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Finanzkrise und Kursfeuerwerk
Real sozialisierender Kapitalismus: Die Wall Street feiert Hank Paulson
Andreas Henry (New York)
19.09.2008

Heil dem Erlöser! Die Wall Street feiert Henry "Hank" Paulson, den US-Finanzminister, und seinen Plan für eine Auffanggesellschaft, die den Banken helfen würde, Problemkredite, Derivate-Giftmüll und sonstige die Bilanzen belastende Finanzinstrumente zu entsorgen. Innerhalb von Stunden schießen die Kurse von Finanzwerten nach oben, als seien ihnen die Sünden der vergangenen Jahre damit auf einen Schlag vergeben und vergessen. Ein Kommentar von WirtschaftsWoche-Korrespondent Andreas Henry.



Fed-Chef Ben Bernanke (r.) und US-Finanzminister Henry "Hank" Paulson REUTERS Ego te absolvo!

Das Aufatmen an der Wall Street ist förmlich zu greifen. Gestern schien noch alles möglich, weitere Banken wanderten haarscharf am Grat zum Absturz vorbei, selbst erste Adressen wie Goldman Sachs galten plötzlich als gefährdet, der gefährliche Virus der Kreditkrise verbreitete sich unaufhaltsam weiter, kein Gegenmittel schien stark genug, den Verfall zu stoppen oder gar umzukehren.

Jetzt sieht es so aus, als könnte Paulson mit seinem Staatsfonds den gordischen Knoten durchschlagen. Doch zu welchem Preis? Die geplante Auffanggesellschaft erinnert an die Treuhandanstalt, auf die nach dem Untergang der DDR das volkseigene Vermögen übertragen worden war. Damals war es ein bankrotter Staat, der wegen sozialistischer Fehlplanung unterging und dessen Vermögenswerte zur Abwicklung in eine staatlich gesteuerte Gesellschaft eingebracht wurden. Heute gibt in den USA eine gesamte Branche quasi eine Bankrotterklärung ab mit ihrer Hilflosigkeit, sich aus eigener Kraft aus dem Sumpf zu ziehen, den sie selber angelegt hat. Was Paulson praktiziert ist der real sozialisierende Kapitalismus.

Erpressungsversuch der Wall-Street-Bande

Die Rechnung, die deutsche Steuerzahler von der Treuhandanstalt für das Aufräumen des realsozialistischen Chaos präsentiert bekamen, belief sich auf mehr als 100 Milliarden Euro. Die amerikanischen Steuerzahler können sich glücklich schätzen, wenn sie mit einer solchen Summe auskommen. Zwar hat Paulsons Plan theoretisch sogar das Potenzial zu einem guten Geschäft für den Steuerzahler zu werden. Doch das hängt vor allem davon ab, wie schnell sich die US-Wirtschaft wieder berappelt und wann sich die Immobilienpreise zwischen Kalifornien und Florida wieder erholen.

Außerdem werden die Banken alles daran setzen, den selbst produzierten Schrott zu möglichst hohen Preisen an die US-Treuhand abzustoßen. Es wird spannend zu beobachten sein, wie obskure Finanzinstrumente, für die es monatelang keine Preise gab, plötzlich bewertet werden. Immerhin sollte Paulson die Tricks kennen: Er hat selbst eine beeindruckende Wall-Street-Karriere hinter sich, zuletzt als Chef der Investmentbank Goldman Sachs.

Am vergangenen Wochenende hatte Paulson einem erneuten Erpressungsversuch der Wall-Street-Bande noch widerstanden, als er sich weigerte, der untergehenden Investmentbank Lehman Brothers eine Rettungsleine in Form von staatlicher Unterstützung in Milliardenhöhe zuzuwerfen. Bei der Investmentbank Bear Stearns im März hatte der Plot der Börsianer noch geklappt: Wir lassen den Kurs immer weiter in den Keller rauschen, drohen unverblümt mit einem Domino-Effekt, der wegen der komplizierten Kreditverpflechtungen und undurchschaubaren Derivate-Transaktionen das weltweite Finanzsystem und die Wirtschaft in eine bedrohliche Krise stürzen werde, wenn die Regierung oder die US-Notenbank nicht stützend eingreift.
 
aus der Diskussion: Stehen die Weltbörsen vor einem Crash ???
Autor (Datum des Eintrages): boersentrader02  (30.09.08 13:46:58)
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