem Rückenwind für Obligationenanleger dürfte in den kommenden Jahren eher Flaute herrschen. Wir stellen aber fest, dass die Anleger auf ein Ende dieses Trends oder sogar auf die Trendumkehr gar nicht vorbereitet sind. In der Vermögensaufteilung sollten die Investoren deshalb darauf achten, Obligationen durch alternative Anlagen zu ersetzen.
Würden Sie Inflationsschutz suchen?
Inflationsgeschützte Anlagevehikel in reifen Finanzmärkten wie die Tips – Treasury Inflation Indexed Securities – sind vor allem dazu geeignet, den realen Wert von Finanzanlagen zu erhalten. Der Kern der gegenwärtigen Preisverschiebungen liegt aber in den Reflationsbemühungen der US-Notenbank und im Wirtschaftsboom der Schwellenländer. Rohstoffguru Jim Rogers hat einmal angemerkt, dass der letzte Ort, wo Inflation auch noch festgestellt wird, die US-Konsumentenpreisstatistik sei. Wir empfehlen, einen direkteren Inflationsschutz ins Portfolio einzubauen und denken zum Beispiel an Immobilien, Rohstoffe, aber auch an marktneutrale Finanzanlagen wie Hedge Funds.
Profitiert der Franken, wenn sich die globalwirtschaftlichen Aussichten verschlechtern?
Der Franken dürfte weiterhin gesucht sein, wenn sich erneut Panik im Finanzsystem ausbreiten sollte. Auch gehen wir davon aus, dass die Dollarschwäche nicht generell ausgestanden ist. Es macht weiter Sinn, Dollaranlagen währungsmässig abzusichern, zumal es von der Zinsdifferenz her nicht mehr teuer ist.
Gibt es Impulse, die auf Konjunktur, Unternehmensgewinne und Börsen positiv wirken und Chancen bieten?
Der globale Wirtschaftsmotor läuft derzeit asynchron. Die USA stecken schon in der Talsohle, während Europa sich abschwächt und die Schwellenländer weiter boomen. Somit besteht die Chance, dass sich der Abschwung weltweit im Rahmen hält. Den globalen Grossunternehmen ausserhalb des Finanzsektors kommt diese geographisch breite Abstützung zugute. Ausserdem haben sie im historischen Vergleich starke Bilanzen.
Sehen Sie die Börsen Ende Jahr höher oder tiefer als heute?
Wir gehen von festeren Aktienmärkten per Ende Jahr aus. Trotz wirtschaftlich schwierigem Umfeld sind die Unternehmen deutlich weniger verletzlich als in früheren Zyklen. Dennoch: Die Risiken eines globalen Zusammenbruchs erscheinen zwar gebannt, doch die Kreditkrise könnte noch einige Nachbeben auslösen. Es würde nicht erstaunen, wenn wir noch ein bis zwei Kaufgelegenheiten sehen, bevor der Markt ernsthafter nach oben dreht.
Viel Anziehungskraft auf Anleger übt weiterhin der Agrobereich aus, obwohl der politische Widerstand gegen höhere Agrar- und Lebensmittelpreise wächst. Bleibt der Sektor attraktiv?
Wenn die Welt bis 2050 neun Milliarden Menschen ernähren will, muss die Produktion mächtig angekurbelt werden. Das wird einzig über den Preis und einen Abbau der Handelsschranken möglich sein. Ausserdem ändern sich die Ernährungsgewohnheiten in den Schwellenländern, was zusätzliche Nachfrage auslöst. Von daher erwarten wir einen anhaltenden Agrarboom. Das politische Risiko ist zwar substanziell, aber der Erfolgsdruck dürfte die Politiker zum Einlenken und einer marktorientierten Lösung zwingen.
Welche Titel empfehlen Sie?
Wir bilden das Thema Agrikultur über einen breit diversifizierten Fonds ab, der auch direkt in Agrikulturrohstoffe investiert. Auf der Aktienseite sollte die gesamte Wertschöpfungskette von den Grundstoffherstellern, Ausrüstern über die Produktionsunternehmen bis hin zu den Logistikern und Konsumgüterherstellern reichen. Auf Einzeltitelstufe sind Namen wie Potash, Agrium, Deere, AGCO, People’s Food, Nestlé, Dupont und Monsanto zu nennen.
Gut gelaufen sind auch Energie und Bergbau. Wohin geht da die Fahrt?
Diese beiden Sektoren erachten wir ebenfalls als attraktiv. Der klassische Schweizer Investor ist hier strukturell untervertreten und sollte am besten über Titel wie Schlumberger, Total, Gazprom oder CGG Veritas das Gewicht erhöhen.
Wie geht's im Finanzsektor weiter, gibt es Bankaktien, die mehr sind als eine spekulative Überlegung?
Die Banken haben rund 380 Mrd.$ abgeschrieben und weit über 250 Mrd.$ an Kapital aufgenommen. Insofern ist die Bereinigung schon weit vorangeschritten. Jetzt geht der zeitaufwendige Prozess der Restrukturierungen über die Bühne, und der Regulator wird auch mitreden wollen, damit sich diese Misere nicht wiederholen kann. In der Folge sind wir weiterhin gegenüber den betroffenen Instituten vorsichtig eingestellt, auch wenn es hie und da Schnäppchen gibt. Wir legen das Augenmerk auf Banken der Schwellenländer, die noch mit klassischem Bankgeschäft Geld verdienen und eine recht junge Kundenbasis haben, wie ICICI oder HDFC aus Indien. Auch russische Institute wie die Sberbank sind ausgezeichnet positioniert.
Was halten Sie von so genannt defensiven Titeln: Telecom, Konsum, Pharma?
Telecom und Pharma in den Industrieländern gehören zu den Verlierern des Endes des Desinflationstrends. Wir bevorzugen unter den nichtzyklischen Aktien Konsum. Es scheint, dass es dieser Industrie bisher am besten gelungen ist, die globalen Wachstumsmärkte erfolgreich zu erschliessen; Nestlé und Danone sind Paradebeispiele. Die Pharmamultis tun sich ausgesprochen schwer. Das hat mit der Problematik Patentschutz in den Emerging Markets zu tun und damit, dass sich ein leicht steigender Wohlstand nicht zwingend in einem Nachfragesprung nach High-end-Medizin niederschlägt. Zudem ist die Pharmaindustrie Opfer des eigenen Erfolgs in den 80er- und 90er-Jahren. Die neuen Blockbusters sind schwerer zu finden als vor zehn, zwanzig Jahren. Wir ziehen Medizinaltechnik im Gesundheitswesen vor. Unter den Telecomaktien ist mit den Übernahmeabsichten von France Telecom und Telia Sonera wieder etwas Leben zurückgekehrt. Doch ähnlich wie bei den Banken suchen wir auch da die Direktanlage in Schwellenländern – China Telecom, America Movil, oder MTS in Russland.
Wenn Sie eine Handvoll Aktien auswählen müssten, was würden Sie einem guten Freund empfehlen?
Infrastruktur, Rohstoffe, Konsum in Schwellenländern: Der klassische Schweizer Anleger ist da über ABB, Holcim, Nestlé, Syngenta und die Uhrenwerte in einigen Subthemen vielleicht schon engagiert. Darum würde ich international diversifizieren: Agrar und Energie, indische Banken sowie in Emerging Markets Telecom. Für die etwas weniger sportliche Ausrichtung drängen sich Titel wie Coca-Cola, McDonald's, Colgate, Schlumberger, Total und Novo Nordisk auf.
 
aus der Diskussion: Nobbele - Depotbesprechung
Autor (Datum des Eintrages): Nobbele_2010  (07.06.08 15:29:52)
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