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Wall Street: Schöpferische Zerstörung

Datum 30.05.2009 - Uhrzeit 00:49 (© BörseGo AG 2000-2009, Autor: Maier Gerhard, Redakteur, © GodmodeTrader - http://www.godmode-trader.de/)
New York (BoerseGo.de) - Die Wall Street demonstrierte heute was Widerstandsfähigkeit bedeutet. Trotz durchwachsener bis grottenschlechter Konjunkturdaten und dem mutmaßlich kurz vor der Tür stehenden Bankrott von General Motors schaffte der Aktienmarkt mit einem formidablen Schluss-Spurt einen soliden Tagesgewinn, einen Wochengewinn und den dritten Gewinn-Monat in Folge. Aber alles der Reihe nach:


Anomalität in Chicago

Bis kurz vor Schluss litt der Markt noch unter den aktuellen Daten oder den Daten aus der jüngsten Vergangenheit. Der BIP-Rückgang von Q1 wurde heute auf minus 5,7 Prozent revidiert, nicht ganz so herb wie zunächst gemeldet (minus 6,1 Prozent). Die Revision war aber schlechter als die erwartete Korrektur auf minus 5,5 Prozent. Da aber Q1 längst Schnee von gestern ist, wurde die Zahl schnell abgehakt.

Eine dicke Enttäuschung kam aber aus Chicago. Der durch eine Umfrage ermittelte Chicago Einkaufsmanagerindex, der die Industrieentwicklung im Ballungsgebiet abbildet, fiel im Mai auf 34,9 Prozent (April: 40,1). Der Konsens ging dagegen von einem Anstieg auf 42,0 aus. Da Werte unter 50 signalisieren, dass die Industrie schrumpft, hat sich der Rückgang der Industrie im Großraum Chicago danach also wieder beschleunigt.

Beobachter sprachen aber von einer Anomalität, weil in jüngster Zeit ähnliche Indikatoren, etwa aus New York, Besserung signalisierten. „Die Zahlen wurden unzweifelhaft signifikant von den Schließungen der kränkelnden Autoindustrie beeinflusst“, kommentierte Joshua Shapiro, Chef-Ökonom bei Maria Fiorini Ramirez Inc., laut Bloomberg. Die Rückgangsgeschwindigkeit sollte sich daher in den kommenden Monaten wieder verlangsamen. „Wir sehen die Schwäche in der Chicago-Umfrage als Folge des überproportionalen Einflusses der Autoindustrie in der Region“, erklärte Ian Shepherdson, Chef-Ökonom beim Think-Tank High Frequency Economics.


Neuer Geist der Kreativität

Die Wall Street musste sich aber heute wieder mit dem freien Fall der General Motors-Aktien abfinden, die um 33 Prozent rutschten und auf 75 Cents schlossen. Der Markt rechnet jetzt damit, dass der Dinosaurier des Industriezeitalters bereits kommenden Montag das offizielle Bankrottverfahren einleitet.

Der Untergang von General Motors, Chrysler und verbundenen Unternehmen erinnert allerdings an den Begriff, „schöpferische Zerstörung“. Wikipedia zitiert dazu den deutschen Ökonomen Werner Sombart: „Aus der Zerstörung geht ein neuer Geist der Kreativität hervor“. Der österreichische Nationalökonomen Joseph Schumpeter sah darin die Voraussetzung für Innovation und dynamisches Wachstum.

Auffallend war jedenfalls, dass sich heute nicht nur die konjunktursensiblen Rohstoffe wie Öl deutlich verteuerten, sondern auch die ebenso zyklischen Transportwerte (Airlines, Eisenbahnen), trotz steil steigender Energiekosten. Deutliche Gewinne gab es auch bei den Bankwerten, die ebenfalls sehr stark auf die Konjunkturerwartungen reagieren. Impulse dafür gab es auch aus Asien. Japan meldete für den April einen starken Anstieg der Industrieproduktion und in Indien, der 3-größten Volkswirtschaft Asiens, wuchs das BIP in Q1 bereits um 5,8 Prozent, stärker als erwartet.

Der Dow Jones Industrial Average avancierte 1,15 Prozent auf 8.500 Punkte, der - für den breiten US-Aktienmarkt repräsentative - S&P 500 stieg 1,36 Prozent auf 919 Punkte und der technologielastige Nasdaq Composite Index gewann 1,29 Prozent auf 1.774 Punkte.


Im Mai (trotz Konsolidierung):

Dow Jones plus 4,1 Prozent
S&P 500 plus 5,3 Prozent
Nasdaq plus 3,3 Prozent


Dow Jones Average: Gewinner der Dollarschwäche

Tops:


Trotz der Rallye lagen zum Schluss relativ defensive Werte vorne, allerdings solche, die wegen globaler Ausrichtung von der Dollarschwäche profitieren (Multinationals), die die Auslandseinnahmen steigert.

Der Top war daher Coca-Cola mit plus 4,8 Prozent auf 49,16 Dollar. Steigende Kurse von Euro & Co. lassen dort Umsätze und Gewinne noch stärker sprudeln.
Platz 2 ging an den Pharmakonzern Pfizer (Viagra) mit plus 3,4 Prozent auf 15,19 Dollar.
Der Branchenkollege Merck gewann 3 Prozent auf 27,58 Dollar (Platz 3).
Caterpillar stieg 2,5 Prozent auf 35,46 Dollar. Der global aufgestellte Baumaschinenkonzern profitierte anscheinend von der neuen Asien-Fantasie und den steigenden Rohstoffpreisen, da er auch die Minen mit schweren Geräten beliefert.




Flops:

Der Flop des Tages war natürlich General Motors. Die Aktie implodierte heute 33 Prozent und schloss auf 75 Cents. Laut Bloomberg plant der Konzern am Montag 1. Juni das offizielle Bankrott-Verfahren einzuleiten. Jedenfalls ist für diesen Tag eine große Pressekonferenz angekündigt.


S&P 500: Call auf die Konjunktur



Tops:

Der Banken ETF Financial Spider stieg 1,8 Prozent. Die Kredithäuser sind - wegen ihrer hohen Verschuldung - praktisch ein Call auf die Konjunktur.

Morgan Stanley gewann 3 Prozent auf 30,32 Dollar. Die Ex-Investmentbank genoss heute das Wohlwollen einiger Branchenkollegen. Der Broker Keefe Bruyette beförderte die New Yorker von „Market Perform“ auf „Outperform“ und schraubte das Kursziel von 26 Dollar auf 35 Dollar. Der Grund dafür sei das bevorstehende Joint-Venture zwischen Morgan Stanleys Vermögensmanagement und die Citigroup-Tochter Smith Barney (ebenfalls eine ehemalige Investmentbank). Der Deal habe das Potential, die langfristige Profitabilität zu verbessern. Außerdem konzentriere sich Morgan Stanley auf stabilere Geschäftsbereiche, die weniger teures Kapital zum Absichern erfordern.
Der Broker Fox-Pitt korrigierte seine Gewinnschätzung für das laufende Quartals von 28 Cents je Aktie auf 48 Cents (Konsens: 38 Cents) und hob sein Kursziel von 22 Dollar auf 27 Dollar.

Gefragt waren vor allem die konjunkturempfindlichen Transportwerte, trotz der heutigen schwachen Konjunkturdaten und steigender Energiepreise:
Continental Airlines kletterte 4,3 Prozent auf 9,32 Dollar.
Delta Airline schraubte sich um 5,6 Prozent in dei Höhe und schloss auf 5,81 Dollar.


Auch die Eisenbahnen wurden gekauft:

Union Pacific kletterte 8,1 Prozent auf 49,27 Dollar.
Norfolk Southern hüpfte 5,1 Prozent auf 37,20 Dollar.
Burlington Northern Santa Fe stieg 4,7 Prozent auf 72,44 Dollar.


Ford gewann 3,4 Prozent auf 5,75 Dollar. Der Auto-Pionier scheint von der Misere seiner Rivalen General Motors und Chrysler zu profitieren.


J. Crew explodierte 26,4 Prozent auf 25,86 Dollar. Der Fashionhändler wies heute weit mehr Gewinn aus als erwartet, nämlich 32 Cents je Aktie, statt 11 Cents (Vorjahr: 48 Cents). Auch der Umsatzrückgang von 5 Prozent war deutlich geringer als befürchtet.
Der Broker Bean Murray Carret reagierte sofort und korrigierte seine Empfehlung von „Verkaufen“ auf „Halten“. Wegen des hohen KGVs sei aber keine Kaufempfehlung gerechtfertigt, hieß es.

Davon schien auch der Branchenkollege Abercrombie & Fitch zu profitieren, der 7,3 Prozent auf 30,11 Dollar sprang.
GAP, ebenfalls ein Branchenkollege, verteuerte 4,6 Prozent auf 17,85 Dollar.

Lexmark stieg 7,3 Prozent auf 16,34 Dollar.. Der Druckerspezialist profitiert von Barclays Capital. Die Briten hoben den Büroausrüster von „Untergewichten“ auf „Gleichgewichten“ und bekräftigten ihr Kursziel von 16 Dollar. Die Aktie habe den Gesamtmarkt seit Jahresbeginn merklich „underperformed“, sich also wesentlich schwächer entwickelt. Damit seien die Risiken, etwa ein aggressiveres Preisverhalten von Hewlett-Packard, inzwischen eingepreist.

Office Depot verbesserte sich 6,4 Prozent auf 4,66 Dollar. Der Büroausstatter wurde bei JP Morgan von „Neutral“ auf „Übergewichten“ befördert. Gleichzeitig schraubte die Bank das Kursziel von 5 Dollar auf 8 Dollar hoch. Das laufende zweite Quartal sei der Tiefpunkt, da die Einnahmen momentan saisonal niedrig sind, hieß es. Das Geschäft sei stark von der Gesamtkonjunktur abhängig, die sich allmählich verbessere. Außerdem verfüge der Einzelhändler über genügend liquide Mittel um es - trotz Rezession - bis mindestens kommendes Jahr zu schaffen.

Der Medienkonzern CBS avancierte 5,6 Prozent auf 7,38 Dollar. Dazu trugen positive Analysteneinschätzungen bei. Die UBS hob das Papier gleich von „Verkaufen“ auf „Kaufen“ und katapultierte das Kursziel von 3,80 Dollar auf 9,00 Dollar. Rückenwind gibt es auch von Barclays. Die Briten glauben, dass der Wert des CBS Network plus TV- und Radio-Stationen einen höheren Aktienkurs rechtfertigen. CBS profitiere stark davon, dass sich das Anzeigengeschäft bei einer Konjunkturerholugn wieder stabilisiert.


Burger King avancierte 1,97 Prozent auf 16,56 Dollar. Damit trotzte die Hamburger-Kette der Citigroup, die das Konsumpapier von „Kaufen“ auf „Halten“ degradierte mit Kursziel 18 Dollar. Die Bank glaubt, dass die Umsätze der Hamburger-Gruppe schrumpfen, jedenfalls, wenn man Neueröffnungen ausklammert.




Nasdaq: Sparsame Texaner


Apple avancierte 0,6 Prozent auf 135,81 Dollar. Seit Jahresanfang kletterte das Papier 59 Prozent.
Der Smartphone-Rivale Research in Motion hatte gestern eine Rallye hingelegt, heute musste der Hersteller des Smartphones BlackBerry das Gros der gestrigen Gewinne wieder hergeben und verlor 2,1 Prozent auf 78,64 Dollar.
Palm kletterte dagegen 6,5 Prozent auf 12,20 Dollar. Dort beflügelt der herannahende Start des neuen Smartphones Pre.


Der Philadelphia Semiconductor Sector Index, der 19 Halbleiter-Titel erfasst, gewann 1 Prozent auf 271 Punkte.

Dell avancierte 0,8 Prozent auf 11,57 Dollar. Die bereits gestern Abend präsentierten Quartalszahlen der Nr. 2 auf dem PC-Markt wurden anscheinend positiv aufgenommen. Die Umsätze fielen gegenüber Vorjahr 23,2 Prozent - und damit mehr als erwartet. Dank kräftiger Kostensenkungen konnten die Texaner aber die Gewinnschätzung der Wall Street um einen Cent schlagen. Die Credit Suisse bekräftigte ihr Urteil „Outperform“ und verbesserte das Kursziel von 13 Dollar auf 14 Dollar.


Microsoft gewann 2,2 Prozent auf 20,89 Dollar.

Oracle stieg 2 Prozent auf 19,59 Dollar. Der Broker Broadpoint.Amtech startete den SAP-Rivalen mit „Kaufen“ und Kursziel 23 Dollar gestartet. Das Geschäft laufe makellos, hieß es dort. Außerdem regte der Broker an, der Softwarekonzern solle das Hardware-Geschäft von Sun Microsystems abspalten und lediglich den Softwarebereich behalten. Oracle ist gerade dabei, den Server-King zu übernehmen. Der Verkauf könne 3 bis 4 Milliarden Dollar in die Kassen spülen und erspare die hohen Integrationskosten, hieß es.



Internet: Fundamentale Stärke


Amazon.com avancierte 0,4 Prozent auf 77,99 Dollar. Die Aktien litten etwas unter einem Bericht des Wall Street Journals. Dort wurde auf Spekulationen verwiesen, dass der E-Commerce-Pionier zumindest einen Teil der Bücher, die er zum Dowload für seinen E-Book-Reader Kindle anbietet, derzeit noch unter den Kosten verkauft, also mit Verlust. Die meisten der rund 290.000 dafür verfügbaren Titel würden für 9,99 Dollar oder weniger angeboten. Das sei vermutlich weniger als Amazon den Verlagen dafür bezahlt, mutmaßte das Blatt.
Zitiert wurde Amazon-CEO Jeff Bezos, der bei der gestrigen HV erklärte, das digitale Buchgeschäft sei noch im Investment-Modus, also noch nicht die große Kassen-Generierungs-Maschine. Die Verluste würden größer, wenn der E-Book-Markt wächst, vermutet das Wall Street Journal.

Der Rivale Ebay gewann 1,6 Prozent auf 17,62 Dollar.

Die Online-Videothek Netflix stieg 2,3 Prozent auf 39,42 Dollar.


Google verteuerte 1,7 Prozent auf 417,23 Dollar. Die von Microsoft vorgestellte neue Suchmaschine Bing hinterlässt bislang keine sichtbaren negativen Spuren in der Kursentwicklung des Marktführers.

Yahoo kletterte 4,97 Prozent auf 15,84 Dollar. Die lange Zeit verschmähten Aktien des Portalbetreibers standen heute wieder im Rampenlicht. Dazu trug JP Morgan bei. „Bei Yahoo gibt es Anzeichen von fundamentaler Stärke“, schrieb JP Morgan-Analyst Imran Khan heute in einer Research-Notiz. Es gäbe daher Gründe wieder in den Portalbetreiber zu investieren, ganz unabhängig von einem möglichen Search-Deal mit Microsoft.
Khan verwies darauf, dass bei Yahoo die Verkäufe von Werbeanzeigen im ersten Quartal nicht so stark zurückgingen wie beim Rivalen Microsoft. Außerdem setzten die Kalifornier, die ihnen zufließenden Such-Daten besser ein, um damit Werbung zu akquirieren. Khan berichtete außerdem, dass die Zeit, die die Internet-Surfer auf den Yahoo-Seiten verbringen, im ersten Quartal um zehn Prozent zunahm, während dagegen die im Internet insgesamt verbrachte Zeit nur um 2 Prozent wuchs. Gleichzeitig lobte der Analyst die Kostensenkungen in den vergangenen Quartalen.

Baidu, Chinas Marktführer bei den Suchmaschinen, verteuerte 2,2 Prozent auf 263,95 Dollar. Das sind plus 102 Prozent seit Jahresanfang.





Öl: Neue Asien-Fantasie regt Spekulation an

Die Signale, dass Asiens Wirtschaft wieder anspringt und die Weltwirtschaft aus dem Tal zieht, regen auch die Ölspekulation an. An der New York Mercantile Exchange kletterte der Juli-Kontrakt für Crude um 1,13 Dollar und schloss auf 66,21 Dollar.


Gold: Aufwärtstrend setzt sich fort

Der Gold-Kontrakt für Juni stieg heute an der New York Mercantile Exchange um 17,50 Dollar und schloss auf 979,00 Dollar. Nachbörslich pendelte das Edelmetall bei 978,65 Dollar.









Ausblick: Wie geht es den Verbrauchern?

Montag:
14:30 Uhr Einkommen und Ausgaben der privaten Haushalten (Konsum!) vom April
16:00 Uhr ISM Einkaufsmanagerindex (Industrieentwicklung der USA) vom Mai plus Bauausgaben vom April

Dienstag:
16:00 Uhr anstehende Eigenheimverkäufe vom April

Mittwoch:
16:00 Uhr ISM Einkaufsmanagerindex Dienstleistungen vom Mai plus Auftragseingänge der Industrie vom April, 16:35 Uhr Ölvorräte der Vorwoche


Donnerstag:
14:30 Uhr Arbeitslosenmeldungen der Vorwoche plus Produktivität in Q1 (Revision)

Freitag:
14:30 Uhr Arbeitsmarktbericht vom Mai (Jobverluste, Arbeitslosenquote).
 
aus der Diskussion: Tages-Trading-Chancen am Montag 01.06.2009
Autor (Datum des Eintrages): AndreasBernstein  (01.06.09 00:07:41)
Beitrag: 15 von 598 (ID:37292453)
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