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Hitzetod für den Krebs

Medizin: Bislang ruht die Krebstherapie vor allem auf drei Säulen - operieren, bestrahlen und Chemotherapie. Demnächst dürfte als vierte Option die "Thermotherapie mit Nanopartikeln" hinzukommen. Bei der Behandlung wird feinster Eisenoxidstaub in bösartige Geschwülste injiziert und in einem Wechselmagnetfeld erhitzt. Die Tumorzellen platzen oder werden stark geschwächt. VDI nachrichten, Berlin, 31. 7. 09, sta

Sommer in Berlin. Am Plötzensee tobt das Leben. Badegäste genießen die Sonne. Nur einen Kilometer entfernt liegt das graue Strahlenbettenhaus der Charité. Ein Kilometer, der Welten trennt: Im grauen 60er Jahre-Riegel der Klinik greift der Tod nach viel zu jungem Leben. Dutzende Patienten kämpfen in dem schmucklosen Bau gegen den Krebs.

Innen weiße Flure. Gedämpfte Stimmen. Mattes Licht. Zwei Sanitäter nehmen vor einem Behandlungsraum eine leicht benommene Mittvierzigerin in Empfang. Sie hat eine Stunde im Magnetfeldapplikator der MagForce Nanotechnologies AG verbracht und war dabei wohl eingeschlafen.

Die Frau ist todgeweiht. Das ist nach dem Vorgespräch mit Andreas Jordan, Gründer des Berliner Start-ups, klar. "Wir dürfen in unseren klinischen Studien aus ethischen Gründen nur austherapierte Patienten behandeln", hatte er erklärt. Patienten also, die weder Operation noch Bestrahlung und Chemotherapie heilen konnten. Jordan arbeitet seit fast 20 Jahren an einem Therapieansatz, der ihnen beim Kampf gegen den Krebs helfen soll. Er will Krebsgeschwülste von innen mit Nanopartikeln bekämpfen. Am weitesten ist sein Unternehmen bei der Therapie so genannter Glioblastome. Das sind bösartige, aggressiv wachsende Hirngeschwüre, die laut WHO rund 97 % der Erkrankten in den ersten fünf Jahren töten. Der Berliner Forscher hofft, diese Quote künftig zu senken. Wunder kann und will er aber nicht versprechen. "Unser Ziel ist es, die Lebenserwartung der Patienten signifikant zu erhöhen." Es gehe darum, Todgeweihten ein paar Monate mehr Lebenszeit zu verschaffen. Seine Therapie ist vorerst nur zur Ergänzung anderer Krebsbehandlungen gedacht.

Obwohl MagForce statt eines Wirkstoffes einen komplett neuen Behandlungsweg entwickelt, ist die Idee schnell erklärt. Patienten bekommen 5 ml bis 7 ml einer flüssigen Substanz direkt in den Tumor gespritzt, in der ungefähr 100 Mrd. supermagnetische Nanopartikel gelöst sind. Die behandelnden Ärzte können die Injektion an einer eigens vom Start-up entwickelten 3D-Software planen und daran auch die gewünschten Injektionen setzen. Dann bekommen die Patienten über drei Wochen verteilt ein halbes Dutzend einstündige Behandlungen in dem Magnetfeldapplikator, den der Gründer nun in dem Behandlungsraum vorführt.

"Das Gerät erzeugt ein niederfrequentes Wechselmagnetfeld, das seine Polarität pro Sekunde 100 000 mal wechselt und so die injizierten Partikel in Schwingung versetzt", erklärt er. In der Geschwulst wird es dadurch bis zu 70 °C heiß, was vielen der bösartigen Zellen sofort den Garaus macht. Der Tumor wird quasi von innen gekocht.

Weil die Partikel sich zwar im Tumor verteilen, aber an den Injektionspunkten konzentrierter bleiben, wird es nur punktuell heiß. "Die Hitze strahlt aus und soll möglichst das gesamte Tumorgewebe auf über 41 °C erwärmen", erklärt Jordan. Dann nämlich nähmen Reparaturenzyme der Krebszellen Schaden. Im Ergebnis werde der Tumor sehr viel anfälliger für begleitende Strahlen- oder Chemotherapien. Das Ganze funktioniere bei kleinen und großen Krebsgeschwülsten. Größer als 6 cm dürfen sie allerdings nicht sein. Der ohnehin angegriffene Körper hätte sonst Probleme, das tote Gewebe abzutragen.

Für Patienten ist die Magnetbehandlung schmerzfrei. Amalgamfüllungen und alle anderen Metalle müssen im Vorfeld raus, weil sie sich im Applikator stark aufheizen würden. Dagegen reagiert der Körper selbst überhaupt nicht auf die 100 kHz-Frequenz. "Manche Patienten berichten von einem Wärmeempfinden, andere spüren gar nichts", berichtet Jens-Thorsten Ollek, der die Behandlungen als Medizinphysiker begleitet.

Zusammen mit der medizinisch-technischen Assistentin Gabriela Figil führt er nun an einem gesunden Freiwilligen vor, wie die Behandlung läuft. Auf einer Trage heben sie ihn auf den Behandlungstisch des raumfüllenden Geräts. Während Ollek sich zur Behandlungskontrolle an einen Computerarbeitsplatz in der Raumecke begibt, schiebt Figil den Patienten mit dem Kopf voran in einen engen Kanal. Innen schaut dieser auf eine beigefarbene Fläche unmittelbar über seinem Gesicht. "Manche schlafen, andere hören Musik oder unterhalten sich mit uns und ihren Begleitern", sagt Figil. Als Studienbegleiterin von MagForce ist sie seit Langem dabei. Sie hat viele Patienten sterben sehen. Doch einige leben noch, auch Jahre nach der Behandlung. "Wenn der Tumor noch nicht gestreut hat, schlägt die Therapie teils sehr gut an", so Jordan. Doch in klinischen Studien sind solche Patienten noch selten - aus den bereits beschriebenen ethischen Gründen.

Ganz anders liegt die Sache bei Tierversuchen mit Ratten und Mäusen, die Regina Scholz künftig im gerade neu bezogenen Firmensitz im Charlottenburger Berlin-Biotechpark durchführen wird. Sie hat in den letzten Jahren Hunderten Tieren Tumorzellen direkt ins Hirn gepflanzt. "Sie beginnen danach unmittelbar zu wuchern, weil die Tiere aufgrund eines angezüchteten Immundefekts keinerlei Abwehr haben", berichtet sie und holt eine seltsame Metallapparatur aus einer Wandvitrine. Darin spanne sie die Ratten ein, öffne per Skalpell ihre Kopfhaut und durchbohre danach mit einem Goldschmiedebohrer ihre Schädeldecke. Es erfordere viel Fingerspitzengefühl, sich zur gewünschten Hirnregion der Nager vorzuarbeiten und ihnen später die Nanomagnetchen in die Tumore zu spritzen. Wie die menschlichen Patienten bekommen sie eine Temperatursonde in den Kopf, ehe sie im kleinen, eigens konstruierten Laborapplikator behandelt werden. "In der Regel sterben unsere Ratten dann nicht am Krebs, sondern an Altersschwäche", sagt die Biologin, die zahlreiche Patente auf das von ihr über zwei Jahrzehnte entwickelte Verfahren hält.

"Insgesamt halten wir 14 internationale Patentfamilien", so Jordan. Es komme häufig zu Patentkonflikten. Denn weltweit versuchen sich Wissenschaftler an der Nanowärmetherapie. Der Gründer ist sich aber sicher, dass sein Unternehmen das Ziel als erstes erreichen wird. Ende des Jahres rechnet er mit der Zulassung der Therapie für Glioblastome. "Es war ein Marathon", sagt er, "aber jetzt ist das Zielband bereits in Sicht."

Therapie ist vorerst nur Ergänzung anderer Behandlungen

Als er auf die Anfänge seiner Forschung zurückblickt und den Weg bis heute nachvollzieht, betont er wiederholt die Unterstützung aus der Berliner Forschungslandschaft. Mit Physikern der TU Berlin und Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts habe er in den ersten Jahren nächtelang diskutiert, um die Phänomene der magnetischen Nanopartikel zu ergründen, sie theoretisch zu erklären und daraus eine Magnetfrequenz abzuleiten, die dem Körper keinen Schaden zufügt. Ein weiterer Meilenstein sei die Beschichtung der Eisenoxid-Nanopartikel gewesen. "Onkologen hatten uns entschieden von Direktinjektionen in Tumoren abgeraten", erinnert er sich. Die Flüssigkeit werde wegen des Innendrucks und der Diffusion kaum im Geschwür bleiben. Doch eine Hülle aus Aminosilanen, die das Institut für Neue Materialien Saarbrücken beisteuerte, widerlegte die Kritiker. "Dank der Schicht verklumpen die Partikel im Tumor und können nicht mehr heraus", so der Forscher. Zusätzlich zeigte es sich, dass Tumorzellen Appetit auf Aminosilane haben und sie sich samt Eisenoxidkernen einverleiben. Das ist nicht nur für die Hitzebehandlung ideal.

Die Chemikerin Monika Fischer arbeitet mit ihrem Biosynthese-Team bereits daran, den Nanohüllen DNA-Stränge als Wirkstofftaxis aufzupflanzen. "Die Doppelhelix der DNA teilt sich bei erhöhten Temperaturen und könnte ihre Fracht so direkt in den Tumorzellen entladen", erklärt sie.

Zukunftsmusik. Aktuell sind die 30 MagForce-Mitarbeiter mit dem Umzug nach Charlottenburg beschäftigt. Sie kalibrieren die Laborgeräte und füllen den Inhalt Hunderter Umzugskisten in leere Regale. "Wir konnten mit diesem Schritt nicht warten, bis nächstes Jahr die Produktion losgeht", stellt Jordan klar. Auf drei Etagen hat seine Firma nun die Kapazitäten, um monatlich bis zu 2 l ihrer Nanoflüssigkeit herzustellen. Das würde für 400 Krebspatienten reichen - und deren Leben um wichtige Stunden, Monate und vielleicht sogar Jahre verlängern.

Die minimalinvasive Nano-Krebs-Therapie bietet sich nicht nur für Hirntumore an. Auch bei Speiseröhren- und Prostata-Krebs sind die Versuche vielversprechend. Gerade bei letzterem treten Nebenwirkungen wie Impotenz und Inkontinenz kaum auf. Weitere geplante Anwendungen: Brust-, Leber-, Gebärmutterhalskrebs.

Bei den Partikeln handelt es sich um ein Medizinprodukt, nicht um ein Arzneimittel, was dem Berliner Start-up eine Stufe der klinischen Studien erspart.

Tierversuche und post-mortale Untersuchungen an verstorbenen Probanden zeigen, dass über 70 % der Partikel bleiben, wo sie eingebracht wurden. Das Gewebe kapsele sie an Ort und Stelle ein. Gelangen sie in die Blutbahn, erkennen Leber und Milz sie als Fremdkörper und fangen sie ab – so Andreas Jordan.

Wenn Injektionen in den Tumor trotz der 3D-Software nicht perfekt gelingen – vor der Behandlung wird das am Computertomographen überprüft – wird die Behandlung bei niedrigeren Temperaturen durchgeführt, damit kein gesundes Gewebe geschädigt wird. Gerade bei Prostatakrebs sind ohnehin „kältere“ Behandlungen gefragt. pt
 
aus der Diskussion: MAGFORCE - da geht doch was?!
Autor (Datum des Eintrages): buy-out  (31.07.09 11:23:17)
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