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Schalke - Leberwürste 0:1
von Horst von Buttlar
Der Westen darf Muslime ja nicht provozieren, heißt es immer. Die Kontroverse um das Vereinslied von Schalke 04 zeigt: Sie erledigen das selbst.


Uff, werden nun viele seufzen, das ist ja gerade noch mal gut gegangen. Ein Islamexperte hat verkündet, dass die Schalker Fans mit ihrem Vereinslied, das sie seit 1963 mit einer gewissen dritten Strophe singen, nicht den Propheten beleidigen. Das heißt mit etwas Glück: keine Fatwa gegen Schalke zum Bundesligastart. Für alle, die sich noch nicht schuldig gefühlt haben, hier im Schnelldurchlauf die Fakten. Das Schalker Vereinslied beinhaltet folgende Zeilen: "Mohammed war ein Prophet/der vom Fußballspielen nichts versteht/Doch aus all der schönen Farbenpracht/hat er sich das Blau und Weiße ausgedacht." Diese seit mehreren Dekaden in Fankurven gegrölten Verse entdeckten im Sommerloch einige türkische Zeitungen und berichteten über die Schmähung. Dann folgte, was die Welt seit dem Karikaturenstreit in regelmäßigen Abständen ertragen muss: ein Sturm der Empörung. Schalke wurde mit Hassmails und Protestbriefen bombardiert. Islamische Foren und Blogs wüteten, einige muslimische Funktionäre schürten (und andere, das muss gesagt werden, beschwichtigten). Schalke schluckte.

Islamisches Okay mit Augenzwinkern
Sollte der Verein die Strophe abschaffen, weil sie den Propheten und damit Muslime beleidige? Der Klub gab schließlich ein Gutachten bei Bülent Ucar, Islamwissenschaftler an der Universität Osnabrück in Auftrag, der auf immerhin nur sechs Seiten dem Lied das islamische Okay gibt und zu dem augenzwinkernden Schluss kommt: "Auch der Prophet war nach einhelliger Überzeugung aller Muslime nur ein Mensch, der nicht in die Zukunft gucken und damit ein Fußballexperte sein konnte. Er hatte schließlich Wichtigeres zu tun."

Uff, werden also viele seufzen, das ist ja gerade noch mal gut gegangen. Nicht auszudenken, wenn wieder ein Flächenbrand entstanden wäre. In diesem "Uff" liegt das Problem.

Für die Empörungscommunity war es wieder ein kleiner Sieg. Denn in unseren Gehirnsynapsen ist wieder eine Schranke der Selbstzensur mehr heruntergegangen. Allein das Gutachten war ein Fehler, ein kleiner Kotau, denn damit hatten die Hassbriefschreiber und Protestler ihr Minimalziel erreicht: In unseren Köpfen begann zu nagen, ob an der Empörung nicht doch etwas dran sei. Der Expertenauftrag signalisiert: Wir nehmen diesen Unsinn ernst, ja, er macht uns Angst. Wer immer künftig etwas schreibt, singt oder sagt, wird noch gründlicher darüber nachdenken, ob er nicht irgendwo auf dem Globus einen Muslim kränkt. Die Konsequenz hat der Publizist Henryk M. Broder einmal so beschrieben: "Anders als in einem Physiklabor gibt es in der Gesellschaft kein Vakuum. Wenn eine Seite zurückweicht, rückt die andere vor und besetzt den frei gewordenen Raum."

Und doch war der Schalke-Streit auch erhellend, weil die Armee der Empörten endgültig entlarvt ist. Wir wissen nun: Es spielt keine Rolle, ob "der Westen" die Muslime provoziert oder nicht. Selbst wenn wir nichts tun, werden jene, die sich empören wollen, einen Anlass finden. Was einige Hundert Muslime im Fall Schalke gemacht haben, ist eine Spielart der Selbstbefriedigung: die Selbsterregung. Da der Westen gerade nix tat, niemanden kränkte oder karikierte, der Papst nichts zitierte und Berliner Opern keine beleidigenden Stücke aufführten, nimmt man sich halt irgendetwas - in diesem Fall eine 46 Jahre alte Strophe eines Fußballlieds. Daran wird sich dann kräftig entzündet und erregt und zu einer Gesamtempörung gesteigert, die beim Einknicken der Gegenseite zur Katharsis führt, die von all jenen Ungerechtigkeiten reinigt, die der Westen jenen Muslimen angeblich zugefügt hat.

Es muss also keinen neuen Stoff geben, etwa ein Theo van Gogh einen Film drehen. Wenn "der Westen" aber keinen Stoff zu besorgen braucht, kann er im Gegenzug auch nicht vermeiden, den Muslimen Stoff und Anlass für Entrüstung zu geben, wie viele Oberbeschwichtiger ja immer meinen. Irgendetwas lässt sich immer finden. Damit entlarvt sich die Empörungsmaschinerie als das, was sie im Grunde immer war: ein inszenierter, gesteuerter, geschürter und kühl kalkulierter Feldzug in unsere Köpfe.

Nun werden manche sagen: Haben nicht gerade beim Schalke-Streit viele Muslime wie die Organisation Milli Görüs beschwichtigt? Ja, das ist lobenswert. Aber ist es nicht selbstverständlich? Andere wiederum wenden ein: War, im Vergleich mit dem Karikaturenstreit oder jenem um die Oper "Idomeneo" die Causa Schalke nicht eher eine kurze Posse? Auch da ist einiges dran, und doch war bemerkenswert, welche Kausalverbindungen auftauchten, die eine Linie geradewegs zum Karikaturenstreit ziehen.

Wir können's nicht lassen
Vor einigen Wochen wurde in einem Dresdner Gerichtssaal die Ägypterin Marwa El-Sherbini von einem Russlanddeutschen mit 18 Messerstichen erstochen. Der furchtbare Mord führte in arabischen Ländern zu den üblichen Protesten und Tod-den-Ungläubigen-Rufen. Die "Zeit" schrieb dazu: "In Zeiten wie diesen liegt in dem Mord von Dresden die Lunte zu einem Weltenbrand." Und stellte erleichtert fest, dass Frank-Walter Steinmeier gerade noch rechtzeitig dem ägyptischen Außenminister kondoliert und der deutsche Botschafter in Kairo eine Woche lang im Fernsehen für Beruhigung gesorgt habe. Was hier gefordert ist, ist Beschwichtigung um jeden Preis. Wer wohlwollend ist, drückt es so aus: Der Klügere gibt nach. Die Verbindung zu Dresden aber wurde bei Schalke gezogen: Gerade jetzt seien doch viele Muslime wegen des Mordes verstört - und nun das! Eine Verhöhnung des Propheten!

Abgesehen davon, dass auch wir verstört sind, wenn in der Türkei Priester gemeuchelt werden oder bärtige, vermummte Männer Amerikaner köpfen, verliert mit solchen Argumentationen der Fall Schalke seine Unschuld. Die Deutung läuft dann so: Karikaturen, "Idomeneo", Papstzitat, Dresden-Mord, Schalke. Der Westen kann es nicht lassen. Bravo! Eine gute Kombination, Schuss und Tor! Und wir wissen ja, wie das beim Fußball ist: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

Horst von Buttlar ist stellvertretender Leiter des Agenda-Ressorts. Er schreibt jeden zweiten Montag an dieser Stelle.




Aus der FTD vom 10.08.2009
© 2009 Financial Times Deutschland
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aus der Diskussion: Neues aus Multikultistan
Autor (Datum des Eintrages): redbulll  (09.08.09 22:24:37)
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