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:cool:
Ein bemerkenswerter Artikel der "FAZ"


Guido Westerwelle
Lost in Translation

Von Peter Carstens, Berlin

12. Oktober 2009 Guido Westerwelle nimmt den Hintereingang. Tatsächlich? Unglaublich! Jahrelang hat sich der FDP-Politiker das Rampenlicht und die Mikrofone gesucht. In den vergangenen Monaten sang er praktisch auf jedem deutschen Marktplatz sein Freiheitscredo (“Steuern runter - Arbeit rauf“). Und jetzt: Hintereingang.

Es ist Donnerstagmorgen, die große Runde der Koalitionsverhandlungen tagt in der Berliner Landesvertretung von Nordrhein-Westfalen. Der BMW des FDP-Vorsitzenden, der dessen Initialen auf dem Nummernschild trägt (B-GW 2009), rauscht durch die Hiroshimastraße und biegt dann scharf ab auf das Grundstück mit der Nummer 12-16. Hinter ihm schließen sich Stahlgittertore. Westerwelle steigt aus dem Auto und verschwindet im NRW-Pavillon, ohne sich umzudrehen. Eine Kleinigkeit fällt auf: Der FDP-Vorsitzende trägt eine dicke, braune Aktentasche, ein neues Accessoire seines Politikerlebens. Westerwelle als Aktenabarbeiter?

Aus der Opposition in die Koalition: Kanzlerin Merkel (CDU) wird der Westerwelle (FDP) sind künftig ein Team
Jedenfalls verändert sich sein Auftreten in diesen Tagen abermals, er verwandelt sich unter dem enormen Druck der Verhältnisse. Zwei etwas missglückte Pressekonferenzen in der Woche nach der Bundestagswahl haben Irritationen hinterlassen. Zunächst, am Nachwahlmontag, wies der übermüdete FDP-Spitzenkandidat einen britischen Journalisten überenergisch auf Schönheit und Geltungsbreite der deutschen Sprache hin, was er selbst später als „etwas scharfkantig“ entschuldigte. Bei der nächsten Gelegenheit, drei Tage später, wirkte er aufgekratzt (“Ich antworte Ihnen auf Latein, wenn Sie Ihre Frage auf Altgriechisch stellen!“), verweigerte jedoch jede Auskunft zu den Koalitionsverhandlungen. Da trotzdem viele Journalisten immer wieder fragten, musste Westerwelle sehr oft sagen: „Ich sage nichts.“

Beweisen, dass er nicht der „Politclown“ ist

Das widersprach dem Bild des bisherigen Oppositionspolitikers, der jedes Fragepflänzlein mit einem rauschenden Fluss von Antworten begossen hatte. Deshalb entstand der Eindruck, Westerwelle sei die neue Macht innerhalb weniger Tage schon zu Kopf gestiegen, als hätte er noch vor der erwarteten Übernahme des Außenministeriums das Gehabe Joschka Fischers übernommen, das er selbst einmal als „pavianös“ kritisiert hatte. Die Konsequenz aus beiden Veranstaltungen war sein Abtauchen.
Westerwelle schweigt seitdem öffentlich, abgesehen von einem Interview mit der Zeitung „Bild am Sonntag“, in dem er von einem neuen Kapitel deutscher Geschichte sprach, das nun von FDP und Union aufgeschlagen werde. Ansonsten überließ er es seinen Präsidiumskollegen, den Stand der Verhandlungen zu kommentieren und Personalspekulationen zu lenken. Eine angebliche Anweisung Westerwelles, über die Koalitionsverhandlungen keine Hintergrundgespräche mit Journalisten zu führen, wurde von mehreren Mitgliedern der FDP-Führung souverän übergangen. Nur diejenigen, deren politische Zukunft an einem seidenen Faden in der Hand des Vorsitzenden hängt - Brüderle und Pieper etwa - hielten still.
Dennoch lastet ungeheurer Druck auf dem Politiker, der jahrelang auf seine Gelegenheit gewartet hat und nun innerhalb kurzer Zeit den enormen Ansprüchen seiner Wähler und seiner Partei gerecht werden muss. Dabei muss er beweisen, dass er nicht der „Politclown“ ist, den manche immer noch in ihm vermuten. All die Bilder und Töne seiner langen politischen Vergangenheit werden in diesen Tagen wieder gesendet: Guido Westerwelle als der Trompeter der Jungen Liberalen mit Harry-Potter-Brille, Westerwelle im Big-Brother-Container, das Guido-Mobil, seine komische Selbstdeklaration: „Hier steht die Freiheitsstatue dieser Republik.“

Nach seinem tiefem Fall wieder ganz oben

Westerwelle, der sich im Wahlkampf täglich auf seinen rheinischen Frohsinn berief, kann sich dagegen nicht wehren. Selten ist ein politisches Leben in Deutschland öffentlich so seziert worden. Selten hat einer selbst so viel dazugetan, indem er sich diesem Genre in stolzer Freizügigkeit darbot, wie Künstler-Fotos illustrieren, die ihn als Träumer im weißen Anzug zeigen, hineingeschmolzen in eine venezianische Gondel. Nun häufen sich die Untersuchungen von Hobbypsychologen in Funk und Presse, die sich in seine Jugend hineinwühlen. Die Scheidung der Eltern, Pubertätspickel und die lange versteckte Homosexualität werden zu einem Sorgenbrei verrührt, der mit der heuchlerisch-bangen Frage endet: Kann aus diesem vorlauten, ungeliebten Jungen ein Außenminister werden? Mit dieser Frage gehen Ratschläge wie der einher, Westerwelle solle jetzt etwas Ernsthaftes tun, zum Beispiel ein Superministerium aus Wirtschaft und Finanzen übernehmen. Das Auswärtige Amt sei doch mehr Tänzelei auf rotem Teppich, eine Herumreiserei im Ungefähren. Wenn er schon einen politischen Neuanfang fordere, solle er doch gefälligst auch dabei sein und nicht zwischen Kuala Lumpur und Toronto unterwegs.

Eigentlich ist Westerwelle nun ganz oben angekommen. Zurückgezogen hatte er sich zuletzt, als er während der Möllemann-Affäre ganz unten war. Damals trat er erst als Zauderer auf und dann, als die Sache die FDP zu zerreißen drohte, floh er nicht nur aus der Öffentlichkeit, sondern auch aus der Parteiarbeit. Monatelang war er nach dem September 2002 kaum ansprechbar. Erst danach, energisch ermahnt von den Ehrenvorsitzenden, raffte er sich wieder auf. Solche Eindrücke aus der Vergangenheit nähren die sogar wohlmeinende Sorge, ob Guido Westerwelle den künftigen Belastungen physisch und psychisch gewachsen sei. Und was könne er für die FDP im Auswärtigen Amt eigentlich gewinnen, neben einer Kanzlerin, die das außenpolitische Feld seit vier Jahren beherrscht?

Diese Überlegungen wollte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Pinkwart beenden, als er vergangene Woche sagte, es gebe keine personellen Vorfestlegungen außer zweien: Angela Merkel werde Bundeskanzlerin, Guido Westerwelle Vizekanzler und Außenminister. In der FDP-Zentrale wurde diese Feststellung nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert. Am Donnerstag verließ Westerwelle die Koalitionsrunde wieder, ohne seine Auffassungen zum Stand der Dinge dargelegt zu haben. Abends saß er blass und still neben der Bundeskanzlerin bei einer Feier zum 60. Geburtstag der Bundespressekonferenz.

Im Verlauf der vierzehn Tage seit der Bundestagswahl ist Guido Westerwelle öffentlich fast unsichtbar geworden. Doch er arbeitet wie im Fieber, seine Mitarbeiter verabschieden sich reihum in Erschöpfungsgrippen aus dem Versuch, mit ihm Schritt zu halten. Am Ende der nun beginnenden Woche werden die Arbeitsgruppen von Union und FDP die ungelösten Streitpunkte ihren Parteivorsitzenden zur Entscheidung vorlegen, Frau Merkel, Seehofer und ihm. Bald müssen auch die Ressort- und Personalfragen beantwortet werden. Dann schlägt Westerwelles Stunde, dann muss er öffentlich um das Wahlprogramm seiner Partei kämpfen und auch um seine Statur in der künftigen Koalition. Hintertüren gibt es dann keine mehr. Danach kann er beanspruchen, dass man ihn endlich an seiner Gegenwart misst.

Text: F.A.Z.


Sauber!
 
aus der Diskussion: * GUIDO WESTERWELLE *
Autor (Datum des Eintrages): Heidi_Klum  (12.10.09 15:06:11)
Beitrag: 70 von 2,773 (ID:38159449)
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