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Aus Cybernetica, 2001/4

Manfred Rheinländer gilt als der Visionär des Informationszeitalters, der den PC, das Internet und das World Wide Web vorausgesehen hat. Geboren am 8. Mai 1941 in Königsberg, studierte er Physik und Philosophie in Bonn und an der Sorbonne, wo er 1968 promovierte. Danach war er bis 1978 bei IBM tätig, wo er Konzepte zur Entwicklung des ersten Personal Computer entwarf. In Bad Schleussheim an der Technischen Fachhochschule übernahm er danach eine Professur für Kybernetik bis 1984 – der Lehrstuhl wurde bald darauf in Technische Informatik umbenannt. Es folgte eine reichhaltige Autorentätigkeit. Darüber hinaus ist er eine gefragter Berater, unter anderem bei Fragen der Rolle des Internets in der modernen Verwaltung. Zu seinem sechzigsten Geburtstag befragt ihn Cybernetica zu der Gesellschaft des Informationszeitalters.

Cybernetica: Internet, Computer und Medien liefern uns eine Fülle an Informationen und Wissen. Sind wir jetzt alle klüger?

Rheinländer: Leider nicht. Denn der entscheidende Schritt zur Nutzung der Daten ist ihre Interpretation. Und die muss weiter der Mensch leisten.

Cybernetica: Aber es stehen ihm doch mehr Informationen zur Verfügung?

Rheinländer: Und genau das ist das Problem. Der Mensch wird zum Flaschenhals bei der Informationsverarbeitung. Die größere Informationsmenge verwirrt ihn eher, als dass sie ihn besser informiert hat. Die großen Entscheidungsträger verlangen von ihren Mitarbeitern immer: „Geben sie mir alle relevanten Informationen auf einer Seite.“ Sie wissen genau, dass sie mehr nicht verarbeiten können.

Cybernetica: Sie schrieben 1991 in „Sinfonie für 3 Microchips“, dass die Menschheit nur eine Chance hat, in der technisch geprägten Welt zu überleben, wenn er so wird, wie seine Maschinen. Halten sie dieses Urteil aufrecht?

Rheinländer: Sie zitieren mich da unglücklich. Wenn die Menschen wirklich die Welt wollen, die sie gerade aufbauen, müssen sie sich ihr anpassen. Aber Menschen wollen doch gar nicht diese Welt. Sehen sie, wir sind heute alle Teil eines weltweiten Netzes. Mein Verhalten wird von Menschen in Boston, in Singapur, in Brüssel gesteuert, so wie ich auch das Leben der Menschen weltweit beeinflusse. Das geschieht über den technischen Fortschritt, über die ökonomischen und politischen Verknüpfung, über Moden, die aus den USA, aber auch, denken sie an Unterhaltungselektronik, aus Fernost nach Europa strömen. Wer kann alle diese Verknüpfungen noch überblicken? Nur die Maschine. Die Menschen wären glücklicher, wenn sie viele dieser Verknüpfungen kappen könnten. Der Traum vieler Menschen, gerade der Manager, ist das Leben auf der Insel.

Cybernetica: Aber das ist wohl keine realistische Zielsetzung?

Rheinländer: Nein, leider nicht. Wir sind Opfer unseres Erfolges. Wenn wir weder Maschinen werden wollen, die an die Informationsströme angepasst sind, noch auf eine einsame Insel auswandern können, haben wir nur noch die Wahl, zumindest die zweitbeste Strategie zu wählen, um in unserer überkomplexen Welt zu bestehen. Und das ist, unsere Fehlerhaftigkeit einzugestehen und nicht auf unsere Urteilsfähigkeit zu vertrauen.

Cybernetica: Aber das wäre doch die Kapitulation vor der modernen Welt?

Rheinländer: Das glaube ich nicht. Aber Menschen neigen dazu, wenn sie über eine schwierige Sache etwas wissen, schlechtere Entscheidungen zu treffen, als wenn sie darüber entweder gar nichts wissen oder alles. Und bei hochkomplexen Fragen, ob nun in der Politik oder im Geschäftsleben oder sagen wir, bei der Aktienanlage, ist es eigentlich unmöglich, alles zu wissen. Denken sie an diese Versuche, in denen Menschen auf der Straße unter Aktien wählen sollten, und der Tatsache, dass diese so bestimmten Depots dann im Schnitt bessere Ergebnisse zeigten als die Depots von Experten. Zur Zeit gibt es sogar einen Affen, der angeblich besser in Aktien anlegen soll als Aktienexperten.

Cybernetica: Aber sie wollen doch nicht ernsthaft Affen regieren lassen?

Rheinländer: Warum eigentlich nicht? Der Grund dafür, dass uninformierte Entscheidungen besser sein können, als Expertenmeinungen, wenn es um hochkomplexe Probleme geht, liegt darin, dass die Experten im Irrtum darüber sind, wie stark sie die Situation kontrollieren. Ihr Wissen verleitet sie dazu, den unbekannten Teil des Problemfeldes für weniger wichtig zu halten. Uninformierte Entscheidungsträger urteilen intuitiv. Sie versuchen gar nicht erst den ohnehin vergeblichen Weg der rationalen Durchdringung des Problems zu beschreiten. So funktioniert übrigens das menschliche Gehirn. Sie bauen nicht etwa einen logischen Entscheidungsbaum auf, sondern sie haben für jede der Facetten des Problems positive und negative Gefühle. Sie ziehen eine Gefühlssumme, und die verhilft ihnen zum Urteil.

Cybernetica: Und das ganze Expertenwissen ist nutzlos?

Rheinländer: Für einfache Entscheidungen ist es unersetzlich. Bei hochkomplexen Problemen eher hinderlich.(...)

;)
 
aus der Diskussion: Als Affen regierten
Autor (Datum des Eintrages): for4zim  (24.06.01 12:14:32)
Beitrag: 3 von 4 (ID:3805674)
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