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@winetrader
Es wird noch viel passieren.....



Strippenzieher
Die Amerikaner verändern den deutschen Kabelmarkt


Die im Internet niedergelegte "Company Mission" der Firma Liberty besteht
aus einem einzigen Satz: Man wolle mit dem Besitz so arbeiten, dass der
höchstmögliche Aktienwert erzielt wird :):):):). Ob eine Firma nun mit Melonen,
Medikamenten oder - wie in diesem Fall - mit Medien handelt, ist bei einer
solchen Philosophie zweitrangig: Hauptsache, der Shareholder Value stimmt.
Dazu soll nun der größte Teil des deutschen Breitbandkabelnetzes beitragen:
Zusammen mit dem Investmentunternehmen Klesch will die amerikanische Liberty
Media die Herrschaft über die Kabelnetze in 13 deutschen Bundesländern
übernehmen. Die Deutsche Telekom zieht sich - wie auch in den anderen
Regionen - auf eine offenbar recht stille Minderheitenrolle zurück (epd
15/01).

Sollte das Geschäft mit Klesch/Liberty über die bisherige
"Absichtserklärung" hinaus gedeihen, bliebe Erstaunliches festzustellen: Der
überregionale deutsche Breitbandkabelmarkt wäre in Zukunft fast so
übersichtlich wie bisher. Neben Klesch/Liberty gäbe es dann nur noch den
Eigentümer Callahan (Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg) und die
ebenfalls mit Klesch-Geld gestartete hessische eKabel, bei der nun die
amerikanisch-britische NTL größter neuer Gesellschafter ist.


Ob das die Politik so gewollt hat?
Von der belebenden Konkurrenz der Kabel-Regionen, die anfangs verheißen war,
ist nicht mehr viel übrig geblieben. Vielleicht schrumpft der Wettbewerb
weiter, hat doch Callahan die baden-württembergischen Anlagen entgegen
früherer Zusagen noch gar nicht bezahlt und in Nordrhein-Westfalen einen
holprigen Start hingelegt - das Technik-Konsortium konnte erst im zweiten
Anlauf benannt werden (epd 14/01).
Jedenfalls zeichnet sich ab, dass das deutsche Breitbandkabelnetz und damit
die wichtigste Infrastruktur für die Rundfunkverbreitung künftig von wenigen
US-Konzernen dominiert wird. Dass dies die Politik so gewollt hat, als sie
die Telekom zum Verkauf der Netze drängte, ist unwahrscheinlich.
Krokodilstränen sollte sie aber nicht vergießen: Wer Globalisierung und
Deregulierung predigt, darf sich nicht darüber wundern, wenn am Ende der
Bewerber mit der größten Brieftasche genommen wird. Unbeteiligt ist die
Politik an dem Kabel-Geschäft ohnehin nicht, ist der Bund doch weiterhin
größter Telekom-Einzelaktionär.

Die d-box wird wohl keine Rolle mehr spielen
Klar muss allen Beobachtern sein: Unter den neuen Mehrheitsbesitzern wird
sich die Struktur des deutschen Kabelmarkts ändern. Nicht alle Konsequenzen
werden so erfreulich sein wie der nun endlich zu erwartende Ausbau der
Anlagen hin zu einem interaktiven Netz, mit dem man fernsehen, telefonieren
und im Internet surfen kann. Das verständliche Ziel der Kabelbesitzer, für
ihre gewaltigen Investitionen belohnt zu werden, lässt auch dies erwarten:
l Manche vernünftigen Strukturen werden sich auflösen, etwa die Trennung
zwischen Technik- und Programm-Betrieb.

l Einige Regionen könnten beim Ausbau ins Hintertreffen geraten, weil die
neuen Kabeleigentümer nicht mehr der Daseinsvorsorge, sondern der
Gewinnmaximierung verpflichtet sind: In Ballungsräumen lassen sich die
Milliardeninvestitionen schneller refinanzieren als auf dem flachen Land.

l Es wird zu Konzentrationsbewegungen kommen, vor allem bei den örtlichen
Netzgesellschaften, die von den Libertys und Callahans die Programme
beziehen und den Haushalten liefern.

l Und es dürfte einen Lieblingsfeind weniger geben, nämlich Leo Kirch als
Entwickler der d-box.

Dieser Digitaldecoder, gern als Inbegriff eines in sich geschlossenen
Empfangssystems kritisiert, wird in der Kabelzukunft wohl keine große Rolle
mehr spielen. Wohin man auch hört in der Branche: Die neuen
Kabelnetzbetreiber in Nordrhein-Westfalen und Hessen werden kaum die d-box
für ihre Haushalte wählen. Zum Teil ist Kirch selbst schuld daran, hat er es
doch in vielen Jahren nicht geschafft, ein technisch zufrieden stellendes
Gerät zu entwickeln. Sogar aus dem ZDF, bislang eher wohlwollend
aufgetreten, wurde neulich Kritik an der d-box laut (epd 6/01).

Die Marktchancen für den Münchner Decoder schwinden just in einem Moment, da
Kirch sein System öffnet. Sei es wegen Kirchs Verpflichtungen gegenüber der
EU im Murdoch-Verfahren (epd 24/2000), sei es wegen politischer Initiativen
wie der derzeitigen EU-Richtlinien-Debatte, sei es wegen kartellrechtlicher
Bedenken gegenüber einer Technik-Kooperation Kirch/Telekom, sei es wegen
schlichter Profitüberlegungen - Kirch will sich dem offenen Standard MHP
nicht verschließen und offenbar auch den bislang abgelehnten Zauberschlüssel
in sein Kästchen stecken lassen, nämlich ein "Conditional Access Modul".

Noch freilich ist die d-box der maßgebliche Digitaldecoder auf dem deutschen
Fernsehmarkt: Ohne ihn lassen sich weder Premiere World noch das
Telekom-Programmpaket MediaVision empfangen. Zumindest das Premiere-Geschäft
bleibt Kirch erhalten: Die neuen Besitzer der Kabelnetze mussten sich
gegenüber dem Verkäufer Telekom verpflichten, das Kirchsche
Bezahlfernsehpaket langfristig weiter einzuspeisen. Die Box, die das dann
tut, könnten die neuen Kabelbetreiber von Motorola oder einer anderen Firma
aus Amerika mitbringen.


Die neuen Eigentümer blieben bislang von Regulierungsdebatten verschont
Auf diese neuen, bislang nicht benannten Geräte wird sich die
medienpolitische Diskussion in nächster Zeit konzentrieren müssen. Bislang
wurde über die Infrastrukturpläne der neuen Kabelbesitzer öffentlich wenig
geredet. Vor lauter Dankbarkeit über die frischen Kabelinvestitionen dächten
die Länderpolitiker derzeit gar nicht ans Regulieren, meint ein Beobachter.
Jedenfalls bleibt abzuwarten, ob die neuen Netzbetreiber mit ihren Decodern
ihren Markt abzuschotten trachten und wie sie mit den Fernsehprogrammen
umgehen. Da könnte sich manche Überraschung einstellen, zumal die neuen
amerikanischen Besitzer sich weder mit den deutschen Gesetzen noch mit der
eigentümlichen deutschen Kabelstruktur besonders gut auskennen, wie immer
wieder beobachtet wird.
Diese Aufteilung zwischen einer Großhändler-Etage - der nun von den
Amerikanern übernommenen Netzebene 3 - und den Einzelhändlern der Netzebene
4 wird sich zum Teil wohl auflösen. Macht diese Trennung, die in den
Gründertagen des Kabels aus eher politischen Gründen zu Stande kam,
überhaupt noch Sinn? Ja, sagen selbstredend die Einzelhändler, nur wir haben
den Sachverstand und kennen uns vor Ort aus.

Aber leider haben nicht alle das nötige Geld. Das gilt nicht für die großen
Netzebene-4-Betreiber wie Tele Columbus oder PrimaCom, sondern
beispielsweise für die mittelständischen Elektrofirmen, die Strippen in ein
paar Häuser gezogen haben. Von solchen Kleinbetreibern gibt es viele: Allein
in Hessen tummeln sich 750 Unternehmen auf der Ebene 4. Dass die Kleinen mit
dem kapitalverschlingenden Ausbau des Netzes überfordert sind, liegt nahe.
Selbst wenn das Geld noch für die Erweiterung des Kanalreigens genügen
sollte - mit dem kostspieligeren Einbau eines Rückkanals sind diese Firmen
oft überfordert.


Konzentrationstendenzen auf den unteren Netzetagen
Vermutlich werden sich viele dieser kleineren Unternehmen in die Hände der
neuen amerikanischen Kabelnetzbetreiber begeben. Vom hessischen Käufer
eKabel ist bereits zu hören, dass man sich mit den örtlichen
Anlagenbesitzern gar nicht lang herumschlagen will, sondern gleich die
Wohnungswirtschaft anspricht. Die Telekom trat in Berlin offenbar ähnlich
aggressiv auf, als sie noch - das war bis vor acht Tagen - erwarten konnte,
dass sie das Hauptstadtnetz behalten würde.
Verteilungskämpfe sind an der Tagesordnung. So will Callahan in
Nordrhein-Westfalen die örtlichen Netzbetreiber offenbar deutlich schwächer
an den Erlösen beteiligen als deren bisheriger Vertragspartner Telekom. Auch
Kundenbeziehungen stehen zur Debatte: Um dieses wertvolle Gut ringen alle
Kabelunternehmen.

Der Konzentrationsprozess in der Netzbranche wird auch vor den Größeren
nicht Halt machen. Ein Zeichen hat die Telekom selbst gesetzt:
Klesch/Liberty darf die Telekom-Firmen für die Digitalfernseh-Infrastruktur
(MSG) und für die Netzebene 4 (DeTeKS) gleich mit übernehmen. Schon ist von
Fusionsbestrebungen zwischen den großen Netzebene-4-Betreibern EWT/TSS und
PrimaCom zu hören; ohnehin haben die beiden deutschen Unternehmen als
gemeinsamen Gesellschafter die niederländische UPC (epd 27/2000). Um den
Faden weiterzustricken: An der UPC-Mutter UnitedGlobalCom hat der neue große
Deutschland-Spieler Liberty soeben seinen Anteil erhöht.


Liberty: Kabel- und Programmunternehmen in einem
So werden sich die Netzebenen verflechten, wie auch Technik- und
Programmbetrieb zusammenrücken. Auch dafür ist Liberty ein gutes Beispiel:
Die weltweit tätige Firma - Noch-Tochter des US-Telekommunikationskonzerns
AT&T - ist nicht nur im Kabelgeschäft tätig, sondern hält auch Beteiligungen
an Programmunternehmen wie Murdochs News Corporation, am bisherigen Time
Warner, an Discovery Channel, an Multithématiques und am Einkaufssender QVC
- um nur jene Senderfirmen zu nennen, die in Deutschland engagiert sind. Ein
solcher Kabelnetzbetreiber wird geneigt sein, seine eigenen Programme bei
der Einspeisung zu bevorzugen.
Auf die Zugangswächter der Landesmedienanstalten und auf die Kartellbehörden
kommt also viel Arbeit zu. Dass sie nun Amerikanern und deren deutschen
Statthaltern gegenübersitzen, macht die Verhandlungen weniger berechenbar
als zu Zeiten, in denen sie es mit vertrauten Gesichtern zu tun hatten. Der
mächtige Liberty-Chef John Malone wird beispielsweise von der "Times" als
ein Mann beschrieben, der "teuflisch komplizierte Geschäfte" ausheckt.

Die Medienordnung wird von den Launen des Kapitalmarkts abhängig
Zudem bringen es die Zeiten mit sich, dass die Medienordnung zunehmend von
den Launen des Kapitalmarkts abhängig wird. Wäre die Telekom-Aktie in diesen
Tagen nicht so tief gefallen - das Unternehmen hätte wohl kaum so schnell
die Absichtserklärung für das Kabelgeschäft mit Klesch/Liberty
unterschrieben und dabei bisherige Einnahmeerwartungen und Strategien über
den Haufen geworfen. Vom einen auf den anderen Tag vergessen war die
Telekom-Absicht, das Netz getrennt nach Regionen zu verkaufen und die
Berliner Anlagen zu behalten. Dabei hat die Telekom in der Hauptstadt große
Vorarbeiten geleistet: Knapp die Hälfte des Netzes ist dort schon ausgebaut.

Die Unwägbarkeiten des Marktes könnten sich freilich auch gegen die neuen
Kabelherren wenden. Ob sie wirklich ihre Milliarden-Investitionen wieder
hereinspielen werden, bleibt ungewiss. Zwar gewinnen sie mit dem
zweitdichtesten deutschen Kommunikationsnetz ein wertvolles Eigentum. Für
den Rundfunkempfang bleibt aber der ASTRA-Satellit ein ernst zu nehmender
Wettbewerber.

Und das angeblich so aussichtsreiche Multimedia-Geschäft? Dort könnte sogar
der Mobilfunk - Stichwort UMTS - zur Konkurrenz werden. Zumindest muss das
TV-Breitband dem noch dichteren Fernsprechnetz Telefon- und Internetkunden
abnehmen. Das wird schwer, sind doch heute schon Festnetz-Telefongespräche
überaus billig. Zudem zieht die Telekom in das Telefonnetz ebenfalls breite
Bahnen ein, rüstet es mit der neuen T-DSL-Technik für Multimedia-Anwendungen
auf. "Noch nie wurde eine zukunftsorientierte Technik so schnell in einem
Markt eingeführt", teilte die Telekom vor kurzem triumphierend mit. Es
klingt so, als könnte sie den Abschied vom Fernsehkabel verschmerzen.
 
aus der Diskussion: PRIMACOM THREAD 94
Autor (Datum des Eintrages): alterhaase2001  (01.07.01 17:46:37)
Beitrag: 79 von 247 (ID:3856804)
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