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Aufgelesen:

"Die Kleinanleger sind nichts als Kanonenfutter"

Fiduka-Chef Gottfried Heller zum Neuen Markt, zum Stand der Aktienkultur in Deutschland und zur Unvermeidbarkeit weiterer Pleiten an der Börse.

Gottfried Heller, langjähriger Weggefährte Andre Kostolanys und gefragter Aktien-Experte

München/Hamburg - Der Absturz von EM.TV, der Rauswurf von Gigabell aus dem Neuen Markt und der immer absurdere Skandal um Metabox markieren einen neuen Tiefpunkt an der deutschen Börse. Für Gottfried Heller, langjähriger Partner von Andre Kostolany und Chef der Münchner Fiduka Vermögensverwaltung, kam das Desaster nicht überraschend. Er hatte bereits am 13. März 2000, exakt zum Rekordhoch des Nemax-50, vor einem Platzen der Blase gewarnt und einen Trendwechsel vorausgesagt.
Die Bilanz nach einem Jahr gibt dem Börsen-Experten recht. Der Neue Markt, anfangs noch euphorisch gefeiert, hat sich als gigantische Kapitalvernichtungsmaschine erwiesen, die - einmal in Gang gesetzt - offenbar kaum zu stoppen ist.

"Es wurden unglaublich viele Fehler gemacht"

Das ganze Ausmaß des Desasters: Chart der Nemax All Share
Chart-Techniker Wieland Staud: "Kurzfristige Erholung der HighTech-Werte sehr wahrscheinlich"

Fondsmanager Heiko Thieme:
"Boden ist erreicht"

Lock-up-Fristen und andere Börsen-Regeln: "Um die Kontrolle kümmert sich niemand"

Metabox:
Domeyer unter Beschuss

Gigabell:
"Papier ist ein Unwert"

Blue C: Verdacht auf Insider-Geschäfte

Team Communications: Neuer Skandal am Neuen Markt

Die Ursachen dafür sind nach Ansicht Gottfried Hellers vor allem hausgemacht. Seine Analyse: "Es sind auf institutioneller und behördlicher Seite unglaublich viele Fehler gemacht worden, die nun vor allem von den Kleinanlegern ausgebadet werden."

Ein Beispiel: Das Emissionswesen in Deutschland. Hier besteht nach Ansicht Hellers dringender Änderungsbedarf. "Was hier zum Teil abgelaufen ist", so Heller, "hatte zum Teil schon kriminellen Charakter. Es wurden - eigens für den Börsengang - dubiose Firmen gegründet, die dann durch einen Werbe-Overkill promoted wurden. Anschließend verhökerte man einen Teil des Unternehmens an die unbedarften Kleinanleger, und alle haben gut verdient: Die Gründer, die Emissionsbanken, die beteiligten Analysten und sogenannte Börsenjournalisten, die vorab großzügig beteiligt worden waren. Die Kleinanleger waren dabei nichts als Kanonenfutter."

"Viele Regeln müssen ganz neu überdacht werden"

Eine Änderung der Verhältnisse ist nach Ansicht Hellers nur zu erreichen, wenn grundlegende Dinge neu überdacht werden. Seine Forderung: Emissionen müssen im Vorfeld schärfer geprüft werden, die Lock-up-Frist sollte mindestens zwei Jahre betragen, und Meldepflichten bei Verkäufen und Sanktionen bei Verstössen müssen deutlich härter werden.

Dabei hat er auch die Finanzinstitute im Visier. "Ein Unding", so Heller, "dass Banken nicht stärker in die Haftung genommen werden. Sie tragen Mitverantwortung für viele Nemax-Pleiten, weil sie auf eine kritische Prüfung ihrer IPO-Klienten viel zu oft verzichtet haben."

"Richter und Staatsanwälte oft überfordert"

Dringenden Handlungsbedarf sieht Heller zudem im Justizwesen. Sein Rat: "Der deutsche Gesetzgeber sollte einmal nach Amerika schauen. Dort wird bei Mauscheleien deutlich härter zugelangt. Wenn man diese Maßstäbe im Neuen Markt anlegen würde, säße ein großer Teil der Jungs längst hinter Gittern." Eine Besserung ist nach Einschätzung Hellers hier nur dann zu erreichen, wenn eine eigene Ausbildung für Staatsanwälte und Richter geschaffen wird. Bisher nämlich, so seine Beobachtung, sind die deutschen Justizbehörden mit der komplizierten Materie meist total überfordert.

Ähnliches gilt nach Hellers Meinung für die Börsenaufsicht. Über die kann der Experte sich nur wundern: "Viele Manipulationen am Neuen Markt waren so offensichtlich, dass jeder Laie sie gesehen hätte. Die Mitarbeiter der Handelsüberwachung sollten etwas engagierter sein. Was machen die eigentlich den ganzen Tag?"

Das Gespräch führte Redakteur Clemens von Frentz
(© Teuto press) http://www.manager-magazin.de/geld/artikel/0,2828,119155,00.…
 
aus der Diskussion: Die Akte Metabox - mbx - 692120
Autor (Datum des Eintrages): baracoa  (05.07.01 07:27:31)
Beitrag: 43 von 321 (ID:3884977)
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