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Solidarisches Schweigen
Bei Straftaten von Polizisten sagen die Beamten nur selten gegeneinander aus. Staatsanwälte und Richter sind meist hilflos. Experten fordern unabhängige Ermittlungsbehörden.

Ouri Jallow lag auf einer Schaumstoffmatratze, Arme und Beine gefesselt, als das Feuer in Zelle 5 im Keller des Polizeireviers Dessau ausbrach. Im Nu stand die Matratze in Flammen, der Rauchmelder schlug an. Laut Gutachtern war der Asylbewerber aus Sierra Leone spätestens nach zwei Minuten tot.

Würde Jallow noch leben, wenn die Polizisten früher reagiert hätten?

Der Dienstgruppenleiter hatte nichts unternommen, als die Gegensprechanlage merkwürdige Geräusche von sich gab. Den Alarm des Rauchmelders stellte er erst einmal aus, und als er schließlich mit einem Kollegen doch noch zu Jallows Zelle kam, musste er wieder zurücklaufen, um den Feuerlöscher zu holen.

Doch wie konnte die Matratze überhaupt in Brand geraten? Hatte ein Polizist bei der Durchsuchung des stark alkoholisierten Jallow ein Feuerzeug übersehen, hatte er es vielleicht selbst im Handgemenge in der Zelle verloren? Oder waren es Polizisten, die die Matratze angesteckt haben, wie Angehörige vermuteten?

Jallows Nase war frisch gebrochen, wie sich erst bei einer zweiten Obduktion herausstellte. Warum? Das Feuerzeug, mit dem er die Matratze selbst angezündet haben soll, tauchte auf der ersten Asservatenliste nicht auf. Und es war kaum verschmort. Weshalb? Während des laufenden Prozesses ordnete der Revierleiter ein Treffen aller Zeugen an. Wozu?

Die Staatsanwaltschaft Dessau erhob Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt mit Todesfolge gegen Dienstgruppenleiter Andreas S. und den Polizisten, der Jallow durchsucht hatte. Jallow, sind die Ermittler überzeugt, hätte gerettet werden können, wenn S. an jenem 7. Januar 2005 gleich nach dem Alarm gehandelt hätte.

Fragwürdige Solidarität unter Polizisten

Doch die Tat konnte an 58 Verhandlungstagen vor dem Landgericht Dessau-Roßlau nicht aufgeklärt werden - auch weil die beteiligten Polizeibeamten widersprüchliche und zum Teil vermutlich falsche Aussagen machten.

"Das hat mit Rechtsstaat nichts mehr zu tun", sagte Richter Manfred Steinhoff, als er die Freisprüche begründen musste. "Wir hatten nicht die Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren, auf die Aufklärung des Sachverhalts." Das Verfahren sei "gescheitert" an der "Schlamperei" und den "Falschaussagen der Beamten". ...

... Allerdings ist auch bei der Polizei inzwischen ein Umdenken zu beobachten. "Damit man in der Polizei offen und konstruktiv mit Fehlern umgehen kann, muss Fehlverhalten bereits in der Gesellschaft enttabuisiert und entskandalisiert werden", sagt der Kölner Polizeidirektor Udo Behrendes. Und intern müssten vor allem die Vorgesetzten klarmachen, "dass nicht derjenige, der ein Fehlverhalten anspricht, ein Nestbeschmutzer ist, sondern derjenige, der sich rechtswidrig verhält oder rechtswidrig schweigt".

Behrendes weiß, wovon er spricht. Als nach der Prügelorgie in Köln ein Saubermann her musste, hat er die Eigelstein-Wache übernommen. Auch er hatte, als Vorgesetzter, zuvor schon zweimal Kollegen angezeigt. Er hat dennoch Karriere gemacht. http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,667026,00.html
 
aus der Diskussion: Deutschland - ein Rechtsstaat ...?
Autor (Datum des Eintrages): HeWhoEnjoysGravity  (17.12.09 11:28:09)
Beitrag: 76 von 298 (ID:38585526)
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