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"Die SPD wird keine Volkspartei mehr werden"


Der Politikwissenschaftler Franz Walter ist einer der renommiertesten Parteienforscher. Im Interview mit WELT ONLINE prophezeit er der SPD eine düstere Zukunft: Große Teile ihrer früheren Kernwählerschicht hätten sich endültig abgewandt. Jetzt spiele die Partei alte Wahlkämpfe nach – ohne Erfolg.


WELT ONLINE: Haben Sie einen SPD-Chef schon so verzweifelt gesehen?

Franz Walter: Das Schlimme ist, wir haben in den letzten zehn Jahren gleich ganz viele ratlose und aufgelöste SPD-Chefs gesehen. Und immer dachte man: Schlimmer kann es nicht kommen. Ein Irrtum.

WELT ONLINE: Die SPD räumt ein, ein Mobilisierungsproblem zu haben. Heißt das, dass ihr Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier nicht mobilisieren kann?

Walter: Die Formel vom „Mobilisierungsproblem“ ist das Sedativ der SPD seit zehn Jahren. Die SPD aber hat ein Abkopplungsproblem. Große Teile ihrer früheren Kernschichten machen nicht mehr mit, haben sich von Politik und Partei gänzlich gelöst und abgewandt. Die lassen sich durch ein paar scheinradikale Plakate nicht mehr in Bewegung setzen.

WELT ONLINE: Beim letzten Europawahlkampf ist die SPD für Hartz IV abgestraft worden, jetzt offenbar für ihren Linkskurs mit dem Ruf nach grenzenlosen Staatshilfen. Auf welche Themen im Bundestagswahlkampf kann sie jetzt noch setzen?

Walter: Die SPD spielt ja die Wahlkämpfe 2002 und 2005 nach. Damals hat sie in den Schlussphasen erfolgreich polarisiert. Sie wird es auch diesmal versuchen. Nur kann sie dann nicht erklären, warum sie mit der Partei der „Finanzhaie“ nach dem Wahltermin Koalitionsringe tauschen will. Das ist ihr wirkliches Mobilisierungproblem.

WELT ONLINE: Wird die Partei jetzt noch stärker polarisieren und die Union schärfer attackieren?

Walter: Das ist voreilig gedeutet. Bei Europawahlen machen in Deutschland fast nur noch die bürgerlichen Schichten mit, denen die Staatsinterventionen mittlerweile zu weit gehen. Die Anhänger von Staatshilfen sind am Sonntag in großer Zahl zu Hause geblieben, weil sie vom Europa der Eliten nichts erwarten. Der eine oder andere darunter aber wird im September dann doch den Weg in die Wahllokale finden.

WELT ONLINE: Ist die SPD noch eine Volkspartei – oder repräsentieren die 20 Prozent, die ihr am Sonntag bei der Europawahl ihre Stimme gaben, nicht eigentlich die Kernwählerschaft der Sozialdemokratie?

Walter: Nein, eine Volkspartei ist die SPD schon seit Jahren nicht mehr. Übrigens: Sie wird es auch nicht mehr werden.
 
aus der Diskussion: Ratlose SPD beschimpft Wähler als "Irrende" - und hofft auf schwerer werdende Wirtschaftskrise
Autor (Datum des Eintrages): Sexus  (09.06.09 13:51:56)
Beitrag: 36 von 82 (ID:37352481)
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