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Wolfgang Münchau - Erhard reicht nicht

Der neue Bundeswirtschaftsminister verbreitet unbegründeten Optimismus. Das ist schädlich.

Wenn Menschen keine Ahnung von Wirtschaft haben, dann zitieren sie oft Ludwig Erhards berühmten Ausspruch, Wirtschaft sei zu 50 Prozent Psychologie. So tat es auch unser neuer Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, denn in seinem Ministerium ist es guter Ton, den Dicken mit der Zigarre zu zitieren.

Erhards Aussage ist für sich genommen gar nicht mal so falsch, abgesehen von der numerischen Präzision (warum 50 Prozent und nicht 40 oder 60?). Es existiert ein respektables Gebiet der ökonomischen Forschung, das sich mit den psychologischen Aspekten der Wirtschaft beschäftigt und das die in der Ökonomie vorherrschende Annahme der Rationalität infrage stellt. Auch John Maynard Keynes sprach von den berühmten "Animal Spirits", für die es weder eine gute deutsche Übersetzung gibt noch eine rationale Erklärung.

Nur sollte man Erhards Satz nicht aus dem Zusammenhang reißen. Der Aufschwung kommt nicht dadurch, dass man Erhard zitiert oder von Psychologie redet. Der Aufschwung wird auch nicht deswegen kommen, weil man ihn voraussagt, sondern nur wenn Menschen einen konkreten Anlass dafür sehen. Der Trick besteht darin, die Menschen dazu zu bekommen, ihre Erwartungshaltungen zu verändern. Das ist harte Arbeit.

Unberechenbarer Export

Dass das Rettungspaket der Regierung ab dem dritten Quartal anfängt, seine Wirkung zu zeigen, ist wahrscheinlich. Aber warum dieses Paket eine Trendwende einläuten soll, ist den meisten Menschen überhaupt nicht klar. Zum einen ist die Größe des Pakets immer noch klein, gemessen an der Stärke des Abschwungs. Darüber hinaus ist diese Krise keine deutsche, sondern eine globale. Woher weiß unser Wirtschaftsminister, dass die für unsere Konjunktur so wichtigen Exporte dann wieder ansteigen?

Auf das Jahr hochgerechnet ist Deutschlands Wirtschaft im vierten Quartal 2008 um fast neun Prozent geschrumpft. Das ist eine unglaubliche Zäsur. Man hat nicht so richtig den Eindruck, dass Freiherr zu Guttenberg sich über den Ernst der Lage klar ist. Es ist völlig verständlich, dass sich ein fachfremder Wirtschaftsminister erst einarbeiten muss. Es ist aber überhaupt nicht verständlich, wenn der Minister schon am ersten Arbeitstag seine offensichtliche Inkompetenz zur Schau trägt und vom Aufschwung quasselt.

Die Menschen im Lande wissen, dass die Bundesregierung diese Krise zu jedem Zeitpunkt unterschätzt hat. Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers und der darauffolgenden globalen Finanzkrise sollte es klar gewesen sein, dass jetzt ein starker Abschwung bevorsteht. Das erste Konjunkturpaket im Oktober war angesichts der schon damals sich abzeichnenden Bedrohung ein Witz.

Das mit heißer Nadel gestrickte Bankenpaket enthält handwerkliche Fehler. Vor allem vermeidet es die notwendige Umstrukturierung des Sektors. Mit dem zweiten Konjunkturpaket hat sich die Regierung sehr viel Zeit gelassen. Auch wenn die Größenordnung jetzt ein wenig realistischer ist, so ist das Paket zu wenig effektiv, weil es die europäische Koordination auslässt. Wenn jetzt der Wirtschaftsminister gute Laune verbreiten will unter dem Vorwand, man habe schließlich das Problem gelöst, dann wird einem angst und bange. Und wenn die Wirtschaft tatsächlich aus 50 Prozent Psychologie besteht, dann ist es gar nicht gut, wenn einem angst und bange wird.

Mich erinnert die Situation an einen Dialog im Action-Thriller "Speed". Dort antwortet Keanu Reeves auf die Frage, was einen Personenaufzug beim Absturz aus dem 30. Stock noch aufhalten könnte: "Der Boden."

Natürlich wird die Konjunktur auch ohne den Staat irgendwann einmal landen. Irgendwann hört jeder ökonomische Teufelskreis auf. Das Problem ist nur, dass die Wirtschaft bis dahin eventuell um 10, 20 oder 30 Prozent geschrumpft ist. Keiner weiß es. Und genau deswegen wäre es gut, auch aus Gründen der Psychologie, wenn uns der Wirtschaftsminister signalisieren würde, dass er auf eine derartige Katastrophe vorbereitet ist.

Besser wäre es, wenn sich Guttenberg mit dieser sehr komplizierten Materie ein wenig auseinandersetzte. Und das Beste, was er jetzt tun kann, ist, das Gespräch mit Fachleuten im In- und Ausland zu suchen. Er sollte nicht nur mit anderen Wirtschaftsministern, sondern auch mit führenden Ökonomen reden. Er wird dabei sehr unterschiedliche Einschätzungen hören, und er wird nicht alles verstehen, was man ihm sagt. Daher sollte Guttenberg zunächst einen offenen Geist bewahren und sich erst später ein Urteil bilden. Dabei wird er feststellen, dass es jenseits der hierzulande so beliebten ordnungspolitischen Grundsatzstandpunkte auch für einen Marktliberalen Gründe geben könnte, eine Bank zu verstaatlichen.

Die unverstandene Krise

Vor allem aber sollte er vermeiden, Erhard überzustrapazieren. Während Erhards Zeit in Wirtschaftsministerium und Kanzleramt gab es keine Rezession und keine Finanzkrise. Es waren nicht nur goldene Zeiten für Deutschland, sondern für die gesamte Weltwirtschaft.

Wir wissen nicht, wie gut sich Erhard in den instabilen 70er-Jahren geschlagen hätte, als die Wechselkurse freigegeben wurden und als die Ölkrise ausbrach. Als während der 30er-Jahre die Große Depression wütete, glaubte der damals noch junge Wirtschaftswissenschaftler Erhard, die Ursache liege in den Kartellen, nicht etwa in der Geld- oder Fiskalpolitik oder beim Goldstandard. Erhard hätte damals möglicherweise die gleichen Fehler begangen wie Kanzler Brüning oder US-Präsident Hoover.

Angesichts unserer heutigen Erkenntnisse ist es sehr leicht, die Politiker und Wirtschaftswissenschaftler vergangener Zeiten zu kritisieren. Dabei verstehen auch wir unsere heutige Krise möglicherweise weniger, als wir denken.

Mit Peer Steinbrück haben wir schon einen Bundesfinanzminister, der sich selbst stets über- und die Krise unterschätzt. Mit Freiherr zu Guttenberg scheint für den Wirtschaftsminister nun genau das Gleiche zu gelten.

Artikel: http://www.ftd.de/meinung/leitartikel/:Kolumne-Wolfgang-M%FC…

Na, ich würde mal einfach in den Raum stellen, dass die Weltwirtschaft in den letzten Jahren zu 90% aus Psychologie bestand und deswegen, dieser unbegründete Optimismus einfach unangebracht erscheint. :rolleyes:

WS
 
aus der Diskussion: Krise: Guttenberg verkündet, rechtzeitig zu den Wahlen, die Krise für beendet!
Autor (Datum des Eintrages): Wechselschalter  (24.02.09 21:31:06)
Beitrag: 74 von 74 (ID:36645939)
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