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Zum Thema FDP und die Privatisierung des deutschen Gesundheitssystems ein interessanter Bericht aus der Schweiz.

Warum eine Einheitskasse ökonomisch sinnvoll ist

Freie Märkte funktionieren bei Krankenversicherungen nicht. Die alte Erkenntnis der Ökonomen bringt jetzt selbst Bürgerliche in der Schweiz dazu, ein linkes Postulat zu unterstützen.
Wettbewerb unter Krankenversicherer funktioniert nicht: Diese Ansicht teilt ex-FDP-Präsident Franz Steinegger mit den Wirtschaftsnobelpreisträgern Joseph Stiglitz und Kenneth Arrow

Wettbewerb unter Krankenversicherer funktioniert nicht: Diese Ansicht teilt ex-FDP-Präsident Franz Steinegger mit den Wirtschaftsnobelpreisträgern Joseph Stiglitz und Kenneth Arrow

Die Idee einer Einheitskasse bei der Krankenversicherung scheint sich nicht totkriegen zu lassen. Jetzt zeigen sich sogar Bürgerliche von ihr angetan, wie gestern die Zeitung «Sonntag» schrieb und heute der einstige FDP-Präsident Franz Steinegger in einem Interview des «Tages Anzeigers» bekennt. Als erstaunlich gilt das deshalb, weil eine Einheitskasse bisher als linke Idee lanciert wurde und weil sie offensichtlich einer Lösung über den freien Markt eine Abfuhr erteilt.

Dabei verstellen hier ideologische Rücksichtnahmen nur den Blick für die Realität. Märkte funktionieren in vielen Bereichen hervorragend, nicht aber im Bereich der Krankenversicherungen. In der Zunft der Ökonomen ist diese Erkenntnis bereits uralt. Als erster hat sie der nachmalige Nobelpreisträger Kenneth Arrow in einem Artikel von 1963 begründet. Arrow ist unter den Wirtschaftswissenschafter vor allem dafür berühmt, dass er zusammen mit dem Franzosen Gerard Debreu schon 1954 die genauen Bedingungen für einen perfekten Wettbewerb beschrieben hat. Auch der dank seiner populären Bücher bekannt gewordene Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hat zusammen mit Michael Rothschild 1976 einen Artikel verfasst, der in der Ökonomenzunft noch immer Referenzcharakter hat. Die Erkenntnis auch hier: Freie Märkte im Bereich der Krankenversicherungen führen zu unbefriedigenden Ergebnissen.

Warum Märkte bei Krankenversicherungen nicht funktionieren

Die wichtigsten Gründe, die die Ökonomen für ihre Schlussfolgerung anführen, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

* Potenziell Kranke werden nicht genügend selbst vorsorgen, weil sie nicht wissen, was an Krankheiten auf sie zukommt und weil sie sich die Kosten für eine schwere Krankheit kaum leisten können. Da in einer entwickelten, zivilisierten Gesellschaft Leute in der Not medizinische Hilfe erhalten, macht es Sinn, sie zu einem Beitrag an die Gesundheitskosten zu zwingen. Einen privaten Anreiz dazu hat sonst niemand.

* Auch Krankenversicherungen wissen nicht, wer unter ihren Kunden ein höheres Risiko einer Erkrankung aufweist. Sie lösen das über allgemeine Kriterien wie das Alter oder das Geschlecht. Sie versuchen zusätzlich – wie bei jedem Markt – für die unterschiedlichen Risiken auch entsprechende Preise in Form von Prämien zu verlangen. Doch sie können die Preise nur im voraus festlegen. Eine Versicherung mit durchschnittlich «schlechten Risiken» wird hohe Prämien verlangen müssen. Steht sie allerdings im Wettbewerb mit anderen Versicherungen, werden die verbleibenden «guten Risiken» zur Konkurrenz abwandern. Dem Anbieter mit durchschnittlich hohen Prämien verbleiben dann nur noch die ganz schlechten Risiken, für die die Prämien am Ende sogar zu tief sind.

* Das führt dazu, dass Krankenversicherungen vor allem eins versuchen: «Schlechte Risiken» möglichst nicht unter ihrer Kundschaft zu haben. Das ermöglicht ihnen, tiefere Prämien zu verlangen. Das hat allerdings zwei perverse Effekte. Die Versicherung versucht erstens ihrem eigentlichen Zweck auszuweichen, nämlich Menschen im Krankheitsfall beizustehen und sie wird viel Geld dafür aufwenden, um möglichst Gesunde anzuziehen. Die Ausgaben aller Kassen zusammen zu diesem Zweck hat daher der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman als «sozial destruktive Aktivitäten» bezeichnet.

Ein freier Markt im Bereich der Krankenversicherungen existiert weltweit nirgendwo. Weitgehend marktorientiert ist das Gesundheitswesen nach wie vor in den USA. Gleichzeitig hat aber dieses Land auch die höchsten Gesundheitskosten pro Kopf.

Jagd nach guten Risiken als einziges Unterscheidungsmerkmal

Mit dem System in der Grundversicherung hat die Schweiz schon einige Probleme gelöst: Es herrscht Versicherungszwang und die Versicherungen dürfen keine Kunden ablehnen. Das Angebot ist hier zudem für alle dasselbe. Konkurrenzieren können sich die Versicherungen daher in diesem Bereich nur über die Kosten. In der Praxis läuft das auf die Jagt nach den besten Risiken hinaus. Dieses einzige Unterscheidungsmerkmal führt aber bloss zu Marketingkosten, denen kein gesellschaftlicher Nutzen gegenübersteht.

Die Gefahr einer Einheitskasse ist ihre grosse Macht. Das erfordert strikte Regeln und ein gutes Kontroll- und Führungssystem. Einheitsversicherungen in anderen Bereichen, wie bei der AHV, der IV oder der Suva zeigen, dass solche Lösungen funktionieren. Das Monopol einer Einheitsversicherung würde auch durch den verbleibenden Wettbewerb im überobligatorischen Bereich eingeschränkt. Wer Leistungen wünscht, die über die medizinische Grundversorgung hinausgehen, kann diese nach wie vor bei privaten Anbietern versichern.
http://bazonline.ch/schweiz/standard/Warum-eine-Einheitskass…
 
aus der Diskussion: Durch die FDP wird der Zahnersatz................
Autor (Datum des Eintrages): bares@nobles  (03.11.09 16:26:40)
Beitrag: 13 von 43 (ID:38311083)
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